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Endlich: objektive Literaturkritik!

Immer ein Riesenstreit: Jemand bespricht ein Buch, einen Text, irgendein literarisches Erzeugnis – und plötzlich ist das Geschrei groß: „Wieeee?“, „Warum?“, „Ich find das doch total gut!“, „Ihr blöden Kritiker“, usw. Kritiker sind Menschen. Aber könnten Maschinen es besser? Beim diesjährigen Bachmann-Preis gab’s zum ersten Mal einen automatisch generierten Literaturpreis anhand fester Kriterien: den Preis der Riesenmaschine. Gewonnen hat diesen Preis Tilman Rammstedt, der ja auch den Hauptpreis bekam. Sehen Sie hier den Kriterienkatalog der Maschine. (LA heißt Lastenausgleich)

 

Weisheit für den Haushalt

Peter Hein ist der Sänger der großartigen Fehlfarben. Ein Buch hat er auch schon geschrieben. Geht so heißt es und erzählt vom Leben in deutschen Städten. Da ich das seit Wochen, ach, Monaten bestellt habe, und es immer noch nicht da ist, werde ich mich jetzt an einer Weisheit Peter Heins erfreuen, die er auf dem Album Knietief im Dispo einst sang:

„Sperrmüll an Regentagen hat sich nicht wirklich bewährt“

 

Sex, Literatur und die Stadt

Im Film Sex and the City liest Sarah Jessica Parker ein Buch namens Liebesbriefe großer Männer – und weil sich ja viele Frauen mit der Rolle der Carrie identifizieren, gehen sie ins Internet und fragen nach dem Buch. Dumm nur: Das gibt es gar nicht! Allerdings eines mit ähnlichem Titel. Love Letters From Great Men and Women heißt es, und dümpelte bisher auf einem sechsstelligen Amazon-Verkaufsrang. Nun aber ist es unter den 150 meistverkauften Büchern. Was so ein Film alles anrichtet…

 

Mal wieder Harry Potter

Eine kleine Vorgeschichte von Harry Potter ist am Dienstagabend in London für 25 000 Pfund (mehr als 31 500 Euro)
versteigert worden. In dem nur 800 Worte langen Text beschreibt die Autorin Joanne K. Rowling Ereignisse, die noch vor ihrem 1997
erschienenen ersten Potter-Band spielen. Die handgeschriebene Mini-Geschichte namens Potter Prequel behandelt die Zeit drei Jahre vor der Geburt des Zauberlehrlings. Die Interessenten lieferten sich nach Angaben der Nachrichtenagentur PA um die DIN-A5-große handbeschriebene Karte einen Bieterwettstreit.

Rowling hatte die Vorgeschichte Monate nach dem Erscheinen des siebten und letzten Potter-Bandes eigens für die Auktion für
wohltätige Zwecke geschrieben. Harry Potter und die Heiligtümer des Todes kam im vergangenen Juli auf Englisch heraus. Die Potter-Bücher verkauften sich weltweit mehr als 375 Millionen Mal. Im vergangenen Dezember hatte Rowling ihr handgeschriebenes Buch The Tales Of Beedle The Bard für fast zwei Millionen Pfund versteigert.

Außer Rowling spendeten jetzt auch andere berühmte Autoren – unter ihnen Doris Lessing, Nick Hornby, Margaret Atwood und Sebastian Faulks – kleine Werke. Der Text von Doris Lessing brachte so 3000 Pfund ein. Der Gesamterlös soll der englischen Sektion der Schriftstellervereinigung P.E.N. sowie dem Legastheniker-Programm Dyslexia Action zur Verfügung gestellt werden. (dpa)

 

Keine Zeit? Lesen Sie Twitterstorys!

Twitter kennen ja inzwischen die meisten. Diese feine Internetplattform für 140 Buchstaben persönliche Gedanken. Dass dieses Portal man eine Literaturform begründen würde, war irgendwie auch abzusehen. Herauskommen dann gaaaaaanz kurze Geschichten. Bevor jetzt einige die Nase rümpfen: In den USA gab es einen ersten Wettbewerb. Die Resultate sind teilweise sehr interessant. Da klopft die Frage an, ob wir es hier nicht mal versuchen sollen? Haben Sie Lust und 140 Buchstaben Zeit für eine Geschichte? Wenn ja, schicken Sie sie mir!

 

Was les ich zur EM?

