„Türken raus!“: Im NSU-Prozess befassen sich die Richter mit rechtsextremer Musik vom Computer des Angeklagten Ralf Wohlleben. Der hatte sich zuvor als friedlich und seriös beschrieben.
Der Kontrast könnte nicht größer sein. An der Stirnseite des Münchner Gerichtssaals sitzen die sechs Richter des NSU-Prozesses, unbewegt, mit ernster Miene. Zur gleichen Zeit plärrt aus den Lautsprechern ein Gemisch aus E-Gitarren-Akkorden und dem kaum zu verstehenden Geschrei eines Sängers. Nur Wortfetzen dringen durch: „Türken raus! Raus! Raus! Raus! Türkenpack, raus aus unserm Land!“
„Es ist ein Gekreische“, kommentiert die genauso starr dasitzende Zeugin, eine Kommissarin des Bundeskriminalamts. Sie ist eigens angereist, um dem Gericht das Lied Türken raus der Band Böhse Onkelz vorzuspielen. Seinen Platz im Terrorismusprozess hat das Lied, weil es auf einem Computer des Mitangeklagten Ralf Wohlleben gefunden wurde. Wohlleben ist angeklagt, weil er dem NSU-Trio die Pistole Ceska 83 organisiert haben soll, mit der Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Menschen erschossen.
Die Richter befassen sich damit zum zweiten Mal mit Liedern aus dem Fundus von Wohlleben, zum ersten Mal vor einer Woche. Die Einführung der Texte hatte der Nebenklageanwalt Eberhard Reinecke gefordert.
Bewiesen werden soll damit im Wesentlichen: Wohlleben ist von rechter Gesinnung. Das hatte der Angeklagte nie abgestritten, sondern durch seine Anwälte kurz vor seiner Aussage im Dezember vergangenen Jahres sogar noch verlautbaren lassen: „Herr Wohlleben ist seinen Idealen und politischen Überzeugungen treu geblieben und wird dies auch in Zukunft bleiben.“
Was unter diesen Überzeugungen zu verstehen ist, ist allerdings höchst streitbar. Wohlleben selbst will sich offenbar als wohlmeinender Patriot verstanden wissen, im seriösen Bereich rechts des konservativen Spektrums. Dazu gehört, dass Gewalt für ihn keine Option sei. „Meine ablehnende Haltung gegenüber Gewalt erfasst erst recht die Begehung von Morden“, verlas er in seiner schriftlichen Aussage.
Von Gewaltlosigkeit und Patriotismus sind die Lieder auf seiner Festplatte jedoch weit entfernt. In der vergangenen Woche lasen die Richter die Texte der anderen Musikdateien vor. „In Buchenwald, da machen wir die Juden kalt“, heißt es etwa in dem Lied einer Gruppe namens Kommando Freisler. Ein anderes trägt den Titel Vertreiben, verbrennen, fertig. Zudem entdeckten die Kriminaltechniker den Song Kraft für Deutschland der Band Noie Werte – mit demselben Stück ist eine frühere Fassung des NSU-Bekennervideos unterlegt, in dem auf höhnische Weise die Morde und Bombenanschläge präsentiert werden.
Die Lieder sind Hass und Hetze in Reinform, Spiegel von Ansichten, die niemand teilt, der sich im Marsch durch die Institutionen durchsetzen will. Wenig überraschend, dass sich Wohllebens Anwälte zuvor nach Kräften gegen die Verlesung und das Abspielen der Musikstücke gesträubt hatten. Verteidiger Olaf Klemke argumentierte, die Dateien stammten frühestens aus dem Jahr 2004 – und seien damit erst lange Zeit nach der angeklagten Tat auf den Rechner seines Mandanten gelangt. Der Waffenschmuggel soll im Jahr 2000 stattgefunden haben.
Nebenklageanwalt Reinecke hält an diesem Tag dagegen und bezieht sich wiederum auf die Mitteilung von Wohllebens Verteidiger: Wohlleben sei seinen Ansichten „treu geblieben“ – er vertrat sie demnach schon, als die späteren Terroristen mutmaßlich durch seine Hilfe an die Pistole gelangten.
Ob die Verlautbarung jedoch tatsächlich die Meinung des Angeklagten wiedergibt, ist nicht sicher. Das Gericht könnte ihn erneut befragen – und abklopfen, wie ernst Wohlleben es meint mit der Gewaltlosigkeit.