Am 169. Prozesstag lagen die Nerven im NSU-Prozess blank. Streit entbrannte zwischen Nebenklägern auf der einen, Verteidigung und Anklage auf der anderen Seite um die Frage, wie ausführlich das Unterstützernetz des NSU ausgeleuchtet werden muss. Anlass war die Vernehmung des mutmaßlichen früheren Blood-&-Honour-Mitglieds Antje B. Bundesanwalt Herbert Diemer kritisierte, dass zu viele sachfremde Fragen gestellt würden. „Dass Staatsanwälte und Verteidiger am selben Strang ziehen, ist nicht selbstverständlich“, bemerkt Tanjev Schultz in der Süddeutschen. Partei ergriff schließlich Richter Manfred Götzl und ließ die Fragen zu: „Götzl ist offenbar nicht dazu bereit, die Themen des Prozesses so eng zu definieren wie die Ankläger.“
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Thies Marsen vom Bayerischen Rundfunk beobachtet „heftigste Scharmützel“ im Gerichtssaal, die jedoch „unterhaltsam und lehrreich“ gewesen seien. Der Tag habe zahlreiche Fragen darüber aufgeworfen, welche Fragen in diesem Prozess gestellt werden dürfen. Die Bilanz der Sitzung sei jedoch ernüchternd: „Ob das alles der Wahrheitsfindung dient, bleibt fraglich“, schreibt der Autor.
Wir bei ZEIT ONLINE befinden, dass die Befragung möglicher NSU-Unterstützer „das Verfahren derart lähmt, dass selbst die Opfer den Sinn dieser juristischen Durchleuchtung mittlerweile infrage stellen müssten“. Der Helferkomplex ist zwar sehr wichtig, dauert jedoch immer länger – und strapaziert das Gemüt der Prozessteilnehmer. Darunter leiden die NSU-Opfer, deren Fälle noch nicht vor Gericht behandelt wurden: „Wann kommen sie zu ihrem Recht? Eine Antwort darauf kann derzeit niemand sicher geben.“
Richter Götzl hatte die Ladung der Zeugin Antje B. auf Antrag der Nebenkläger angeordnet. Nun ließ er auch weitere Fragen zum Blood-&-Honour-Netzwerk zu. „Das könnte für eine Abkehr von der These stehen, der NSU habe aus drei Personen bestanden“, analysiert Andreas Speit von der taz. Zuvor sei das Gericht in dieser Frage der Bundesanwaltschaft gefolgt. Allerdings scheine „die harte Linie des Gerichtes nun aufzuweichen“.
B. und ihr Anwalt, der sie als Beistand begleitete, wurden immer wieder aus dem Saal geschickt, damit die Prozessbeteiligten über die Fragestrategie diskutieren konnten. Die Zeugin selbst gab sich wie beim ersten Mal wortkarg und vage. „Sie habe nichts gemacht, wisse nichts und habe sich an nichts beteiligt“, fasst Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online ihre Aussagen zusammen. Damit hätten sich die Opferanwälte nicht zufriedengegeben.
B. habe sich „provozierend naiv“ gegeben, als sie sich etwa nicht an den Namen der Band des Blood-&-Honour-Gründers Ian Stuart erinnern habe können. Sie hatte ihn zuvor als Vorbild bezeichnet. Insofern sei die Vernehmung belastend gewesen: „Wäre Antje B. für den NSU-Prozess eine eher unwichtige Zeugin, würde man sich an diesem Mittwoch wünschen, Richter Götzl setze dem nervenden Gezerre bald ein Ende.“
Ab dem 12. Januar beginnt das Gericht mit der Aufklärung des letzten noch unbearbeiteten Terrorkomplexes: des Anschlags in der Kölner Keupstraße von 2004. Wie Holger Schmidt im Terrorismus-Blog des SWR berichtet, sind zunächst erste Opfer und deren Ärzte als Zeugen geladen.
Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 12. Dezember 2014.