Da kommt man zurück nach Deutschland, hat seine Urlaubstasche noch gar nicht richtig ausgepackt – schon begegnet einem der Fußballwahnsinn! Menschen laufen bei knapp dreißig Grad in Polyesterhemdchen rum, Fähnchen wehen an Autos, Kneipen bauen Leinwände auf, und die Freunde haben keine Zeit mehr und reden von Mannschaftsaufstellungen, Torwartproblemchen, Bierkaltstellen und der Frisur von Bastian Schweinsteiger. Ja, es ist EM, ja, darüber muss man reden. Etwa so: Plötzlich erzählt mir ein Bekannter, er begeistere sich nun für Rumänien, allein, weil er den Stürmer Adrian Mutu so toll findet. Jetzt wolle er da auch mal hin, Bukarest sehen, das kleine Paris. So einfach geht das? Und: Geht das auch mit Büchern? Daher empfehle ich jetzt mal was. Für jedes EM-Team ein Buch aus ihrem Land, das Sie dann lesen können, wenn spielfrei ist. Und los geht’s:

Gruppe A:
Peter Stamm, Blitzeis (Schweiz)
Karel Čapek, Der Krieg mit den Molchen (Tschechien)
José Saramago, Das Todesjahr des Ricardo Reis (Portugal)
Orhan Pamuk, Rot ist mein Name (Türkei)

Gruppe B:
Dorota Maslowska, Schneeweiß und Russenrot (Polen)
Clemens Meyer, Als wir träumten (Deutschland)
Franz Grillparzer, Der arme Spielmann (Österreich)
Roman Simić, In was wir uns verlieben (Kroatien)

Gruppe C:
Mircea Cartarescu, Die Wissenden (Rumänien)
Cees Nooteboom, Allerseelen (Niederlande)
Louis-Ferdinand Celine, Reise ans Ende der Nacht (Frankreich)
Und weil Italien es leicht haben wird, ins Finale zu kommen, gibt’s etwas schweres zu lesen: Dante, Die göttliche Komödie – naja, vielleicht doch besser Italo Calvinos Der Ritter, den es nicht gab

Gruppe D:
Vladimir Sorokin, Die Schlange (Russland)
Stig Larsson, Die Autisten (Schweden)
Berta Marsé, Der Tag, an dem Gabriel Nin den Hund seiner Tochter im Swimmingpool ertränken wollte (Spanien)
Aischylos, Orestie (Griechenland)

Viel Spaß und frohes Fußballgucken.

 

Nicht schon wieder, Eva!

Sie ist wieder da. Ein halbes Jahr nach ihrem Arche Noah-Prinzip hat Eva Herman mal wieder etwas in die Tastatur gegossen. Und weil es ihr ständig ums Prinzip geht, heißt das neue Buch Das Überlebensprinzip. Oha. Wandelt sie jetzt auf den Spuren von Rüdiger Nehberg? Erzählt Sie uns, wie wir überleben in dem Dschungel aus NS-Autobahnen und NS-Familienpolitik, in den sie sich ehedem begab? Und vielleicht wie wir dort den besten Apfelkuchen backen?

So ähnlich. Sie beantwortet die Fragen, die uns schon lange unter den Nägeln brennen: „Was würde Eva Herman heute anders machen?“, heißt es im Pressetext. Eine Anregung hätt‘ ich da: Keine Bücher mehr schreiben?
Weiterhin verspricht sie Folgendes zu beantworten: „Warum mag sie keine Kinderkrippen? Welche Werte sind ihr wichtig?“ Oh, Eva! Bzw.: Herr Gott! Denn um den geht’s auch wieder: „Warum wir die Schöpfung nicht täuschen können“, lautet der Untertitel des Buchs. Da saust uns allen jetzt schon mächtig der Frack. Jedoch: „Das Buch ist kein ‚wir rechnen mit der Welt ab‘, sondern Eva Herman nimmt Bezug auf Reaktionen, geht darauf ein“, sagt Pressesprecherin Annegret Rüdiger vom Hänssler-Verlag. Da hat Kerner noch mal Glück gehabt.

 

Literatur für Partys

Neulich sagte eine sehr gute Freundin, ich hätte ihr gegenüber einen sozialen Vorteil, da ich Literaturwissenschaft studiert habe und sie Biochemie. Denn über Literatur könne man überall reden. Auch und besonders auf Partys. Ihr Studium helfe ihr da bloß, falls jemand wissen wolle, wie er den Kater am nächsten Tag wegbekomme. Somit sei allen Biochemikern, Maschinenbauern, Physikern und Juristen diese kurze Party-Literatur-Smalltalk-Anleitung gegeben. (Die Bücher sollten Sie gelesen haben, ist aber auch nicht schlimm, wenn nicht)

