Zum Abschluss des NSU-Prozesses jubeln im Saal die Neonazis. Die Hinterbliebenen der Terrorakte werden es schwer haben, mit dem Urteil ihren Frieden zu machen.
Am Schluss wird es im NSU-Prozess noch einmal hässlich. Richtig hässlich. Richter Manfred Götzl hat soeben Recht gesprochen über fünf Menschen, die an der größten Serie von Rechtsterrorismus in der deutschen Geschichte beteiligt waren. Nur noch eine Formalie, dass er nun den Untersuchungshaftbefehl gegen den Mitangeklagten André Eminger aufhebt, dem er zweieinhalb Jahren Gefängnis gegeben hat. In dem Moment beginnt eine Rotte von Neonazis auf der Besuchertribüne zu johlen und zu klatschen. Ihr rechtsextremer Kamerad kommt frei, vorläufig, bis die Strafe vollstreckt wird.
Was ist das für ein Urteil, das Neonazis jubeln lässt? Kann dieses Ergebnis Frieden in der deutschen Gesellschaft stiften, kann es die Hinterbliebenen der zehn NSU-Mordopfer zumindest ansatzweise mit dem Staat versöhnen, der so viele Fehler gemacht hat? Oder hat sich hier, nach fünf Jahren akribischer Wahrheitssuche, das Versagen fortgesetzt?
Am Anfang des Tages steht jemand anderes im Mittelpunkt (unser Liveblog zum Nachlesen). In schwarzer Strickjacke und mit rosarotem Halstuch tritt die Hauptangeklagte Beate Zschäpe in den Verhandlungssaal des Münchner Oberlandesgerichts. Offensiv blickt sie in die Objektive der Fotografen und Kameraleute. Ihr letzter Auftritt vor Publikum für lange Zeit, vermutlich für immer. In der Reihe hinter ihr nehmen die Mitangeklagten André Eminger und Ralf Wohlleben Platz, sie halten Händchen mit ihren Frauen, die als sogenannter Angeklagtenbeistand teilnehmen dürfen.
Kurz danach treten die fünf Mitglieder des Staatsschutzsenats ein, angeführt vom Vorsitzenden Richter Manfred Götzl. Dann geht es so schnell, dass man Mühe hat, Götzl zu folgen. An einem normalen Gerichtstag stellt er in aller Ruhe die Anwesenheit der Prozessbeteiligten fest, diesmal hat er das bereits hinter verschlossenen Türen erledigt.
Und dann: Beate Zschäpe – schuldig als Mittäterin bei allen zehn Morden, zwei Bombenanschlägen und 15 Raubüberfällen des NSU, des versuchten Mords durch besonders schwere Brandstiftung, der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Da ist die Angeklagte längst wieder so versteift, wie sie es den ganzen Prozess über war.
Bei Zschäpe regt sich nichts
Die beeindruckende Leistung des NSU-Verfahrens war eine radikal detailverliebte Untersuchung der Taten der rechten Terrorgruppe. Mögen Umtriebe des Verfassungsschutzes, und das ist ein Skandal für sich, weiter im Dunkeln liegen – die Verantwortung der NSU-Täter und -Helfer tut es nicht. Da konnte Zschäpe so viel schweigen oder so wenig aussagen, wie sie wollte.
Nach Minuten nur, um kurz vor 10 Uhr: „Die Angeklagte Beate Zschäpe wird zu lebenslanger Haft verurteilt.“ Bei Zschäpe regt sich nichts. „Die Schuld wiegt besonders schwer.“ Sie starrt auf einen Punkt irgendwo vor sich im Saal. Im Nichts. Sehr wahrscheinlich, dass sie sich lange auf dieses Urteil vorbereitet hat.
Die weiteren Urteile: Holger Gerlach, Beschaffer von Tarnpapieren: drei Jahre. Ralf Wohlleben, Beschaffer der Waffe: zehn Jahre. Carsten Schultze, von Wohlleben mit dem Waffentransport beauftragt: drei Jahre nach Jugendstrafrecht. An dem Punkt ist zum ersten Mal ein Klatschen aus den Reihen der Rechten zu hören. Schultze hat ausführlich gestanden, sich von der Neonaziszene losgesagt. Er gilt ihr als Verräter.
Es folgt André Eminger mit zwei Jahren und sechs Monaten. Man kann nur erahnen, wie fest der Angeklagte die Hand seiner Frau zu drücken beginnt. Die Bundesanwaltschaft hatte zehn Jahre wegen Beihilfe zum versuchten Mord gefordert – doch in dem Punkt spricht Richter Götzl ihn frei. Es bleibt die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Das Urteil irritiert. In Bezug auf Beate Zschäpe war Götzl so hart wie allgemein erwartet, ersparte ihr lediglich die bei lebenslanger Haft ohnehin nur symbolisch zu verstehende Sicherungsverwahrung. Eminger hingegen, ein eingefleischter Neonazi, der mit seiner Gattin über Jahre bis zum Schluss Kontakt zum NSU hielt, ein Intimus der Terroristen war, kommt mit einem kleinen Haftintermezzo davon. Und Schultze wiederum, für den viele Beobachter eine Bewährungsstrafe erwartet hatten, muss ins Gefängnis. Weitere Läuterung dürfte dort nicht ablaufen.
