Das Gericht in München hat mit der Untersuchung des Bombenanschlags von 2001 begonnen, bei dem die 19-jährige Deutsch-Iranerin Mashia M. in einem Geschäft in der Kölner Probsteigasse schwer verletzt wurde. Sie hatte eine Christstollendose geöffnet, die laut Anklage Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt dort platziert hatte. Die Einführung des Falls in den Prozess ruft ein entsprechend großes Medienecho hervor. „Der Anschlag in der Probsteigasse ist gekennzeichnet von mehreren Merkwürdigkeiten“, kommentiert Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online. Gemeint ist, dass die Täter das unscheinbare Geschäft in einer normalen Kölner Gegend als Anschlagsziel fanden – und die Polizei später kaum in Richtung einer rechtsextremen Tat ermittelte.
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Friedrichsen fragt sich auch, was der NSU sich bei der Tat dachte: „Rechnete der Unbekannte (der die Bombe im Geschäft hinterließ, d. Red.) damit, dass ein Familienmitglied die Dose öffnen würde? (…) Oder kam es nicht auf die Nationalität der Opfer an?“ Die Autorin spekuliert, es könne sich bei dem Anschlag auch um einen Test gehandelt haben, „wie das Töten besser, leichter und sicherer funktioniert“. Unter Umständen wäre das Geschäft, das Familie M. betrieb, damit nur Opfer einer spontanen Auswahl und nicht von langwieriger Planung gewesen.
„Der Laden war von außen nicht als Firma eines Migranten zu erkennen“, hebt auch Frank Jansen im Tagesspiegel hervor. War das der Grund, weswegen die Ermittler das Motiv Rechtsextremismus nicht ernst nahmen? „Die Kölner Polizei ermittelte in alle denkbaren Richtungen. Und selbst in solche, die seltsam erscheinen“, schreibt Jansen – zum Beispiel im Bereich Linksextremismus. Dem Beamten, der das aussagte, hielt die Opfervertreterin Edith Lunnebach entgegen: „Links gegen Ausländer, das kommt mir komisch vor.“
Der Ermittler sagte, man habe sich das Motiv nicht erklären können. „Seine Aussage erweckt allerdings den Anschein, dass die Kölner durchaus Theorien hatten – aber keine große Lust, sie mit Nachdruck zu verfolgen“, heißt es auf ZEIT ONLINE. Demnach verließen sich die Mitglieder der Ermittlungsgruppe bei der Klärung eines politischen Hintergrunds auf den Staatsschutz – und fragte auch nicht nach, als von dort keine Informationen kamen.
„Stattdessen krempelten sie das völlig unauffällige Familienleben der M.s um“, schreibt Per Hinrichs in der Welt, sie hätten „kläglich bei der Ursachenforschung“ versagt. Nahmen sie den Anschlag nicht ernst? Die Bombe „war kein Silvesterkracher“, sondern hätte problemlos Menschen töten können.
Auch bei der Öffentlichkeitsfahndung schöpften die Beamten nicht alle Möglichkeiten aus: So waren nach den Angaben des Vaters von Mashia M. zwei Phantombilder erstellt worden. „Auf die sonst übliche Verteilung von Flugblättern hat die Polizei jedoch offenbar verzichtet“, resümiert Stefan Geiger im Kölner Stadtanzeiger. Außerhalb von Köln wurde gar nicht mit den Bildern ermittelt.
„Doch es kann auch der Polizei zum Teil zugute gehalten werden: Dass hier jemand offenkundig wahllos Ausländer treffen wollte, drängt sich nicht sofort auf“, merkt Karin Truscheit in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an. Schließlich lag der Laden in einem Stadtteil, in dem nicht außerordentlich viele Ausländer leben. Das werfe wiederum die Frage auf: „Muss es nicht in Köln ortskundige Unterstützer gegeben haben, um gerade auf dieses Geschäft zu kommen?“
„Der Tatkomplex ‚Probsteigasse‘ ist symptomatisch für viele Fragen, die während des NSU-Prozesses zwar immer wieder gestellt, aber bislang unbeantwortet blieben“, schreibt auch Mira Barthelmann vom Bayerischen Rundfunk. Dazu gehöre auch die Auffälligkeit, dass der Fall nicht mit anderen Sprengstoffanschlägen in Deutschland verglichen wurde.
Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 5. Juni 2014.