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NSU-Waffen aus dem Verbrechermilieu? – das Medienlog vom Mittwoch, 17. Februar 2016

 

Die Aussage des Zeugen Jens L. war bemerkenswert – weil sie gespickt war mit garantiert wahren Anekdoten aus der Zeit eines kriminellen Bandenmitglieds, garniert mit reichlich vulgären Ausdrücken. Nicht, weil sie etwas zur Aufklärung im NSU-Komplex beigetragen hätte. L. war Teil einer von zwei Zwillingen geführten Gruppe, die Waffen nach Jena schaffte – angeblich, um mithilfe der rechten Szene den Kampf gegen ausländische Drogenbanden führen zu können. „Aufschneidereien und Übertreibungen“ abgezogen, bleibe „ein Bild übrig von der Wendezeit im ‚wilden Osten'“, in dem auch der NSU hatte entstehen können, schreibt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.

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Ausgangspunkt der Vernehmung war die Frage, ob die rechte Szene Jenas und damit auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe aus Kreisen der organisierten Kriminalität an Waffen hätte kommen können. Das behaupteten zuvor nämlich die Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben, der laut Anklage den Kauf der NSU-Mordpistole Ceska 83 eingefädelt hatte – was ja gar nicht nötig gewesen wäre, wenn sich jemand wie L. „mit Waffen zudecken“ konnte, wie der Zeuge in der Befragung sagte. „Für eine ernsthafte Entkräftung der Anklage gegen Wohlleben dürfte sie kaum ausreichen“, kommentiert Friedrichsen.

„Zur Tatwaffe an sich ist von ihm nichts zu erfahren, außerdem hat L. ein massives Glaubwürdigkeitsproblem“, bilanzieren auch wir auf ZEIT ONLINE. Zu sehen war demnach ein Zeuge, der sich als „einer Art Thüringer Al Capone“ darstellte, aber an entscheidenden Stellen nichts Entscheidendes zu berichten wusste. So will er Beate Zschäpe gar nicht, Böhnhardt und Wohlleben nur vom Sehen gekannt haben. Ob die Chefs der Bande Kontakt zum NSU-Trio hatten, dazu wollte L., nach seinen Angaben aus Angst um seine Sicherheit nichts sagen. Er darf zum nächsten Aussagetermin einen Rechtsanwalt mitbringen.

Der Zeuge habe angedeutet, dass Verbindungen zwischen der organisierten Kriminalität und Neonazis gab, schreibt Frank Jansen im Tagesspiegel. Immerhin seien ihm einige Gesichter von der Anklagebank bekannt gewesen. „Da ist eine brisante Geschichte zu ahnen, vor allem mit Blick auf die Waffen der Terrorzelle NSU. Doch der Zeuge hat offenbar Angst, zu viel zu sagen.“ Aktuell sei offen, ob durch L. Waffen an den NSU gingen. „Wohlleben und seine Verteidiger scheinen an einer Theorie zu basteln, in der die Bande des Zeugen vom Dienstag eine Rolle spielt“, analysiert Jansen.

„Es erscheint nicht abwegig, dass die Bande, der Jens L. angehörte, tatsächlich in Waffendeals mit den Neonazis verwickelt war“, schreibt auch Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung. Mit der Äußerung, Jena sei eine kleine Stadt, habe der Zeuge zudem angedeutet, dass er Mundlos und Böhnhardt gekannt haben könnte.

L., der für die kriminellen Geschäfte neuneinhalb Jahre im Gefängnis verbrachte, besorgte Waffen nach eigenen Angaben vor allem aus Kreisen der abziehenden russischen Armee. „Dem Mann fehlt es bis heute nicht an Selbstbewusstsein“, merkt Mira Barthelmann vom Bayerischen Rundfunk an, die mehrere der von L. erzählten Gangster-Geschichten aufzählt. „Eine mehr oder weniger spannende Frage“ sei, ob es sich dabei um Übertreibungen oder die Wahrheit handle.

Schnell abgehandelt wurde unterdessen der neuerliche, von Beate Zschäpe selbst verfasste Befangenheitsantrag gegen Richter Manfred Götzl: Die übrigen Richter des 6. Strafsenats lehnten das Gesuch ab, wie Spiegel Online und der Tagesspiegel berichten. Für die Besorgnis der Befangenheit reiche es nicht aus, wenn die Angeklagte einzig „ihre Bewertung und Würdigung einzelner Umstände“ in den Antrag einfließen lasse.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 28. Februar 2016.