Der Zeuge Thomas S. trat in den Zeugenstand – und ging gleich wieder. Weil gegen ihn ein Ermittlungsverfahren läuft, berief er sich wie andere Zeugen aus der Szene auf sein Schweigerecht. Er soll dem NSU-Trio Sprengstoff besorgt und die drei nach ihrem Untertauchen bei sich wohnen lassen haben. Zudem arbeitete er als V-Mann für das Berliner Landeskriminalamt. Statt S. sprach am 101. Prozesstag ein Ermittler, der den Zeugen beim Bundeskriminalamt vernommen hatte. Die Aussage demonstrierte das Solidaritätsverständnis in der rechten Szene: „Für Thomas [S.] war es offenbar selbstverständlich, den drei ‚Kameraden‘ aus Jena behilflich zu sein“, schreibt Frank Jansen im Tagesspiegel.
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S. hat offenbar erst wenige Tage vor dem Gerichtstermin den Nachnamen seiner Frau angenommen, er heißt nun Thomas M. Mit den Aussagen des Beamten prüften die Richter den Vorwurf, der Zeuge habe dem NSU-Trio damals zwei Kilo TNT beschafft. „Und der Polizist erinnerte sich gut“, berichtet Jansen. Demnach hatte S. 1996 oder 1997 ein Päckchen bei einem Mittelsmann gekauft und an Uwe Mundlos weitergegeben. „Er habe ein mulmiges Gefühl gehabt, sagte er in der Vernehmung“, berichtet Annette Ramelsberger in der Süddeutschen Zeitung. Zünder für den Sprengstoff wolle er jedoch nicht beschafft haben.
Richter Manfred Götzl „fragte den Zeugen akribisch ab, wie er sich überhaupt mit jedem der wichtigen Zeugen eine immense Mühe gibt“, beschreibt Gisela Friedrichsen die Vernehmung auf Spiegel Online. Dabei wurde deutlich, dass sich das Trio auf seinesgleichen verlassen konnte: „Der Unterstützung durch die rechtsradikale Szene konnten sich Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos (…) sicher sein.“ Nicht nur wenige ausgesuchte Kameraden kamen den Untergetauchten zu Hilfe – die Menge der Wohlgesonnenen „hätten sie dabei möglicherweise nicht zählen können“, schreibt Friedrichsen.
Auch hatte der 46-Jährige beim BKA berichtet, er habe zwischen Ende 1996 bis April 1997 ein „Techtelmechtel“ mit Beate Zschäpe gehabt. S. hatte sich nach eigenen Angaben eine Beziehung gewünscht, es blieb bei einer Affäre. Der Grund: Die Angebetete habe „nur die beiden Uwes im Kopf gehabt“, sie seien bei Treffen ständig dabei gewesen. Die Erörterung des Verhältnisses „ist kein Voyeurismus, sondern interessant für die Stellung Zschäpes innerhalb des NSU“, schreibt Ramelsberger in der Süddeutschen. Claudia Wangerin beschreibt in der Jungen Welt einen direkten Zusammenhang zwischen der Liebelei und der Sprengstofflieferung: S.‘ „Schwäche für die heutige Hauptangeklagte Beate Zschäpe habe in den 1990er Jahren dazu geführt, dass er dem Trio Sprengstoff besorgt habe, um sie zu beeindrucken“.
Der Zusammenhalt des Trios muss stark gewesen sein: Im Januar 1998 tauchten alle drei unter, obwohl nur Uwe Böhnhardt eine Haftstrafe drohte, wie Zschäpe zu S. gesagt habe. Das „schien Thomas S. nicht zu wundern: Sie seien ja ein Trio“, heißt es bei Ramelsberger.
Mit #Zschäpe hatte Thomas St. Ende 96 bis April 97 ein „Techtelmechtel“. St.: „Die Uwes waren nicht eifersüchtig.“ #nsu
— PZ hautnah (@PZhautnah) 2. April 2014
S. sei in dem Verhör auch zu der Einschätzung gelangt, die drei seien politisch aktiv gewesen, berichtet Kai Mudra in der Thüringer Allgemeinen. Sie hätten gesagt „Das scheiß Gesaufe. Wir müssen auch mal die Partei unterstützen“ und sich damit von der Skinheadszene distanziert, in der es vielen mehr auf Spaß ankam. Ein weiteres Detail, das S. berichtet hatte: Kurz nach dem Untertauchen hätten Mundlos und Böhnhardt einen Kameraden aus der Szene mit einer Schusswaffe bedroht, damit dieser nicht bei der Polizei aussage. Dabei handelte es sich offenbar um den Anführer des rechtradikalen Netzwerks Blood & Honour.
Am Nachmittag endete die Sitzung, als ein Arzt Zschäpe wegen Kopfschmerzen für nicht mehr verhandlungsfähig erklärte.
Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 4. April 2014.