Beamte des Bundeskriminalamts haben Hunderte Menschen im Zuge ihrer Ermittlungen im NSU-Komplex vernommen. Die Aussage des Mitangeklagten Holger G. sei eine der wichtigsten gewesen, sagte der Staatsanwalt Gerwin Moldenhauer am Mittwoch aus. Der Hamburger, der seinerzeit die Bundesanwaltschaft unterstützte, hatte sowohl G. als auch den ebenfalls angeklagten Carsten S. vernommen. Ohne G.s Angaben im November 2011 wären die Ermittler „womöglich erst viel später oder nie auf die Personen gestoßen“, die für die Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 verantwortlich waren, schreibt Frank Jansen im Tagesspiegel. Darunter war unter anderem Ralf Wohlleben, der erst kürzlich im Prozess ausgesagt hatte.
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G. selbst hatte sich zu Prozessbeginn, anders als vor den Kriminalbeamten, nur sehr knapp geäußert und will es dabei belassen. Moldenhauer bescheinigte ihm nun allerdings, dass ohne seine Aussage wohl kein entscheidender Anfangsverdacht gegen Wohlleben und Carsten S. zustande gekommen wäre. „Womöglich säßen dann zwei Angeklagte weniger im Gerichtssaal“, schreibt Jansen.
Die Bedeutsamkeit der Einordnung kommentiert auch Katja Meyer-Tien von der Mittelbayerischen Zeitung. Geklärt werden müsse, wer in wessen Auftrag eine Waffe beschaffte. „Unter anderem von diesen Fragen hängt ab, ob Carsten S. und Ralf Wohlleben als Beihelfer zum neunfachen Mord verurteilt werden.“ Viele Neuigkeiten habe die Vernehmung Moldenhauers aber nicht zutage gefördert.
Der Staatsanwalt sei „an diesem Tag voll des Lobes“ gewesen, schreibt Wiebke Ramm auf Spiegel Online. Die Aussage stütze die Glaubwürdigkeit G.s, den Wohlleben in seiner Aussage als Lügner dargestellt hatte. G. hatte angegeben, Wohlleben habe ihn mit dem Transport einer weiteren Waffe beauftragt. Dementsprechend griff Wohllebens Anwalt Olaf Klemke die Aussage scharf an. Beate Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl lieferte sich im selben Fall ein Wortgefecht mit Richter Manfred Götzl.
Die teils turbulente Sitzung habe den Beweis geliefert, dass „die Nerven aller Beteiligten ziemlich blank liegen“, kommentiert Oliver Bendixen vom Bayerischen Rundfunk. Allerdings gebe es nun „Hoffnung auf ein absehbares Ende des Mammutprozesses“, denn die Einordnung der Kooperationsbereitschaft eines Angeklagten gehöre in die Schlussphase eines Strafprozesses.
Außerdem gibt es zum zweiten Mal eine personelle Veränderung im Strafsenat: Gabriele Feistkorn verlässt die fünfköpfige Richterriege, sie geht in den vorgezogenen Ruhestand. Auf ihren Platz folgt der bisherige Ersatzrichter Aksel Kramer, wie unter anderem die Süddeutsche Zeitung berichtet. Von den anfänglich drei Ersatzrichtern ist nun nur noch Peter Prechsl in diesem Amt.
Bei der gestrigen Sitzung handelte es sich um den 256. Verhandlungstag. Nach mehr als zweieinhalb Jahren Prozess kommt dabei immer wieder die Frage auf, warum die juristische Aufarbeitung so viel Zeit benötigt. Doch beim NSU-Prozess handelt es sich um „ein langes Strafverfahren, das unter den gegebenen Voraussetzungen aber auch kaum kürzer sein konnte“, merkt Marcel Fürstenau von der Deutschen Welle an. Er erklärt, wie sich Aussagen von Zeugen, Opfern und Sachverständigen zu einem langwierigen, aber notwendigen Prozedere addieren.
Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 22. Januar 2016.