Die Terroristen haben den Staat als ohnmächtig vorgeführt
Diese Urteile sind bizarr. Sie erstaunen, weil der sechste Strafsenat des Münchner Oberlandesgerichts gezeigt hat, dass er in der Lage war, sich ein so kritisches wie genaues Bild des Komplexes NSU zu machen.
So geht Götzl in der anschließenden Urteilsbegründung auf die Ursprünge des Trios im thüringischen Jena ein. Dort stellten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt Bombenattrappen in der Öffentlichkeit ab und bastelten in einer Garage an Rohrbomben. Diese Vorzeichen hätten „an Deutlichkeit nicht zu überbietende Hinweise auf die Gefährlichkeit“ der Gruppe gegeben, sagt Götzl. Der Satz ist eine Watsche für Verfassungsschutz und Polizei, die das Trio mit vorurteilsgeprägter, ignoranter Ermittlungsarbeit nicht zu fassen bekamen. Der Staat sollte vom NSU „als ohnmächtig vorgeführt werden“, sagt der Richter. Das ist den Terroristen leider gelungen.
Kurz darauf widmet sich Götzl Zschäpe selbst, die im Dezember 2015 eine halbgare Aussage gemacht und sich darin als rundum unschuldig dargestellt hatte. Nun ist klar: Der Richter glaubt der Angeklagten kaum ein Wort. Es bestünden „Zweifel an der Glaubhaftigkeit großer Teile ihrer Einlassung“, sagt er. Hatte Zschäpe behauptet, sie sei eine emotionale Geisel ihrer Komplizen Mundlos und Böhnhardt gewesen, hatte sie angegeben, die beiden hätten ihr stets erst im Nachhinein von den Morden und Anschlägen erzählt – so darf man dies nun eine Lüge nennen.
Was also war die Rolle von Beate Zschäpe? Ohne sie, stellt der Richter fest, hätten die Taten des NSU nicht gelingen können. Sie war es, die dafür zuständig war, nach Tod oder Festnahme ihrer Mitstreiter eine DVD mit einem Bekennervideo zu verschicken – und damit das „finale Ziel“ der Anschlagserie zu erreichen. Ohne ihre Mitwirkung wären die Verbrechen „des ideologischen Inhalts beraubt worden“, mithin „sinnlos“ geblieben, argumentiert der Richter. Für ihn gibt es keine Zweifel, dass die Taten „im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Frau Zschäpe“ geschahen.
Die Angeklagte war darüber hinaus in die bürgerliche Tarnung des Trios vor den Nachbarn daheim und die Planungen eingebunden. Für den Fall von Tod oder Festnahme war außerdem die Brandstiftung in der Wohnung vereinbart, um Beweise zu vernichten – nur eben nicht das Bekenntnis auf DVD.
Endlich die Anerkennung des Leids
Das Urteil an sich ist es nicht, das den Verletzten der Anschläge und den Hinterbliebenen der Getöteten Genugtuung verschafft. Wenn etwas zur Rehabilitierung der Opfer beigetragen hat, dann Richter Götzls deutliche Wertung von Zschäpes Angaben: Über Jahre waren es die Familienangehörigen, die vor den Ermittlern als Lügner dagestanden hatten, angeblich dem organisierten Verbrechen oder dem Rauschgifthandel nahestehend. Die Anerkennung ihres Leids ist ein entscheidender Teil der Rehabilitation.
Doch dass die Strafen, von Beate Zschäpe abgesehen, die Angehörigen nicht überzeugen, wird an diesem Tag schnell deutlich. Als Götzl über den 2006 in Kassel erschossenen Halit Yozgat spricht, beginnt dessen Vater Ismail Yozgat zu schreien. Immer wieder brüllt er das islamische Glaubensbekenntnis „Es gibt keinen Gott außer Allah“ durch den Saal. Seine Frau muss ihn zurück auf seinen Stuhl ziehen. Yozgat ist an dem Verlust zerbrochen.
Ein Anwalt der Nebenklage sagt nach der Verhandlung vor dem Gerichtsgebäude, er sei wütend: Über Jahre habe er bei seinen Mandanten für den Rechtsstaat geworben, diskutiert – und nun hätten die Angehörigen, die nicht mehr auf ein so gerechtes wie hartes Urteil hoffen mochten, recht behalten.