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Dan Browns CO2-Bilanz

Ein paar läppische Fragen zum Herbst:

– Kann man David Foster Wallace‘ Infinite Jest eigentlich jemals durchlesen? (Seite 837…)

– Warum in aller Welt wurde Pu der Bär fortgeschrieben?

– Wäre Der Turm nicht besser ein Sat.1-Zweiteiler?

– Schneuzen oder hochziehen?

– Wann wird endlich auf Klappentexte verzichtet, in denen „wunderbar“, „herrlich“, „Weltliteratur“ und/oder „Meisterwerk“ steht?

– Wie viele Bücher wurden in diesem Jahr auf Buchmessen geklaut?

– Wie sieht Dan Browns CO2-Bilanz aus?

– Sind Geheimbundromane nicht schon seit dem 18. Jahrhundert aus der Mode?

– Wer hat Angst vor dem E-Book?

– Warum liest in Deutschland eigentlich niemand Kurzgeschichten?

– Warum beginnen so viele Rezensionen mit „Um es gleich vorweg zu nehmen“?

Jaja, der Vorhang zu und alle… Sie kennen den Rest.

 

Heidi Klums gewachstes Auto

Ein Buch, ein Buch. Aber von vorn: Heidi Klum kennen Sie bestimmt. Das ist die stählern lächelnde Dame, die in fast allen deutschen Werbespots mitspielt und auf einem Privatsender junge Mädchen mit viel zu hohen Absätzen und Wünschen durch Studiosperrholz scheucht. Damit macht sie unfassbar viel Geld, und das wäre auch in Ordnung, wenn nicht Zeitungen und Fernsehsendungen pausenlos versuchten, hinter das Geheimnis ihres Erfolgs und Aussehens  zu kommen. Dazu genügt oft ein nichtiger Anlass, etwa das Erscheinen von Frau Klums neuem Fotoband Heidilicious. So jüngst geschehen auf Spiegel Online. Ganze zwei (!), als Rezension eines Fotobands (!!)  getarnte Seiten voller funkelnder Erkenntnisse. Nämlich so:

„Heidi lächelt ihre Neider in Grund und Boden, und was sie anfasst, wird zu Gold. Heidi Klum ist der Midas im Model-Business – und ein gutgelaunter noch dazu.“

Weil nämlich der Midas im antiken Business gar nicht gut drauf war, er wäre fast verhungert, und ihm wuchsen Eselsohren. Heidi hingegen…

“…ist leutselig, frohsinnig, ein ökonomisches und biologisches Wunderwerk. Heidi Klum bekommt Kinder wie nebenbei.”

Sag bloß! Echt wahr? Ein biologisches Wunderwerk.

“Alles ist ihr unheimlich wichtig. Und so scheint sie uns so unheimlich zu sein wie die Grinsekatze aus Alice im Wunderland. Unheimlich unheimlich sozusagen.“

Sozusagen.

„Die Kritik perlt an ihr ab wie saurer Regen auf einem frisch gewachsten VW Tiguan…”

Achso, saurer Regen, der war groß in den Achtzigern. Und was ist jetzt mit den Bildern?

“Abwechslungsreich sind die Bilder allein deswegen, weil Rankin sein Lieblingsmodel zu verschiedenen Zwecken fotografierte.”

Weil sowas kommt immer von sowas.

“Manches sind Werbebilder, andere wurden für Modestrecken produziert. Genaueres erfährt man jedoch nicht, denn Angaben zu den Aufnahmen sucht der Leser vergeblich.“

Manno. Aber:

„Hübsch anzusehen sind sie in jedem Fall: Klum posiert mit Schokolade übergossen…”

… die süß ist und trotz frisch gewachster Beine nicht abperlt.

“… trägt ein durchsichtiges Tuch über dem Nichts…”

Wo?

“… wie einst Marilyn Monroe, leckt an ihrem Tattoo auf dem Unterarm, sie steht am Pool im Bikini-Höschen und High-Heels.”

Im High-Heels, klar.

“Mal reckt sie den Hintern in die Kamera, mal den Busen. Hier steckt sie sich einen Finger ins Bustier, dort in den…”

Pfui Deibel!

