Es kam fast überraschend – aber es kam: Die Plädoyers der Verteidigung im NSU-Prozess haben begonnen. Beate Zschäpes Wahlverteidiger Hermann Borchert begann am Dienstag mit seinem Schlussvortrag (ihre drei Altanwälte halten ein separates Plädoyer). Darin warf er der Bundesanwaltschaft schwere Fehler und eine einseitige Interpretation der Indizien gegen seine Mandantin vor.
„Man kann es als Wunder bezeichnen“, dass der Vortrag nun begann, kommentiert Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung. Das Gericht sei entschieden den Versuchen von Anwälten entgegengetreten, das Verfahren weiter zu verzögern, etwa den zahlreichen Anträgen des neuen Anwalts des Mitangeklagten André E. Dies sei „ein Zeichen dafür, dass sich der Rechtsstaat nicht weiter vorführen lassen will“.
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Inhaltlich sei das Plädoyer der Anklage schlicht falsch, führte Borchert in seinem Plädoyer aus. „Irgendwelche Beweise für die angeblichen Taten seiner Mandantin will er dort nicht gefunden haben, nur Spekulationen, Fehlschlüsse und Falschbehauptungen“, fasst Martin Debes von der Thüringer Allgemeinen zusammen. Damit verteidige er „nicht nur seine Mandantin: Er verteidigt auch sich selbst“. Denn er war es, der 2015 die Aussage von Zschäpe eingefädelt hatte. Er habe auch indirekt bestätigt, dass er die Aussage geschrieben habe. Zschäpe halte er für „ein Opfer der Umstände“.
Der Anwalt habe „Belastendes und Tatsächliches“ in seinem Vortrag verdrängt, schreibt Julia Jüttner auf Spiegel Online. Dass Zschäpe, wie von der Bundesanwaltschaft vorgeworfen, als bürgerliche Tarnkappe des NSU-Trios fungierte, verneinte er nicht – rechtfertigte es aber damit, dass die drei ja nach ihrer Flucht 1998 in der Illegalität leben mussten.
„Den Stellen, an denen er die Schlussfolgerungen der Bundesanwaltschaft für abstrus hält, stellt er eine noch absurdere Variante gegenüber“, stellen wir auf ZEIT ONLINE fest. „Regelrecht atemlos hangelt er sich in seinem Vortrag von Indiz zu Indiz.“ Ob dies jedoch reicht, um die Version der Bundesanwaltschaft zu demontieren, „ist ungewiss“.
„Borchert fuhr volle Breitseite gegen die Bundesanwaltschaft“, fasst Eckhart Querner vom Bayerischen Rundfunk den Sitzungstag zusammen. Anwälte der Nebenklage indes hätten sein Plädoyer als falsch kritisiert – auch, weil Borchert durch seinen späten Eintritt in das Verfahren rund 200 Sitzungstage verpasst hatte.
Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 26. April 2018.