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Zschäpe-Gutachten: „Verbergen, verschleiern, täuschen“

 

Im NSU-Prozess erstattet der Psychiater Henning Saß das Gutachten über Beate Zschäpe. Mildernde Umstände erkennt er nicht. Für die Angeklagte dürfte das die Höchststrafe bedeuten.

Das sonore Säuseln in der Stimme des Psychiaters Henning Saß könnte fast darüber hinwegtäuschen, dass an diesem Dienstagnachmittag ein Knoten platzt. In dem Moment, da der 72-Jährige an dem Tisch für Zeugen in der Mitte des Gerichtssaals Platz genommen und seinen Vortrag begonnen hat, ist im NSU-Prozess die letzte große Hürde auf dem Weg zum Urteil gefallen. Er erstattet das psychiatrische Gutachten über Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte.

Knapp vor dem Ende der Beweisaufnahme muss der Sachverständige, einer der wichtigsten Vertreter seines Fachs, ihre Psyche durchblicken, sezieren und bewerten. Eine Mammutaufgabe angesichts von dreieinhalb Jahren Prozessdauer und einer Probandin, die sich bis heute weigert, mit ihm zu reden. Es geht um ihre Schuldfähigkeit, um ihren Alkoholkonsum und die Möglichkeit einer jahrzehntelangen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Oder kurz um die Frage: Wie abnorm ist Beate Zschäpe?

Die 42-Jährige ist angeklagt, weil sie Mittäterin bei zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen gewesen sein soll, als treue Unterstützerin ihrer Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die die Taten verübt haben sollen. Zschäpe drohen lebenslange Haft und eine unbestimmte Zeit in der Sicherungsverwahrung. Aus dem schon im Oktober an das Gericht gesandten Gutachten geht hervor, dass sich Saß dafür ausspricht.

Daran hat sich zwischenzeitlich offenbar nichts geändert, wie bei seinem Vortrag vor Gericht deutlich wird. Die Höchststrafe rückt damit nicht aus dem Blickfeld, auch wenn Saß wohl erst am Mittwoch oder Donnerstag zum Fazit kommen wird.

Schon zu Beginn klingt an: Der Psychiater sieht bei Zschäpe keine Hinweise auf eine psychische Erkrankung – sehr wohl aber auf eine Persönlichkeit, der weiterhin ein Hang zu Straftaten zuzutrauen ist.

Saß beginnt bei ihrer Jugendzeit in den 1990er Jahren in Jena. Dabei erkennt er „beginnende dissoziale Tendenzen“ bei der Frau, die sich nach Erinnerungen von Zeugen oft ordinär und ungebildet äußerte, die bisweilen aber auch sehr charmant sein konnte. Der Psychiater stützt sich, weil Zschäpe die sogenannte Exploration ablehnte, auf Zeugenaussagen und Beweisstücke aus der Verhandlung.

Weggefährten schilderten auch, wie Zschäpe damals gewalttätig auf andere Jugendliche losging. Das allerdings wertet Saß als „szenetypische Rohheiten“. Auch gebe es keine Hinweise darauf, dass Zschäpe ihre Impulse nicht kontrollieren könnte. Die Angeklagte ist demnach nicht nur seelisch gesund, sondern war auch immer zu eigenen Entscheidungen fähig. Nur in einigen Sätzen geht Saß auf Zschäpes angespanntes Verhältnis zur Mutter ein und dass sie später Mundlos und Böhnhardt als ihre Familie bezeichnete. Auch war sie nicht die einzige ostdeutsche Jugendliche, die keine berufliche Perspektive hatte.

Demnach war sie keineswegs Opfer von besonders widrigen Umständen, wie sie es in ihrer Aussage vom Dezember 2015 andeutete, die ihre Anwälte für sie verlasen. Immer wieder blitzt in Saß‘ Vortrag auf, dass Zschäpes Einlassungen für ihn nichts anderes sind als windige taktische Manöver: „Nüchtern, sachlich, emotionsarm und unpersönlich“ nennt er ihre Einlassung.

Zschäpe äußerte sich mehrfach schriftlich gegenüber dem Gericht – und stets waren ihre Aussagen formelhafte Satzketten, offenkundig vom ersten bis zum letzten Wort von ihren Verteidigern verfasst. Wenn darin von „blinder Liebe“ Zschäpes zu Uwe Böhnhardt die Rede ist, kommt Saß das „recht floskelhaft“ vor, weil ein solches Verhältnis nicht über Jahrzehnte andauere. Das Trio aus Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt lebte 13 Jahre lang bis 2011 im Untergrund.

Auch Zschäpes Entschuldigung, von ihr persönlich vorgetragen, beeindruckt den Gutachter nicht. Sie weist darin „nationalistisches Gedankengut“ von sich, was Saß für „euphemistisch“, also schönfärberisch, hält.

Gut möglich, dass es der Eindruck dieser Schilderungen war, der Zschäpes Verteidiger zuvor zu etlichen Störmanövern verleitet hatte. Seit den letzten Prozesstagen des vergangenen Jahres hatten sie Saß‘ Vortrag immer wieder mit Anträgen verhindert. Zuletzt forderten sie, seine Äußerungen auf Band mitzuschneiden, um sie wortgetreu einem von ihnen engagierten Gegengutachter vorlegen zu können – erfolglos.

Mit Methodenkritik dürften die Anwälte bei Saß ohnehin wenig ausrichten können. Mit sauberer Argumentation legt der Gutachter dar, warum er bei Zschäpe „externalisierende Züge“ erkennt – also die Neigung, Schuld bevorzugt auf andere zu schieben. Zum Beispiel auf den Thüringer Neonazi-Vordenker Tino Brandt, ohne den es den NSU ihrer Meinung nach nie gegeben hätte. Immer wieder habe sie Neigungen zur „Verharmlosung und zur Verlegung der Verantwortlichkeit nach außen“ gezeigt.

Dass es im täglichen Leben des NSU-Trios anders zuging, als von Zschäpe geschildert, gilt mittlerweile als gesichert. Saß stellt fest, dass Zschäpe tadellos die „Gebote der Heimlichkeit, des Verbergens, des Verschleierns und des Täuschens“ einhielt. Ob sie in dem Dreiergespann eher Anführerin oder Mitläuferin war, bewertet Saß nicht. Er erwähnt aber, dass Zschäpe nach Aussage ihres Cousins ihre männlichen Bekannten „im Griff“ hatte.

Die Angeklagte verfolgt den Vortrag wie üblich ohne sichtbare Rührung, auch wenn es um den Kern ihrer selbst geht. Dabei kommt Saß an diesem Tag noch nicht zu ihrem möglichen Schicksal, der Sicherungsverwahrung. Am Mittwoch geht es weiter.