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„Wie vor 80 Jahren die Juden“

 

Die Opferanwältin Angela Wierig hat mit ihrem Plädoyer im NSU-Prozess ihre Mandantin vergrault. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben, in dem sie mit rechtslastigen Thesen über das Verfahren schimpft.

Ayşen Taşköprü wusste sich nicht mehr anders zu helfen. Ende Januar entschloss sie sich zu einem Schritt, der schmerzhaft gewesen sein muss: Sie stieg offiziell aus dem Gerichtsprozess aus, in dem es auch um den Mord an ihrem Bruder Süleyman geht, erschossen am 27. Juni 2001 in Hamburg. Er war das dritte von zehn Opfern des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Weil Taşköprü, wie das im Juristendeutsch heißt, ihre Anschlusserklärung für die Nebenklage zurückzog, ist sie nicht mehr Teil des Verfahrens – wenige Monate, bevor das Urteil fällt.

Vorausgegangen war ein Eklat in der NSU-Nebenklage. Es ging um das Plädoyer der Anwältin Angela Wierig, die Taşköprü vor Gericht vertrat. Sie sagte unter anderem, dass die Beweislage gegen den Mitangeklagten Ralf Wohlleben nicht für eine Verurteilung wegen neunfacher Beihilfe zum Mord reicht. Der Vortrag Mitte Dezember hatte die Hinterbliebene so sehr empört, dass sie versuchte, Wierig das Mandat zu entziehen. Noch vor einer Entscheidung des Gerichts kündigte sie die Teilnahme am Verfahren auf – damit schied auch Wierig aus. Seitdem hat sich von den Hamburger Betroffenen, auch den anderen Anwälten von Familie Taşköprü, niemand mehr geäußert. Bis jetzt: Die geschasste Anwältin hat ein Buch über ihre Zeit im NSU-Prozess geschrieben.

Wierig selbst beschreibt das Buch mit dem Titel Nazis inside als längere Version ihres Plädoyers. In weiten Teilen wirkt das Buch jedoch wie eine Abrechnung mit den früheren Anwaltskollegen der Nebenklage, mit denen sie sich bereits während des Verfahrens verkracht hatte.

Grund dafür ist auch, dass ihre Ansichten seltsam klingen für jemanden, dessen Job im Prozess es ist, die Sicht einer Hinterbliebenen eines Opfers hörbar zu machen. Im selben Ton hatte Wierig ihr Plädoyer verfasst und durchbrach alle Linien, die für die Nebenklageanwälte bislang einhellige Meinung zu sein schienen. So behauptete sie, bei den Ermittlungsbehörden habe es lediglich Pannen gegeben und keinen institutionellen Rassismus in den Amtsstuben. Der Hamburger Polizei, die Familienangehörige selbst zu den Verdächtigen zählte, sprach Wierig ein Lob aus. Schließlich verteidigte sie den als Waffenlieferanten angeklagten Ralf Wohlleben und sagte, dass die Beweise nicht für einen Schuldspruch gegen ihn ausreichen würden.

Im Buch legt sie nun mit einem Nationalsozialismus-Vergleich nach. Wohlleben habe die Anklage vor Gericht abstreiten können, wie er wollte – ihm als Rechtsextremist habe von vornherein niemand geglaubt, argumentiert sie: „Wenn es vor knapp 80 Jahren die Juden waren, denen unterstellt wurde, sie würden lügen, sobald sie den Mund aufmachten, so sind es heute die Rechten.“ Vorwürfe, sie relativiere die Judenverfolgung, will sie aber nicht gelten lassen.

Schon im Plädoyer hatte sie auf den historischen Nationalsozialismus zurückgegriffen und die Aufarbeitung des NSU-Terrors als eine Art Schuldkult fast 70 Jahre nach Kriegsende dargestellt: „Der Vorwurf aber, der Deutsche trage den Nationalsozialismus gleichsam einer Erbsünde ab Geburt in sich, ist überaus lebendig.“ Ein Satz, der auch in der Schlussstrichdebatte der Nachkriegsrepublik hätte fallen können.

Zschäpe habe sich nach Zuwendung gesehnt

Nun stört sie sich daran, dass ein kleiner, „aber lauter“ Teil der rund 60 Nebenklageanwälte mit politischer statt juristischer Mission unterwegs sei. Als Rache werden die Juristen im Buch mit Pseudonymen wie „Statler und Waldorf“ belegt. Wierig sagt, sie glaube, die Kollegen hätten ihr nie verziehen, „dass ich mit den nationalen Verteidigern zu tun habe“. Gemeint ist, dass sie sich immer wieder völlig unbefangen mit den als Szeneanwälten bekannten Verteidigern von Ralf Wohlleben, Nicole Schneiders und Olaf Klemke traf. Im Buch kommen diese dementsprechend gut weg: Sie habe festgestellt, „dass das ganz normale Menschen sind, die sich so ihre Gedanken zu Deutschland machen“.

Auch zur Hauptangeklagten Beate Zschäpe hat sie eine Meinung: Diese habe darunter gelitten, dass sie nie Anerkennung bekam, sie habe sich nach Zuwendung und Führung gesehnt. Ob dies für ihre Rolle bei den NSU-Morden eine Rolle spielte? „Ich könnte es mir vorstellen.“

Ayşen Taşköprü stellte in einem Brief an das Oberlandesgericht klar, sie fühle sich von Wierig nicht repräsentiert, weil diese ihre eigenen Ansichten in dem Plädoyer nicht von denen der Mandantin getrennt habe. Die Anwältin habe ihr vorab ein Manuskript vorgelegt, das in wesentlichen Punkten ganz anders gewesen sei. Die Anwältin wiederum kontert, was sie vor Gericht gesagt habe, entspreche dem, was beide zuvor jahrelang in Gesprächen erörtert hätten.

Eher glaubt sie, Taşköprü sei von den anderen Anwälten der Familie bedrängt worden und habe daraufhin ihre Meinung geändert. Tatsächlich habe sie sich nach dem Plädoyer noch „mit Umarmung und Küsschen“ von ihr verabschiedet. Belege gibt es für keine Version. Eine Anwältin, die Taşköprü in anderen Angelegenheiten vertritt, teilte mit, die Schwester des Mordopfers wolle sich nicht mehr zu dem Fall äußern.