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In Zwickau war nichts normal – Das Medienlog vom Dienstag, 4. Februar 2014

 

Wie gelang es den NSU-Mitgliedern, ihren Hass auf den Staat hinter einer braven bürgerlichen Fassade zu verstecken? Antworten auf diese Frage suchte das Gericht am Montag bei der Zeugin Sindy P., die mehrere Jahre lang die Nachbarin des Trios in einem Zwickauer Mehrfamilienhaus war und Beate Zschäpe unter dem Tarnnamen Lisa kennenlernte. Offenbar handelte es sich um ein Biotop, in dem die Gruppe bestens gedeihen konnte – so war „Zwickau für die rechtsextreme Terrorzelle ein recht bequemer Ort“, kommentiert Frank Jansen im Tagesspiegel.

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Eine große Lücke klaffte offenbar nicht zwischen den Ansichten des Trios und seiner Nachbarn: „Auch andere ’normale‘ Leute haben dort und an einer weiteren Adresse der drei mit dem Rechtsextremismus sympathisiert„, schreibt Jansen. Was unter „normal“ zu verstehen war, habe sich bei der Befragung durch den Nebenklage-Anwalt Yavuz Narin gezeigt, der Sindy P. auf einen Facebook-Eintrag von ihr ansprach: Demnach unterstützte sie eine Kampagne gegen Asylbewerberheime.

Im Brandschutt der letzten Wohnung des NSU in Zwickau fanden Ermittler Ausweise, die auf P.s Nachnamen ausgestellt waren. Ging die Unterstützung demnach weiter als die Zeugin zugeben wollte? Das bestritt P. „Man sei geschockt gewesen“, sagt die Zeugin, „als man ‚von dem allen‘ hörte; man habe es nicht wahrhaben wollen“, berichtet Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online. Narins Vorhalte aus den Facebook-Profilen von P. und ihrem Ehemann hätten schließlich Widersprüche in den Angaben der Zeugin aufgedeckt, was Richter Manfred Götzl verärgert habe. „Mit der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage scheint es nicht weit her zu sein.“

Auffällig sei gewesen, „mit welchem Unwillen Sindy P. überhaupt vor Gericht aussagt“, schreibt Jochen Neumeyer von der Nachrichtenagentur dpa. P. habe versucht, sich von Zschäpe zu distanzieren, doch der Kontakt zwischen den beiden Nachbarinnen sei damals wohl sehr eng gewesen. Insofern sei die Vernehmung nicht mehr und auch nicht weniger als ein „Einblick in die Normalität der Zwickauer Nachbarschaft“ gewesen, berichtet Neumeyer – dort habe das Motto gelautet: „Geht mich ja im Endeffekt auch nichts an.“

In dem Zwickauer Haus „galt vieles als normal, was andernorts nicht ganz so normal ist„, bilanziert auch Annette Ramelsberger in der Süddeutschen Zeitung. Die Autorin zeichnet nach, wie die Nebenklage-Anwälte die Behauptung der Zeugin demontierten, eine „normale“ politische Einstellung zu haben: So habe P.s Mann ein Bild online gestellt, auf dem die Figur Paulchen Panther mit einem Herz und der Aufschrift „I love you“ zu sehen ist – aus Ausschnitten der Trickfilmserie wurde das Bekennervideo des NSU produziert. P. sagte dazu, sie habe mit ihrem Mann nicht über das Bild geredet, „weil ich die Meinung nicht teile“, zitiert Ramelsberger.

Was P. geschildert habe, das habe „nach kleinbürgerlicher Idylle“ geklungen, schreibt Kai Mudra in der Thüringer Allgemeinen. Zu Beginn der Vernehmung sei die Zeugin „recht maulfaul“ gewesen und habe nur in knappen Sätzen geantwortet. Richter Götzl sei es schließlich durch ruhiges, aber konsequentes Nachfragen gelungen, Details aus dem Leben des NSU ans Licht zu bringen. Was der Zeugin auffiel: Die Nachbarin kam gerne zum Kaffeetrinken bei ihr vorbei, während sie selbst nur einmal die Wohnung der angeblichen Lisa betrat. Auch hätten die anderen Bewohner des Hauses in der Polenzstraße nahezu alles über einander gewusst – nur über Zschäpe und ihre beiden Kameraden nicht.

Keine Berichte in englischsprachigen Onlinemedien.

Das nächste Medienlog erscheint am Mittwoch, 5. Februar 2014.