Zunächst: Reden Sie nie über Handke! Daran gingen schon Freundschaften zu Bruch. Sagen Sie höchstens: „Sein Frühwerk gefällt mir ganz gut, schade nur, dass er da noch so viel von Kafka geklaut hat.“ Wenn Sie auf Krawall aus sind, schieben Sie nach: „Ich finde es ganz bemerkenswert, dass er seinen Milosevic-Fimmel aus seiner Literatur heraushält.“

Aber besser nicht Handke. Reden Sie lieber über Süßkind! Sagen Sie, wie mittelmäßig Ihnen Das Parfüm gefallen hat im Vergleich zu Die Taube, die ja viel weniger kennen. Da können Sie auch wieder den Kafka-Satz anbringen, denn auf die Taube trifft das auch zu. Beklagen Sie danach den Zustand der deutschen Literatur. Sagen Sie, dieses ganze brave realistische Erzählen sei mutlos und langweilig. Loben Sie Clemens Meyer als eine Ausnahme. Sagen Sie, er sei sehr amerikanisch, mehr wie Hemingway. Das ermöglicht den Schlenker zu amerikanischen Kurzgeschichten. Zeigen Sie sich begeistert von T.C. Boyles ersten Sätzen (Wenn möglich zitieren. Notfalls gehen Sie vorher in die Buchhandlung und schreiben einen ab.). Bejubeln Sie dann Raymond Carvers Kurzatmigkeit. Wenn Ihnen immer noch zu wenige Leute staunen, sagen Sie, dass Carver heute hierzulande durchaus seine Epigonen hat: Peter Stamm oder Judith Hermann etwa. Aber bei WEIIIIITEM nicht so gut. Trinkpause.

Gerne können Sie auch Namen osteuropäischer Autoren einstreuen. Milena Oda, Jagoda Marinic, Alek Popov. In deren Prosa stecke eine Energie… Schnalzen Sie mit der Zunge, breiten Sie die Hände aus und nehmen noch einen Schluck.

Seufzen Sie dann und erinnern sich an Brecht! Der hatte noch was zu sagen, sagen Sie. Außerdem finden sich da immer genügend Zuhörer, den hat ja jeder in der Schule gelesen. Fangen Sie seicht an und bemerken Sie, dass der Gute Mensch von Szechaun aus der neunten Klasse immer noch wie eingebrannt sei. Falls Ihnen jemand widerspricht und Sie schon angeheitert sind, lassen Sie den Peter Gauweiler raus: Brechts „Kleines Organon vermittelt darüber hinaus die Diktion, welche man braucht, um im Deutschland von heute als kritischer Mensch zu gelten.“ Kommt bestimmt super an.

Wenn man dann von Schule und Brecht fast unvermeidlich zu Hesse kommt, bügeln Sie jeden Beitrag sofort ab: „Hesse? Pah! Viel zu barock!“ Sagen Sie, nur den Steppenwolf hätten Sie mit Gewinn gelesen. Ansonsten nerve Sie das Kalenderspruchartige seiner Lyrik, seine Romane seien viel zu blumig, und seine Aquarelle könnte man in jedes Sparkassen-Foyer hängen. In neun von zehn Fällen kommt jetzt ein anderer deutschsprachiger Nobelpreisträger. Zu Grass passt zwischen Bier und nächstem Bier ein Satz: „Die Blechtrommel gut, die restlichen Romane aber zu betulich, seine Lyrik hingegen, hach ja, völlig unterschätzt!“

Kommen Sie dann rasch zu Arno Schmidt, bevor dieser ganze Flakhelferkram Ihnen die Feier versaut. Schmidt ja, der hätte den Nobelpreis bekommen sollen, und dann sagen Sie wörtlich: „Der ist wirklich so genial versponnen.“ Hören Sie auf zu schwärmen! Bemerken Sie beiläufig, wie Schmidts Montagetechnik die postmoderne deutsche Literatur beeinflusste. Die Partyküche wird sich leeren.

Diejenigen, die noch da sind, können Sie mit Ihrem Wissen zu Jörg Fauser beglücken. Sagen Sie: „Schon tragisch, dass jemand einfach so an seinem Geburtstag von einem Laster überrollt wurde.“ Wenn Sie schon bei Tragik sind, schieben Sie Kleists Kampf mit Goethe hinterher. „Kleist wollte doch immer nur Goethes Anerkennung. Deswegen hat er sich erschossen damals am Wannsee.“ Aber bleiben Sie nicht so lange in der Klassik, da ist das Eis dünn, da gibt es zuviele Profis. Trinken Sie nach diesem Satz lieber noch ein Bier und gehen tanzen. Wenn noch jemand reden möchte, verweisen Sie auf John Dryden und sagen: „Tanzen ist die Poesie des Fußes.“