Erinnerungslücken und Widersprüche – damit irritierte nicht nur der frühere Kasseler Verfassungsschützer Andreas T. das Gericht. Auch sein damaliger Vorgesetzter Frank-Ulrich F. verstörte am Dienstag mit seiner Zeugenaussage im NSU-Prozess. T. war am Tatort, als Halit Yozgat 2006 mutmaßlich vom NSU in seinem Kasseler Internetcafé erschossen wurde, will jedoch nichts mitbekommen haben. Als Ermittler T. daraufhin ins Visier nahmen, telefonierte er mehrmals mit F. – woran sich dieser jedoch nicht mehr erinnern wollte: Es gebe „eine ganze Reihe von Telefonaten, die F. offenbar komplett aus seinem Gedächtnis gestrichen hat“, schreibt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.
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Nachdem die Ermittlungen angelaufen waren, musste sich T. bei der Behördenleitung erklären. In einem Telefonat sagte F. später zu T.: „Ich hoffe, du hast alles richtig dargestellt!“ Nachgewiesen ist das durch Überwachungsprotokolle der Ermittler. F. sagte im Prozess, er habe diese Gespräche „verdrängt“. Das stößt bei den Prozessbeobachtern auf Unverständnis. Laut Per Hinrichs von der Welt „scheint es eine frappierende Ähnlichkeit zwischen manchem Neonazi und dem einen oder anderen Geheimdienstler zu geben: Sie sagen ganz offenkundig nicht immer die Wahrheit“. Das gelte für F. wie für seinen Untergebenen T. Der Vorgesetzte lobte T. damals auch, dass er sich bei der Amtsleitung nicht „so restriktiv wie bei der Polizei“ verhalten habe. „Daraus lässt sich durchaus folgern, dass Andreas T. bei der Polizei Dinge verschwiegen hatte, die er seinen Amtskollegen offenbarte.“
Sollte T. dem Zeugen Geheimnisse anvertraut haben, so wollte dieser sie anscheinend nicht vor Gericht wiederholen. „Offenbar will der Zeuge den Eindruck zerstreuen, dass sich der Geheimdienst in Ermittlungen einmischte“, schreibt Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung. Die Polizei hatte sich seinerzeit jegliche Beteiligung des Verfassungsschutzes verbeten, wie der Direktor des Landesamts, Lutz Irrgang, ausgesagt hatte. In der Klärung der Kernfrage, ob T. den toten Yozgat im Café liegen sah oder nicht, sei das Gericht „nicht wirklich weiter“ gekommen, schreibt Schultz. Ergebnis der Vernehmung sei, „dass auf die Angaben von Geheimdienstleuten nicht unbedingt Verlass ist“.
Durch die Ermittlungen wurden Interna aus dem Verfassungsschutzamt öffentlich – „was die lichtscheuen Agenten ohnehin nicht mögen und schon gar nicht unter solchen Umständen“, bemerkt Thies Marsen vom Bayerischen Rundfunk. Zeuge F. habe „keine besonders glückliche Figur“ gemacht, sein irritierendes Einlassungsverhalten gipfelte schließlich in dem Satz „Ich vermute, dass ich mich erinnern kann“.
Zuvor geladen war ein Kasseler Polizist, der den Zeugen Hamadi S. vernommen hatte. S. war zur Tatzeit in einer Telefonkabine des Cafés, mittlerweile hält er sich wieder in seiner Heimat Irak auf und kann nicht geladen werden. Der Zeuge gab damals an, er habe Knallgeräusche gehört und eine Erschütterung des Bodens gespürt. Der Ermittler dachte erst, der zurückhaltende S. verheimliche etwas, dann glaubte er ihm doch. Dies sei „ein Beispiel dafür, dass die Polizei, die immer wieder deutsch-türkische Familien und Ausländer bei den Ermittlungen zu der Mordserie kriminalisiert hatte, einem Asylbewerber Vertrauen schenkte und Beschuldigungen rasch fallen ließ“, schreibt Schultz in der Süddeutschen.
Der Zeuge gab an, er habe schemenhaft einen Menschen vorbeigehen sehen. Dabei konnte es sich um einen der Täter handeln – oder um Andreas T. Ein Foto des Verfassungsschützers legte der Ermittler S. jedoch nicht vor, er hielt es für sinnlos. Damit zog er in der Sitzung den Zorn von Nebenklage-Anwalt Thomas Bliwier auf sich: „Für die Borniertheit der Ermittlungen an dieser Stelle fehlen mir die Worte.“ Womöglich hatte der Polizist eine Chance auf Erkenntnisgewinn verspielt: „Andreas T. könnte von seiner Statur her zu der schemenhaften Person passen“, schreibt Kai Mudra in der Thüringer Allgemeinen.
Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 11. April 2014.