Eigentlich hätte am gestrigen Dienstag das Plädoyer der Hauptangeklagten Beate Zschäpe beginnen sollen, das mittlerweile seit zwei Monaten aussteht. Doch stattdessen entsponn sich ein juristisches Hickhack zwischen dem Gericht und dem neuen Wahlverteidiger des Mitangeklagten André E., Daniel Sprafke. Dieser, offenbar nach Konflikten zwischen E. und seinen Stammanwälten hinzugekommen, hatte beantragt, als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden und zur Einarbeitung eine Prozesspause zu erhalten – was das Gericht ablehnte.
Sprafke versuchte, den Fortgang der Verhandlung mit Befangenheitsanträgen zu hindern. Mit der Verzögerung war er letztlich erfolgreich, doch eine gute Figur machte er nicht. Der Anwalt „verheddert sich im eigenen Antragsdickicht“, kommentiert Wiebka Ramm in der Süddeutschen Zeitung. Der Anwalt habe „perplex“ gewirkt, sich verhaspelt und auch inhaltlich verwirrt: So stellte er kurzerhand einen Befangenheitsantrag, den er gleich danach zurücknahm. Heute sollen zwei weitere Gesuche dieser Art folgen.
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Der Verteidiger „versuchte, sein Revier abzustecken. Mit hohem Unterhaltungswert“, meint Julia Jüttner von Spiegel Online. „Nach diesem Sitzungstag steht endgültig fest: Der NSU-Prozess hat sich in der Endphase verhakt.“ Ähnlich den Anwälten des Mitangeklagten Ralf Wohlleben probiere Sprafke offenbar, das Verfahren mit Befangenheitsanträgen zu sabotieren – auch, „um André E. zu beeindrucken“.
Sichtbar wurden während des juristischen Tauziehens Spannungen innerhalb der Verteidigung von André E.: Der Angeklagte beschwerte sich, dass seine bisherigen Verteidiger Michael Kaiser und Herbert Hedrich nicht gewillt seien, Beweisanträge zu stellen, und krank seien sie ebenfalls häufig.
„Wieder zeigte sich, dass diese Verhandlung unvorhersehbar ist“, merkt Martin Debes von der Thüringer Allgemeinen an. Denn mit zahlreichen Pausen für Anträge und Stellungnahmen zog sich der Tag, ohne Ergebnisse zu produzieren. Richter Manfred Götzl habe schließlich aufgegeben und die Sitzung vertagt. „Ob diese Woche die Plädoyers beginnen können, ist ungewisser denn je“, heißt es.
„Der Strafsenat gibt den Versuch nicht auf, das Tempo im größten Prozess zu rechtsextremem Terror seit der Wiedervereinigung doch zu erhöhen“, analysiert Frank Jansen vom Tagesspiegel. Auch er hegt jedoch Zweifel, dass es nun einfach so mit den Plädoyers weitergeht.
In Protokollform wiedergegeben ist die schleppende Sitzung beim Bayerischen Rundfunk. Um den Hintergrund von Prozessverzögerungen geht es in einem Artikel bei Focus Online.
Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 12. April 2018.