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Keine Zweifel an der Schuld

 

Im NSU-Prozess beginnt die Sommerpause. Wie lange sich das Verfahren noch zieht, ist unklar. Doch wie das Urteil aussehen könnte, ist für die Beschuldigten um Beate Zschäpe bereits deutlich absehbar.

Fast einen Monat lang ist Ruhe. Der NSU-Prozess ist in die Sommerpause gegangen nach einem turbulenten Jahr: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe sagte aus, ebenso der als Mordhelfer beschuldigte Ralf Wohlleben. Während die Beweisaufnahme eigentlich kurz vor ihrem Ende steht, versuchen Nebenkläger mit etlichen Anträgen noch Detailfragen des Terrorkomplexes zu klären. Auch an Zschäpe haben sie viele Fragen.

Wann das Verfahren zum Ende kommt, ist darum noch lange nicht absehbar. Das mögliche Ergebnis deutet sich nach über drei Jahren Prozessdauer hingegen immer deutlicher an: Die Anklage hat der Prüfung vor Gericht weitgehend standgehalten. Schuldsprüche sind zu erwarten. Die Situation der einzelnen Angeklagten im Überblick:

Beate Zschäpe

Nachdem Zschäpe am 9. Dezember 2015 ausgesagt und an späteren Verhandlungstagen Fragen von Richter Manfred Götzl beantwortet hat, ist der entscheidende Punkt: Hat sich ihre Situation verschlimmert oder ist sie gleich geblieben? Dass die 41-Jährige vor dem Gericht besser dasteht, glaubt kein Beobachter – zu konstruiert klang ihre Aussage, zu deutlich umschiffte sie gefährliche Klippen und zu unglaubwürdig ist ihre Strategie, sich ausschließlich schriftlich nach wochenlanger Bedenkzeit zu äußern. Einen Bonus kann sie nicht erwarten.

Zschäpe ist angeklagt als Mittäterin bei den zehn NSU-Morden. Ihre drei Altanwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm hatten vor Prozessbeginn eine Strategie des Schweigens ausgearbeitet. Darüber zerbrach im vergangenen Jahr das Verhältnis, Zschäpe zog zwei neue Anwälte hinzu. Diese beiden, Mathias Grasel und Hermann Borchert, haben von der Untersuchung der NSU-Verbrechen am Anfang des Verfahrens nichts mitbekommen.

Wenn vor dem Urteil die Plädoyers gehalten werden, dürfte es kompliziert werden: Wer hält es? Und was kann man zu Zschäpes Verteidigung überhaupt noch vorbringen?

Ralf Wohlleben

Wohlleben ist angeklagt, eine Pistole organisiert und den Mitangeklagten Carsten S. als Kurier damit zur NSU-Gruppe geschickt zu haben. Mit der Waffe wurden neun Menschen getötet. Die Strategie seiner Verteidiger – voran der versierte und extrem selbstbewusste Olaf Klemke – hat sich binnen eines Jahres überraschend gedreht: Ging es in den ersten beiden Prozessjahren noch darum, den 41-Jährigen als einen von vielen möglichen Waffenbeschaffern darzustellen, konzentrieren sich Anwälte und Mandant nun sehr deutlich auf Carsten S.

S. nämlich hatte zu Prozessbeginn ausgesagt und Wohlleben damit schwer belastet. Dieser meldete sich nun kurz nach Beate Zschäpe mit einer eigenen Aussage zu Wort, in der er S. als Lügner darstellen wollte. Stellt sich die Frage: Warum ließen die Anwälte zu, dass die Anschuldigungen des Belastungszeugen so lange unkommentiert blieben?

Eine mögliche Antwort: In mehreren Beschlüssen haben die Richter abgelehnt, Wohlleben aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Begründung: Der Angeklagte sei hochverdächtig, die ihm vorgeworfenen Taten begangen zu haben. Am Urteil wird Wohlleben wohl nicht mehr viel ausrichten können.

Carsten S.

Zu Verfahrensbeginn hatte S. eingeräumt, die Ceska-Pistole von einem Mittelsmann geholt und an die NSU-Terroristen übergeben zu haben. Angeklagt ist der 36-Jährige daher als Mordhelfer. Neben dem umfassenden, frühen Geständnis kann er auch von einem Gutachten des Psychiaters Norbert Leygraf profitieren. Es dürfte dabei helfen, dass S. nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wird – im Idealfall für ihn auf Bewährung.

Mit fortschreitender Dauer wird die Situation für S. zunehmend komfortabler: Die Wohlleben-Verteidigung versucht alles, um sein Kronzeugen-Geständnis als Lüge zu entlarven. Ohne jeglichen Erfolg. S.‘ Glaubwürdigkeit hat bislang jeden Angriff überstanden.

Holger G.

Für G., der dem NSU mehrmals verschiedene Ausweise zur Tarnung zur Verfügung gestellt haben soll, wechseln sich gute und schlechte Nachrichten ab: Im Januar bescheinigte ihm ein als Zeuge geladener Staatsanwalt, mit seiner Aussage vor Ermittlern des Bundeskriminalamts einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung geleistet zu haben – mit seiner Hilfe stießen die Beamten auf Ralf Wohlleben und Carsten S. Ende Juli geriet der 42-Jährige unter Druck, als eine Gutachterin ihn auf einem Foto identifizierte, das ihn noch 2006 in Gesellschaft der NSU-Mitglieder zeigte – ein Kontakt, den G. zuvor nicht eingeräumt hatte.

Was ebenfalls gegen ihn spricht: Seine Aussage zu Prozessbeginn fiel äußerst knapp aus, Fragen beantwortete er keine. Bis heute macht er keine Anstalten, an dieser Strategie etwas zu ändern. Über seine Verwicklung in den NSU-Komplex hat er weniger erzählt als die stets so zugeknöpfte Beate Zschäpe. Richter Götzl warnte G. bereits vor dem sogenannten Teilschweigen – ein Verhalten, das Angeklagten fast immer negativ ausgelegt wird.

André E.

E. und seine Frau waren dem NSU-Trio jahrelang gute Freunde – und laut Anklage auch bereitwillige Helfer. Der heute 37-jährige E. besorgte Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt demnach Ausweise und mietete Wohnmobile für sie. Auch half er Zschäpe 2011, von der Zwickauer NSU-Wohnung zum Bahnhof zu fliehen. Das hatte die Hauptangeklagte in ihrer Aussage bestätigt. Ihr zufolge wusste E. damals nur, dass das Trio zum Lebensunterhalt Banken überfiel, jedoch nichts von den terroristischen Taten.

Ein interessantes Detail: Zschäpes Anwalt Mathias Grasel sagte im März einer Zeitung, E. könnte 2004 Mitschnitte eines Fernsehberichts gefertigt haben, in dem es um den kurz zuvor von Mundlos und Böhnhardt begangenen Kölner Bombenanschlag von 2004 ging. Diese Aufnahmen wurden im Bekennervideo des NSU verwendet. Wieso aber zeichnete E. genau diese Sendung auf, wenn er von den Taten nichts wusste?

Die Frage haben Nebenklageanwälte kürzlich Zschäpe gestellt, die Beantwortung steht noch aus. Von E. selbst ist nichts zu hören: Er schweigt seit Beginn des Verfahrens.