Das NSU-Verfahren steht kurz vor dem Abschluss. Doch auch am Ende kann es noch zu überraschenden Wendungen kommen. Das hat mehr mit Bürokratie als mit Aufklärung zu tun.
Um die wichtigste Frage gleich zu klären: Nein, es ist derzeit nicht möglich, eine seriöse Aussage über den Zeitpunkt des Urteils im NSU-Prozess zu machen. Alle vergangenen Versuche scheiterten daran, dass es in dem Verfahren viel zu viele unerwartete Wendungen gab, durch die immer neue Verzögerungen eintraten. Beate Zschäpes unerwartete Aussage im Dezember 2015 war so ein Fall, möglicherweise auch ihr Vorhaben, sich gegenüber einem anderen Psychiater umfassend einzulassen.
Oder dies: Zschäpes Altanwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm haben zum dritten Mal um ihre eigene Entlassung aus dem Verfahren gebeten, nachdem ihre Mandantin eigenhändig drei von vier Befangenheitsanträgen gegen das Gericht gekippt hatte. Unter der Masse prozessualer Anträge sticht diese neuerliche Volte zwar weder als besonders Erfolg versprechend noch außerordentlich stark bremsend hervor, doch verlängert sich dadurch die Zeit, die das Gericht mit Bürokratie statt mit Aufklärung verbringt.
Wegen der Befangenheitsanträge fiel die vorige Woche mit drei Verhandlungstagen komplett aus. Dass es noch einmal zu einer Flut juristischer Manöver kommt, ist in der Schlussphase eines Prozesses nicht ungewöhnlich. Immerhin: Es zeigt, dass die Schlussphase im NSU-Verfahren angelaufen ist.
Material für die Revision
Die Beweisaufnahme steht kurz vor dem Ende. In knapp vier Jahren Prozessdauer hat der Strafsenat eine Anzahl von Zeugen gehört, die der Marke von 1.000 nicht allzu fern sein dürfte. Eine kaum zu überschauende Stoffmenge.
Das Ende der Beweisaufnahme stellt üblicherweise ein psychiatrisches Gutachten dar. Im NSU-Prozess war es die Expertise des Psychiaters Henning Saß, der Beate Zschäpe attestierte, schuldfähig zu sein, und die Sicherungsverwahrung für sie empfahl. Die Richter machten im Anschluss bereits deutlich, dass sie weitere Aufklärung nicht für nötig halten: Anfang des Monats setzte Richter Götzl eine Frist, innerhalb derer die Prozessbeteiligten letzte Beweisanträge stellen konnten. Nach Protest von Zschäpes Anwälten hob er den Stichtag allerdings wieder auf.
Die Verteidigung plant offenbar, letzte juristische Pfeile abzuschießen. Dahinter steckt ein wichtiges Kalkül: Jeder abgelehnte Antrag ist Material für die Revision vor dem Bundesgerichtshof, die die Anwälte von Zschäpe und des Mitangeklagten Ralf Wohlleben im Falle eines Schuldspruchs mit Sicherheit anstreben.
Am Urteil selbst ist praktisch nichts mehr zu ändern. Es dürfte zum größten Teil bereits ausgearbeitet sein. Das machte Richter Manfred Götzl mehrmals deutlich, als er Anträge ablehnte, nachdem er mögliche neue Beweise „prognostisch in das Beweisergebnis eingestellt“ hatte – das Gericht hat sich seine Meinung über Taten und Schuld der Angeklagten demnach bereits gebildet.
Das Ende kommt spät, aber plötzlich
Gleichwohl stehen am Ende der Hauptverhandlung die Plädoyers. Auch die Vertreter der Bundesanwaltschaft, der Nebenklage und die Verteidiger haben ihre Schlussvorträge wahrscheinlich schon geschrieben: Von Gesetzes wegen darf der Prozess nicht mehr als 30 Tage unterbrochen werden. Die Stellungnahmen, in denen je nach Partei für eine harte Strafe oder auf Milde plädiert wird, dürften sich allerdings über Tage oder Wochen hinziehen.
Während sich von den rund 70 Anwälten, die Opferangehörige und Verletzte in München vertreten, wohl viele zusammentun, werden die Verteidiger ausführlich jede echte oder vermeintliche Schwachstelle in der Anklage behandeln. Bei fünf Angeklagten kann das dauern. Auch Beate Zschäpe selbst könnte sich dann erneut äußern, denn die Angeklagten haben das letzte Wort.
Danach dürfte es für die in Geduld geübten Prozessbeobachter geradezu rasend schnell gehen: Zwischen Plädoyers und Urteilsverkündung dürfen nicht mehr als zehn Tage liegen – so schreibt es die Strafprozessordnung vor. Ausnahmen für Mammutverfahren gibt es keine. Das Ende des NSU-Prozesses kommt spät, aber plötzlich.