Der NSU-Prozess geht in die Sommerpause, bis zum 4. September ruht das Verfahren. Was passiert danach? Die meisten Angeklagten schweigen weiter – obwohl es für sie nicht gut aussieht.
Wenn im NSU-Prozess eines sicher ist, dann, dass das Verfahren noch lange nicht vorbei ist. Vor wenigen Tagen präsentierte das Oberlandesgericht mögliche neue Prozesstage für die erste Jahreshälfte 2015. Diese Tage können genutzt werden, müssen aber nicht. Wahrscheinlicher ist, dass sie mal wieder nicht ausreichen werden. Und dass das Urteil auch im kommenden Jahr noch nicht fallen wird.
Denn wie viel Arbeit liegt noch vor den Prozessbeteiligten: Rund 300 Zeugen warten noch auf ihre Vernehmung. Zwei psychiatrische Gutachter müssen ihre Expertisen verfassen. Die Bundesanwaltschaft wird ein langes Plädoyer halten, ebenso die Verteidiger aller fünf Angeklagten. Außerdem rund 60 Opferanwälte, möglicherweise alle einzeln. Und wenn all dies erledigt ist, müssen Richter Manfred Götzl und seine vier Kollegen ein buchdickes Urteil verfassen.
Die Indizien, die ihnen dafür bislang vorliegen, sprechen eine deutliche Sprache. In 135 Verhandlungstagen seit Mai 2013 haben sie in weiten Teilen die Anklage bestätigt. Damit liegen Hinweise vor, wie das Gericht entscheiden könnte – auch, wenn noch niemand weiß, wann.
Beate Zschäpe
Beobachtet man Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer, Anja Sturm und Wolfgang Stahl, scheint es, als zweifelten auch sie nicht mehr an der Höchststrafe gegen ihre Mandantin. In ihren vier Befangenheitsanträgen gegen das Gericht bezogen sie sich stets auf Formalien, auch die Fragen an Zeugen wirken häufig blutleer und hilflos – als gebe es nichts mehr zu gewinnen. Dass bei den Anwälten offenbar der Kampfeswille nachlässt, entging Zschäpe nicht und mündete Mitte Juli in einen erfolglosen Antrag auf Entlassung der drei.
Nahezu eindeutig bewiesen ist, dass Zschäpe am 4. November 2011 die Wohnung, die sie mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Zwickau teilte, anzündete und damit eine Nachbarin in Lebensgefahr brachte. Schon wegen dieses versuchten Mordes steuert die Angeklagte auf lebenslange Haft zu. An der Mittäterschaft bei den zehn NSU-Morden lassen sich begründete Zweifel vorbringen, die jedoch vor zahlreichen Indizien verblassen, die dafür sprechen. Können die Anwälte keine plausible Erklärung liefern, warum Zschäpe mit ihren Kameraden so abgeschottet zusammenlebte, wird das Gericht die Anklage bestätigen.
Ralf Wohlleben
Es ist praktisch Gewissheit: Für den Mitangeklagten Wohlleben wird der Prozess mit einem Schuldspruch enden. Diese Nachricht hatten seine Verteidiger dem Strafsenat mit einem Antrag auf Entlassung aus der Untersuchungshaft abgerungen. Denn das Gericht entschied, dass Wohlleben in Haft bleibt, weil sich die Vorwürfe aus der Anklageschrift bestätigt hätten. Dort heißt es, der heute 39-Jährige habe den ebenfalls Angeklagten Carsten S. beauftragt, die Mordpistole Ceska 83 zu beschaffen und an das Trio zu liefern.
Wohllebens Verteidiger, vor allem der juristisch äußerst versierte Olaf Klemke, waren im Verfahren zunehmend offensiv aufgetreten und meldeten sich immer wieder mit Anträgen zu Wort. Ein milderes Urteil ist jedoch nur zu erwarten, wenn sich ihr schweigender Mandant zum Reden entschließt.
Carsten S.
Für den mutmaßlichen Waffenkurier S. sieht es gut aus – jedenfalls vergleichsweise. Er soll um die Jahrtausendwende eine Pistole gekauft und dem untergetauchten Trio in Chemnitz übergeben haben. Das wertet die Anklage als Beihilfe zum Mord. Zu den Vorwürfen gegen ihn hat er sich als einziger Angeklagter umfassend eingelassen, im Oktober beantwortete er auch Fragen der Verteidigung von Ralf Wohlleben.
S. muss sich nicht vorwerfen lassen, er habe nicht alles Menschenmögliche getan, um seinen Anteil an den NSU-Taten aufzuklären. Zudem wird er wahrscheinlich nach den Vorschriften des Jugendstrafrechts verurteilt, weil der heute 34-Jährige zur Tatzeit Heranwachsender war. Damit ist eine Bewährungsstrafe denkbar. S. könnte sich dann mithilfe des Zeugenschutzprogramms ein neues Leben aufbauen – was ihm mit dem Ausstieg aus der rechten Szene schon einmal geglückt war.
André E.
Es war eine Geste brüderlicher Liebe: Vor dem Gerichtsgebäude reckten der Angeklagte André E. und sein Zwillingsbruder Mike die rechte Faust nach vorn und stießen sie aneinander. Maik E. hatte aus der Sicht des mutmaßlichen NSU-Unterstützers alles richtig gemacht: Bei seiner Vernehmung Ende Juli hatte er die Aussage verweigert und sogar Richter Götzl mit ein paar patzigen Sprüchen geärgert. Im Januar hatte sich bereits E.s Frau Susann auf ihr Schweigerecht berufen. Solange sein Umfeld die Kooperation verweigert, kann er sich auf der Anklagebank zurücklehnen.
Dreimal soll E. ein Wohnmobil für das Trio gemietet haben – genau in die Mietzeiträume fielen zwei Banküberfälle und die Vorbereitung des ersten Bombenanschlags in Köln von 2001. Auch hielt er bis zuletzt Kontakt. Seine Verteidiger könnten allerdings argumentieren, E. habe sich mit anderen Erklärungen abspeisen lassen und von den Tatplänen nichts gewusst. Umso wichtiger ist es für die Anklage, E.s rechte Gesinnung herauszuarbeiten – doch das machen die Zeugen der Bundesanwaltschaft schwer.
Holger G.
Die Verteidigung von Holger G. spielt höchstes Risiko: Zu Prozessbeginn verlas der Angeklagte eine Erklärung, in der er die Vorwürfe gegen ihn zum Teil abstritt. Andere ignorierte er. Ein solches Verhalten nennen Juristen Teilschweigen – und das wird einem Angeklagten fast immer nachteilig ausgelegt. Schließlich drängt sich die Frage auf, was hier geheim gehalten werden soll.
G. soll dem NSU-Trio unter anderem seinen Führerschein und seinen Reisepass überlassen haben – mit den Dokumenten mieteten die drei immer wieder Autos und Wohnmobile. Von den Morden will er jedoch nichts gewusst haben. Was G. in der Erklärung verschwieg, das puzzelten Richter Manfred Götzl und die Anwälte der Nebenklage zusammen: nämlich, dass er sich lange mit großer Anstrengung in der rechten Szene engagiert hatte. Nachdem er 1997 aus Jena nach Hannover gezogen war, knüpfte er offenbar Kontakte zu dem niedersächsischen Neonazi-Anführer Thorsten Heise. Bis zum Schluss traf sich G. mit dem Trio – was dafür spricht, dass er die Morde zumindest ahnte. Sollte er sich nicht später noch dazu äußern, kann er nicht auf ein mildes Urteil hoffen.