Am 181. Verhandlungstag hörte das Münchner Oberlandesgericht im NSU-Prozess den Zeugen Enrico R. – auf Antrag der Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Thema waren die Waffen, die in der rechten Szene kursierten. R.s Aussage sollte nach Willen der Anwälte ergeben, dass der NSU von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt für Schusswaffen nicht auf die Hilfe ihres Mandanten angewiesen war – dem wird die Beschaffung der Pistole Ceska 83 vorgeworfen, mit der neun Menschen erschossen wurden.
Die Rechnung ging jedoch nicht auf, bilanziert Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online: R. „versteckte sich, wie so viele andere Zeugen aus der rechten Szene, hinter Vergessen, Nicht-Wissen, fehlendem Interesse und Nicht-Anwesenheit“.
An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.
R. selbst gab an, er habe keine scharfe Waffe besessen. Dem widersprach jedoch der nach ihm geladene Zeuge. Er gab auch an, Handgranaten und ein Gewehr habe R. als Schutz vor den Truppen des „Russki“ besessen – „wir waren doch alle ausländerfeindlich“.
Zudem kam in der Befragung heraus, dass R. die Gruppe im Jahr 1998 nach dessen Untertauchen in Chemnitz traf. Worum es dabei ging, das wollte er heute nicht mehr wissen. Aus Selbstschutz? „Dass sich das Terrortrio in Chemnitz versteckte, war in der Neonazi-Szene ein offenes Geheimnis“, schreibt Tim Aßmann vom Bayerischen Rundfunk. Die Unterbringung der drei in Chemnitz organisierte R. zufolge der mutmaßliche Unterstützer Thomas S. Mitwisser der Flucht gab es also reichlich – während die Polizei nach Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt fahndete. Daher bleibe die Frage: „Wie konnte das alles den Behörden verborgen bleiben?“
Das Versagen der Sicherheitsbehörden an diesem Punkt ist auch für Frank Jansen vom Tagesspiegel offensichtlich: „Hätte die Polizei die Untergetauchten in Chemnitz erwischt, wäre die Serie von Verbrechen gestoppt und die grausige Eskalation verhindert worden.“ Wie stark R. in den NSU-Komplex verwickelt war und ob er das Trio unterstützte, ist noch nicht abschließend geklärt: „Unklar blieb im Gericht, was Enrico R. mit Waffen zu tun hatte oder auch noch hat.“
R. saß zwischen 1994 und 1997 in Haft. Ob in der Zeit danach Waffen in der Szene kursierten, dazu konnte er nach eigenen Angaben nichts sagen. „Genau dieser Zeitraum ist aber für die Beweisaufnahme im NSU-Prozess entscheidend“, merkt Kai Mudra von der Thüringer Allgemeinen an. Im Jahr 1999 oder 2000 sollen die drei Untergetauchten die Ceska-Pistole erhalten haben.
Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 5. Februar 2015.