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Protokolle des Grauens – Das Medienlog vom Freitag, 3. Januar 2014

 

71 Tage NSU-Prozess im vergangenen Jahr waren ein Kaleidoskop voller Schicksale: Es sprachen Opfer, Angeklagte und Zeugen. Manche weinten, überwältigt von der Grausamkeit der Taten. Anwälte schrien durch den Saal, der Richter schrie zurück. In den Medien produzierte das fast täglich Gesprächsstoff. Daher zieht die Süddeutsche Zeitung Bilanz – über Taten, Ermittlungen und die bisherigen Verhandlungstage. In einer digitalen Reportage fließen Text, Bilder und Videos zusammen. Im Magazin der Zeitung und in einem Video widmen sich die Autoren hingegen ganz nüchtern den Protokollen aus dem Gerichtssaal.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Autorin Annette Ramelsberger, die die Digitalreportage gemeinsam mit Fabian Heckenberger verfasste, kommt selbst zu Wort: „Die gesamte NSU-Mordserie war nie im kollektiven Gedächtnis angekommen“, sagt sie in einem Videokommentar, dabei habe es sich bei den Verbrechen doch um „eine Vertreibungsaktion“ gehandelt. Ramelsberger stellt die Tatorte vor, resümiert den Beginn des Prozesses sowie denkwürdige Vernehmungen und bewundert die Kraft, die die Geschädigten des NSU aufbringen. Der Prozess sage viel über die Eigenarten und das Gemüt der Deutschen aus. Die Aufarbeitung sei keineswegs nur öde und technokratisch: „Es ist nicht langweilig. Es ist spannend. Jeden Tag.“

Ein weiteres Fazit zieht die Süddeutsche mit der nüchternen Abschrift der Dialoge aus dem Gerichtssaal. Die Notizen von Ramelsberger und ihren Kollegen Tanjev Schultz und Rainer Stadler füllen mittlerweile 500 Seiten – Teile davon hat die Zeitung von Schauspielern lesen lassen. In Zusammenarbeit mit der Filmakademie Baden-Württemberg, der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg und der UFA Fiction ist so ein fast zweistündiger Film entstanden, gleichsam eine Chronik der vergangenen Sitzungstage. Zu sehen sind nur die vier Darsteller, die aus den gekürzten Protokollen vorlesen – viel ausführlicher als in der üblichen Berichterstattung entsteht so ein Eindruck davon, wie die Vernehmungen, Diskussionen und Anträge vor Gericht klingen. In der Beilage SZ-Magazin sind die Auszüge zudem abgedruckt. Nach eigenen Angaben wundern sich die Autoren darüber, dass in Deutschland kein offizielles Gerichtsprotokoll geführt wird.

Sind die Eltern der mutmaßlichen NSU-Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auf ähnliche Weise Opfer wie die Angehörigen der Ermordeten? Dieser Frage geht dpa-Korrespondent Jochen Neumeyer in einem Beitrag nach, der unter anderem in der Thüringer Allgemeinen erschienen ist. Er stellt Gemeinsamkeiten zwischen Böhnhardts Mutter und Mundlos‘ Vater auf der einen Seite und den Nebenklägern auf der anderen heraus. „Die Angehörigen wollen Aufklärung, vielleicht Strafe – aber auch ein Forum, in dem sie gehört werden mit ihrem Schmerz und mit ihrer Empörung“, schreibt Neumeyer. Gehör hätten sich auch Brigitte Böhnhardt und Siegfried Mundlos verschaffen wollen. Mehr noch: „Sie verteidigen ihre Söhne“, zudem hätten sie Anklage gegen Staat und Gesellschaft erhoben.

Woran es im NSU-Prozess krankt, versucht Stefan Geiger in der Frankfurter Rundschau zu beantworten – und kommt zu dem Schluss: „Das große Ego des Richters Götzl“ sei für die Verhandlung problematisch, weil dieser sich nicht in die Zeugen hinein versetzen könne. Diese stammten etwa „aus dem ostdeutschen Subproletariat“ oder seien verzweifelte Angehörige der Opfer. Darauf reagiere Götzl oft nicht so, wie man es von einem verständnisvollen Menschen erwarten würde. Probleme sieht Geiger jedoch auch bei den Verteidigern von Beate Zschäpe, Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm: „Sie haben keine Idee, wohin sie den Prozess lenken könnten“ und ließen ein klares Ziel vermissen.

Keine Berichte in englischsprachigen Onlinemedien.

Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 6. Januar 2014.