Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Bauernschlaue Zschäpe, explosiver Böhnhardt – Das Medienlog vom Donnerstag, 5. März 2015

 

Einen Blick in die Vergangenheit des Nationalsozialistischen Untergrunds lieferte am Mittwoch der Zeuge Christian K., Bruder des Jenaer Neonazis André K., doch aus der rechten Szene ausgestiegen. Vermutlich diesem Hintergrund war es zu verdanken, dass K. vor Gericht unbefangen und fließend erzählte: „Endlich mal, so könnte man sagen, tritt ein Zeuge mit rechtsextremer Vergangenheit nicht penetrant stur und unwillig auf“, beobachtet Frank Jansen vom Tagesspiegel. Trotzdem sei dabei offen geblieben, „ob der Zeuge alles sagt, was er weiß“.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

In der Vernehmung beschrieb er die Mitglieder des NSU, die er als Jugendlicher kennengelernt hatte: Beate Zschäpe war demnach eine Mitläuferin und besaß „Bauernschläue“, Uwe Mundlos war der Ideologe des Trios und Uwe Böhnhardt unberechenbar in seiner Aggressivität. Den Mitangeklagten Ralf Wohlleben beschrieb er als gleichzeitig spaßorientiert und politisch. Eine milde Einschätzung des Mannes, der die Beschaffung der Mordpistole des NSU organisiert haben soll. „Will Christian K. ihn in Schutz nehmen?“, fragt Jansen. Bei einem ominösen Treffen im Januar 2000 will K. auch vom Aufenthaltsort des bereits 1998 untergetauchten NSU-Trios erfahren haben.

Die Redefreudigkeit des Aussteigers sei „eine wohltuende Abwechslung“ nach den häufig mauernden Mitgliedern der rechten Szene, befindet Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung. Bereitwillig gab K. auch Auskunft darüber, dass er nach der Flucht des Trios ein Lied auf die Kameraden gedichtet hatte – allerdings, nachdem er den Kontakt zuvor als spärlich bezeichnet hatte. „Christian K. scheint sich (…) intensiv mit dem Schicksal des Trios beschäftigt zu haben“, merkt der Autor an.

Auffällig ist auch die Schulungsveranstaltung der NPD, bei dem ein ihm unbekannter Mann ihm mitgeteilt habe, dass sich das Trio gerade in Chemnitz aufhalte. „Warum jemand, der nur am Rande mit Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zu tun hatte, auf einmal Insider-Informationen erhielt, ist ein weiteres Rätsel im NSU-Komplex“, heißt es bei uns auf ZEIT ONLINE. Bei aller Offenheit, die der Zeuge präsentierte, müsse gefragt werden, „ob K. womöglich besser vernetzt war, als er zugibt“.

In jedem Fall habe sich der Zeuge deutlich vom rechten Spektrum abgegrenzt, bemerkt Alf Meier vom Bayerischen Rundfunk: K. „will heute ein anderer sein“. Seine Geschichte sei glaubhaft.

Eine neue Regel lässt Fotos und Filmaufnahmen im Gerichtssaal nur noch an zwei Tagen im Monat zu – auf Antrag von Beate Zschäpes Anwälten. Das Gericht wolle so „Zschäpe den Alltag im NSU-Prozess erleichtern“, schreibt Annette Ramelsberger von der Süddeutschen. Zuletzt waren wegen krankheitsbedingter Ausfälle der Hauptangeklagten immer wieder Prozesstage abgebrochen oder gestrichen worden. Bekannt sei, „dass sie sich mit Erschöpfung plagt, dass sie psychosomatische Beschwerden hat“. Die schlimmste Sorge des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl sei, dass das Verfahren deshalb platzen könnte.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 6. März 2015.