Etliche V-Männer bewegten sich im Umfeld des NSU – einer könnte sogar Arbeitgeber von Uwe Mundlos gewesen sein. Warum war der Staat dennoch nie fähig, das Trio dingfest zu machen?
Man darf sich fragen, wie die rechte Szene Deutschlands ohne den Verfassungsschutz aufgestellt wäre. Wäre sie eine angsteinflößende Guerilla, die mit Aufmärschen und Anschlägen ganze Landstriche für Einwanderer zu No-go-Areas machen würde? Oder wäre sie ein versprengter Haufen kleiner Lichter, die nur wenig an Bedrohung hervorbringen könnte – auch keine Terrorgruppe wie den NSU?
Die Frage, ob Deutschlands Geheimdienst seine Neonazis eher in Schach hält oder päppelt, ist mindestens so alt wie die Enttarnung des terroristischen Zwickauer Trios. Fast genauso alt ist die verschwörungstheroretisch angehauchte Frage, ob der Verfassungsschutz gar als heimlicher Auftraggeber tätig war.
Dass sie immer wieder gestellt wird, ist kein Wunder angesichts von Enthüllungen wie der aus der vergangenen Woche: Demnach hatte das NSU-Mitglied Uwe Mundlos in den Jahren 2000 und 2001 als Bauleiter in der Zwickauer Firma von Ralf M. gearbeitet, einem V-Mann des Bundesverfassungsschutzes. In derselben Zeit erschoss der NSU vier Menschen.
Zeuge M. erkannte Uwe Mundlos in einer Befragung als seinen früheren Angestellten Max-Florian B., dessen Personalien Mundlos nachweislich nutzte – ein starkes Indiz, indes noch kein Beweis. Unverständlich ist, wieso Mundlos Geld auf dem Bau verdient haben sollte, wenn er mit seinem Komplizen Uwe Böhnhardt in den Jahren zuvor bereits reichlich Geld bei drei Raubüberfällen erbeutet hatte – und warum nicht der gelernte Maurer Böhnhardt die Stelle antrat.
In Stellungnahmen wiesen die Bundesanwaltschaft und der Verfassungsschutz sodann eilig darauf hin, dass es für die Arbeitnehmer-These keinen Beweis gebe. Was es aber gibt, ist ein gut begründeter Verdacht – der auch deshalb so stark ist, weil der Weg des NSU von etlichen V-Leuten gesäumt war. Mit rund einem Dutzend setzte sich der Untersuchungsausschuss des Bundestags auseinander, andere Enttarnungen fügten ein rundes Dutzend weiterer Spitzel hinzu.
Ralf M. als Zeugen laden
Der Fall Ralf M. ist derzeit die heißeste Spur hin zu möglicherweise noch unentdeckten Einmischungen der Geheimdienste. Mehrere Anwälte der Hinterbliebenen von NSU-Mordopfern wollen M. deshalb als Zeugen in den Prozess laden – die Ladung ist adressiert an den Bundesverfassungsschutz.
In dem Antrag dafür führen sie auf 23 Seiten aus, dass der Informant in rechtsradikalen Kreisen höchst umtriebig war – und dass selbiges auch für die 1998 aus dem thüringischen Jena in den Untergrund geflüchteten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gegolten habe. Diese hätten „nicht abgeschottet von der rechten Szene gelebt“, sondern zu etlichen Kameraden regen Kontakt gepflegt. Weil sie sich, geschützt durch den Geheimdienst, sicher fühlten?
Im Fall M. regen sich bei den Opferanwälten Zweifel: M.s V-Mann-Führer legte dem Neonazi nach eigenen Angaben nur ein einziges Mal ein Foto des Trios vor – im März 1998. Obwohl kurz darauf ruchbar wurde, dass sich die drei in Sachsen versteckt hielten, will er M. nie wieder danach gefragt haben. Das halten die Juristen für „völlig unglaubhaft“.
Niedrige moralische Hürden
Zu erfahren ist beim Verfassungsschutz aber selten etwas, wenn es um die Zusammenarbeit mit denen geht, die in der Szene Augen und Ohren offen halten. Bezeichnenderweise erschien der V-Mann-Führer eines anderen Informanten, dem Brandenburger Carsten Sz., mit weit über den Kopf gezogener Kapuze als Zeuge vor Gericht, zeitweise wurde bei seiner Vernehmung die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Was die Geheimdienstler – teils berechtigt – als Sicherheitsbedenken vortragen, taugt wenig zur Vertrauensbildung.
Carsten Sz. alias V-Mann Piatto ist zudem ein gutes Beispiel für die niedrigen moralischen Hürden, die die Sicherheitsbehörde bei der Anwerbung ihrer Spitzel zugrunde legte: An den Verfassungsschutz wandte sich Sz. aus der Untersuchungshaft, in der er saß, weil er 1992 einen Asylbewerber beinahe zu Tode geprügelt hatte. Der später wegen versuchten Mordes Verurteilte erhielt Freigang und ein Handy, um seinen Tätigkeiten nachgehen zu können.
Die Halbwelt, die der Verfassungsschutz erhellen sollte, die war er selbst. Zu dreieinhalb Jahren wegen versuchten Totschlags wurde Michael von Dolsperg verurteilt – später wurde er tätig für den Bundesverfassungsschutz, wie Ralf M. Einer seiner Tipps allerdings hätte womöglich auf direktem Wege zu Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt führen können: Ein Kamerad aus der Szene fragte ihn, ob er drei untergetauchte Kameraden bei sich einquartieren könne. Dolsperg erzählte seinem V-Mann-Führer davon – doch der ließ ihn wissen, dass kein Interesse bestehe.
Brandt als hervorragende Quelle
Andere V-Leute waren jedoch weit weniger mitteilungsbedürftig – wie der wohl prominenteste aller Spitzel: die frühere Neonazi-Größe Tino Brandt, der die Szeneorganisation Thüringer Heimatschutz aufbaute. Zu deren Stammtischen erschien gelegentlich auch das spätere NSU-Trio. Brandt wurde von seinen Betreuern als hervorragende Quelle eingestuft, selbst nach seiner Enttarnung Anfang des Jahrtausends und auch noch angesichts der Erkenntnis, dass er im Fall NSU auch keine große Hilfe gewesen war.
Im Prozess als Zeuge geladen, sagte Brandt denn auch unverblümt aus, dass er gezielt niemanden „ans Messer“ geliefert habe. Für die Verfassungsschützer war er die Simulation eines gut informierten Szeneinsiders – der für seine Tipps von 1994 bis 2001 etwa 200.000 Mark Spitzellohn bekam. Das Geld floss dann, einem überzeugten Nationalen entsprechend, direkt in seinen Kameradenverein. Die Thüringer Neonazis wussten wohl viele Jahre lang gar nicht, wie viel sie dem Geheimdienst zu verdanken hatten. Andersherum waren sich wohl viele der Beamten gar nicht bewusst, welchen Sinn das V-Mann-Wesen überhaupt erfüllte. Auch Spitzel Ralf M., der Inhaber der Baufirma, lieferte nach derzeitigem Wissensstand nie Informationen über Uwe Mundlos.
Der Fall Ralf M. zeigt: Der Skandal war nicht, dass der Staat über seine Ermittler womöglich ganz nah dran war am Trio – sondern, dass es ihm trotz der vielen V-Leute nie gelang, die drei zu fassen.