Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Eine Extrawurst für Zschäpe? – Das Medienlog vom Mittwoch, 16. Dezember 2015

 

Beate Zschäpes – überaus dürftig ausgefallene – Aussage ist vorrüber, die Hauptangeklagte stellt sich nun den Fragen des Gerichts. Lange war jedoch unklar, in welcher Form Zschäpe antworten wird. Nach dem Prozesstag am Dienstag steht die Prozedur fest: Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl verlas einen Katalog von rund 50 bis 60 Fragen (je nach Zählweise – hier bei uns protokolliert). Auf diese will Zschäpes Anwalt Mathias Grasel nun Antworten formulieren und im neuen Jahr vortragen. Es geht „um Fragen, deren Beantwortung Zschäpe nicht leicht fallen wird“, bilanziert Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online. Denn nun werde sie – will sie nicht die Auskunft verweigern – „Namen und Details nennen müssen“.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Eine Überraschung in der Sitzung: Götzl gestattete auch den Vertretern der Nebenklage, Fragen an Zschäpe zu stellen – deren Beantwortung die Angeklagte zuvor ausgeschlossen hatte. Zunächst formulierten die Opfervertreter noch keine Fragen, werden dies jedoch sicher demnächst tun. „Wenn Zschäpe dann jeweils schweigt, ist das ihre Entscheidung“, merkt Friedrichsen an – mit den entsprechenden Konsequenzen. Wenige weitere Fragen formulierten am Dienstag die Bundesanwaltschaft und die Verteidiger des Mitangeklagten Carsten S.

In den Fragen geht es in weiten Teilen um Mitglieder der rechten Szene, um Waffen und um Kontakte zu mutmaßlichen Helfern des NSU. Damit „treibt der Richter Zschäpe in die Enge“, kommentiert Per Hinrichs von der Welt. Zudem handle es sich um eine Lösung, bei der die Fragen entgegen Zschäpes Wunsch nicht schriftlich vorgelegt werden. Götzl las sie Anwalt Grasel zum Mitschreiben vor. So ließ er sich „nicht diktieren, wie er die Fragen stellen soll“.

Anders interpretiert die Entscheidung des Strafsenats die Nachrichtenagentur AFP: Zschäpe habe mit diesem Modus Operandi „eine Extrawurst verlangt“ und bekommen: „Es erschien ursprünglich schwer vorstellbar, dass sich der so selbstbewusst auftretende Vorsitzende Richter im NSU-Prozess von Zschäpe die Regeln zur Befragung diktieren lassen würde.“ Es sei offensichtlich, dass die Hauptangeklagte fürchte, von Götzl als Lügnerin überführt zu werden.

Als pragmatische Entscheidung des Richters fasst Konrad Litschko von der taz die Lösung von Götzl auf: „Zu wichtig ist ihm offenbar, die Chance zu wahren, doch noch offene Fragen im NSU-Komplex zu klären.“ Unterdessen habe er mit der Auswahl der Fragen angedeutet, dass er die vergangene Woche durch Grasel verlesene Erklärung Zschäpes für wenig glaubhaft hält.

„Fragen nach Zschäpes eigener Beteiligung an den Aktivitäten des NSU kommen etwas kurz“, finden wir von ZEIT ONLINE. Das Problem mit der großen Zeitspanne zwischen Frage und Antwort: „Die Aussagekraft von Zschäpes Antworten lässt sich erahnen – wesentliche Erkenntnisse wird sie ihrer Einlassung jedenfalls nicht hinzufügen.“ So wird sie wohl auch keine mildere Strafe erreichen, was vermutlich der Zweck ihrer Aussage war.

In seiner Rechtskolumne auf ZEIT ONLINE zieht der Bundesrichter Thomas Fischer Bilanz über Zschäpes Aussage und den öffentlichen Umgang damit: Dieser sei „ein Aufheulen der Moral, ein Schlachtfest des gesunden Menschenverstands“ gewesen. Die Berichterstattung in den Medien habe in weiten Teilen die Unschuldsvermutung gegenüber der Angeklagten ignoriert und sei eine „beschämende Missachtung des Gerichts und des Rechtsstaats“.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 17. Dezember 2015.