Ralf Wohlleben hatte seine geplante Aussage sorgfältig vorbereitet – und beim Vortrag auf Überrumpelung gesetzt: Überraschend verlas er am Mittwoch seine Einlassung, in der er sich als unschuldig beschrieb, Aussagen über sich als Lügen bezeichnete und die Hauptangeklagte Beate Zschäpe entlastete (hier zum Nachlesen in unserem Live-Blog). Glaubwürdig wirkte er dabei nach Ansicht der Prozessbeobachter nicht. „Dieser Auftritt hat sehr viel mit Werbung zu tun. Sorgsam inszeniert“, beobachten Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung.
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Wohlleben ist angeklagt, dem NSU die Pistole Ceska 83 beschafft zu haben, mit der neun Migranten erschossen wurden. Er soll einen Kauf eingefädelt haben, den der heutige Mitangeklagte Carsten S. ausführte. Ihn bezichtigte Wohlleben der Lüge. Schuld gab Wohlleben auch dem V-Mann Tino Brandt, der demnach ebenfalls intensiven Kontakt zum NSU-Trio pflegte. Für Wohlleben selbst hingegen habe das nicht gegolten – jedenfalls nicht in strafrechtlich relevanter Hinsicht.
„Wohllebens Aussage ähnelt der von Beate Zschäpe: Demnach war man zwar rechtsextrem engagiert, lud jedoch allenfalls moralische Schuld auf sich“, fällt uns bei ZEIT ONLINE auf. Zschäpe hatte eine Woche zuvor ausgesagt. Die Botschaft war demnach in beiden Fällen: „Hilfe, ich bin durch unglückliche Umstände in ein Terrorkomplott verwickelt worden!“
Was dabei herauskam: „Zwei perfekt aufeinander abgestimmte Aussagen, ein Ergebnis: Sie sind es nicht, Mundlos und Böhnhardt sind’s gewesen“, kommentiert Christian Bommarius vom Kölner Stadtanzeiger. Allerdings bleibe das Problem der Glaubwürdigkeit. So habe sich Wohlleben „mit seiner Einlassung keinen Gefallen getan“.
„Auffällig freundlich geht Wohlleben dagegen mit Zschäpe um“, merkt Konrad Litschko von der taz an. So gab er an, er habe nach dem Abtauchen des NSU-Trios immer nur mit den Männern kommuniziert. Auch sei Zschäpe nicht dabei gewesen, als Uwe Böhnhardt einen Puppentorso mit Judenstern und Bombenattrappe an einer Autobahnbrücke aufhing – anders, als von mehreren Zeugen geschildert. Bei der Aussage handelt es sich wohl um einen weiteren Ausdruck seiner Verbundenheit zur rechten Szene: „Von seiner Gesinnung ist er nicht abgerückt.“
Auch Wiebke Ramm von Spiegel Online merkt an, wie gut Zschäpe in der Erklärung weggekommen sei: „In seiner Erklärung bleibt sie eine unbedeutende Randfigur.“ In Sachen Glaubwürdigkeit kommt Wohlleben allerdings ein Stückchen besser weg als Zschäpe: Ramm zitiert den Nebenklage-Anwalt Yavuz Narin, der „Teile seiner Angaben durchaus für glaubhaft“ hält. Das Gericht müsse nun seine Äußerungen über Tino Brandt nachprüfen.
Einen kleinen Vorteil könnte Wohlleben dadurch genießen, dass er seine Erklärung persönlich vortrug – anders als Zschäpe. Damit habe er womöglich „ein paar Punkte gegenüber Beate Zschäpe gutgemacht“, kommentiert Oliver Bendixen vom Bayerischen Rundfunk. Seine Anwälte hätten die Aussage wohl als „Notwehr gegen die falschen Anschuldigungen zweier Mitangeklagter“ konzipiert. Zu diskutieren sei jedoch, „ob es nicht eher eine Art Notbremse war“, angesichts einer umfangreichen Beweislage.
Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 18. Dezember 2015.