Es wirft kein gutes Licht auf die Nebenklage im NSU-Prozess, in der Verletzte und Angehörige der Opfer versammelt sind: Ein Opfer des Kölner Bombenanschlags von 2004 hat seine Mutter mit falschem Namen doppelt in der Nebenklage angemeldet, der Anwalt des „Phantoms“ hatte für das Mandat eine Provision an ihren Sohn gezahlt, wie Spiegel Online-Autorin Wiebke Ramm enthüllte. Kurz darauf kam heraus: Der Anwalt, Ralph Willms aus Eschweiler, hatte die Frau mit dem angeblichen Namen Meral K. nie getroffen. „Von dieser Affäre wird sich die Nebenklage im NSU-Prozess nicht mehr erholen“, kommentiert Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen.
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Anwalt Willms hat mittlerweile sein Mandat niedergelegt. Richter Manfred Götzl hatte ihn bereits in der vergangenen Woche verärgert nach dem Verbleib von dessen angeblicher Mandantin gefragt. Der Anwalt hatte bei vorigen Ladungen stets Entschuldigungen abgegeben, warum sie nicht kommen könne. Götzls Nachfrage habe vermuten lassen, „dass das Gericht den Braten schon länger roch“, schreibt Friedrichsen. „Die wirklichen Geschädigten und ihre Beistände (…) geraten dadurch völlig zu Unrecht in ein trübes Licht“, das Institut der Nebenklage werde durch die Affäre beschädigt. Für den Prozessverlauf an sich habe der Betrugsfall jedoch keine Auswirkungen.
Eine Blamage ist die Täuschung indes auch für das Gericht – nachdem im NSU-Skandal zuvor schon die nachlässigen Ermittlungen von Polizei und Verfassungsschutz enthüllt worden waren. Offenbar ließen sich die Richter von einem gefälschten Arzt-Attest überzeugen; es glich jenem des Sohns der falschen Klägerin. Auch Angaben des Anwalts in seinem Zulassungsantrag hätten stutzig machen müssen, wie Autorin Ramm in einer Analyse ausführt. Auch Frank Jansen vom Tagesspiegel listet in einem Übersichtsstück zahlreiche Merkwürdigkeiten um den Fall auf.
Wir bei ZEIT ONLINE zeigen, wie der Nebenklage-Betrug im NSU-Prozess funktionierte und sprachen mit dem Anwalt, der die Mutter des Nebenklägers Attila Ö. ebenfalls zeitweise vertreten hatte – jedoch ohne Provisionszahlung. Björn Hühne aus Jülich erkannte die angebliche Meral K. auf Fotos wieder. So kam heraus, dass Ö. seine Mutter einmal unter ihrem echten und einmal unter einem falschen Namen angemeldet hatte. Ein und dieselbe Person war so zeitweise doppelt im Prozess registriert. Was aber bedeutet es, wenn sich das Gericht auf diese Weise täuschen ließ? „Unklar ist, ob es bei einem Einzelfall sein Bewenden hat“, fragen wir.
In einer Analyse für Focus Online nähert sich der Rechtsanwalt Ernst Fricke dem Thema. Er rechnet damit, dass Ralph Willms wegen des Betrugsfalls berufs- und strafrechtliche Konsequenzen erwarten. Schließlich kassierte er wegen einer nicht existierenden Mandantin die Tagessätze der Nebenklagevertreter: „Anwalt Willms wird sicherlich einen qualifizierten Verteidiger suchen.“ Es habe sich gezeigt, dass nicht jeder Opfervertreter seine Aufgabe ernst nehme: „Auf das NSU-Verfahren wirft dieser fast schon skurrile Vorgang ein bezeichnendes Schlaglicht.“
Willms selbst, nach einer Erklärung durch seinen Anwalt abgetaucht, hat Anzeige gegen den mutmaßlichen Betrüger Attila Ö. erstattet. Dass die von ihm erfundene Meral K. nicht existiert, schwante auch dem Büro der Beauftragten der Bundesregierung für die NSU-Opfer, das die Frau niemals erreichte. Wie Tim Aßmann im Deutschlandfunk berichtet, könnte das Nebenklage-Phantom eine Entschädigung aus dem Fonds der Bundesregierung für NSU-Opfer erhalten haben.
Der Anwalt hätte in den vergangenen 233 Prozesstagen, sofern er an jedem Tag erschienen war, rund 116.000 Euro an Sitzungsgeldern eingenommen. Das geht aus einem Interview hervor, das SWR-Journalist Holger Schmidt mit dem Anwalt und früheren Richter Detlef Burhoff geführt hat.
Das nächste Medienlog erscheint am Dienstag, 6. Oktober 2015.