“… Slip.”

Puh.

“Im Interview, das der Fotograf mit seinem Model führte (…), antwortet sie: ‚Ich schätze, manche Menschen haben einfach mehr Energie als andere.‘ Das ist zweifelsohne richtig. Manche Sätze haben auch einfach mehr Inhalt als andere.”

Und weil das so ist: Zeigt das nächste Mal doch einfach nur die Bilder.

 

Ach, Karasek

Auch das noch. „Sex wie bei Shakespeare“ titelt Spiegel Online, und dahinter verbirgt sich eine Rezension des neuen Buchs von Hellmuth Karasek. Sein 21. sagt der Text. Ja, wie doch die Zeit vergeht, wenn man sich amüsiert. Es trägt den Titel Ihr tausendfaches Weh und Ach, und thematisch mache „das Buch genau da weiter, wo Karasek mit den Lobgesängen auf Pooths Brüste (Anm. d. Verf.: Veronas, nicht Franjos), ‚ihre Bronzebräune‘ und ihren ‚Sex-Appeal ohne billige Mätzchen‘ in der Bild aufgehört hat…“.

Der aus „Funk und Fernsehen bekannte Literaturkritiker“ berichtet nun von seinen erotischen Erfahrungen und vergleicht diese mit denen berühmterer Schriftsteller. Die im Text zitierte Kostprobe geht so:

„Auch das Öffnen ihrer Bluse gelang ihm, Knopf um Knopf lenkte er sie mit Küssen ab. Natürlich vernestelte er sich, als er ihren Büstenhalter zu öffnen versuchte, aber dann sah er zwei wunderbare Halbkugeln…“

Wow.

Und natürlich vernesteln wir uns, wenn wir das Geheimnis zu lüften versuchen, wen solche discount-erotischen Schnurren interessieren sollen. Auch die Rezension ist da unentschieden. Aber sie liefert den wohl besten Klappentextsatz seit langer Zeit, erfrischend weit weg von lahmer Emphase wie „Dieses Buch lehrt uns sehen“ oder „Wunderbar, herrlich, ein Meisterwerk!“ Also, wer auch immer die Taschenbuchrechte dieses Werks ersteht, er drucke dieses bitte hinten drauf:

„Nachdem er zuletzt als Joker in der ‚5-Millionen-SKL-Show‘ aufgetreten ist und für Tintenfüller geworben hat, hat der langjährige SPIEGEL-Kulturchef nun mal wieder ein Buch geschrieben.“

Das „nun mal wieder“ des Jahres.

 

Kleine Messe-Benimm-Regeln

Ich habe inzwischen alle Peinlichkeiten auf der Messe ausprobiert und kann Ihnen nur empfehlen, sich ähnliches zu ersparen. Deshalb hier folgende Tipps:

1. Vermeiden Sie typische, dumme Messekonversation wie diese:

Ich sagte gestern zu Sebastian Koch: „Ja, natürlich kenne ich Sie. Ich bin ein natürlich ein großer Fan. Spätestens seit dem Film Mephisto.“
Er bedankte sich sehr freundlich. Doch heute morgen fiel mir ein, dass der Film „Mephisto“ mit Sebastian Koch gar nicht existiert.
Oder auch dieses schöne zweite beobachtete Beispiel. Jemand, ich weiß nicht mehr, wer es war, denkelte verschlafen über Kathrin Schmidt nach: „Diese Andrea Schmidt. Kenn ich natürlich alles. Die hat doch den Buchpreis bekommen.“

Tragen Sie deshalb verschiedene Lexika bei sich: Kindlers Literaturlexikon (In der Taschenbuchausgabe sind die 22 Bände etwas leichter), aktualisiertes Schauspieler- und Filmlexikon, Sportergebnisse der letzten Jahre, Geschichtsbuch.
Vielleicht haben Sie aber auch schon ein Telefon mit eingebautem Internet…

2. Empfänge, Messepartys, Menschenmenge

Versuchen Sie auch vor Verlagspartys in diversen Clubs und Bars niemals mit dem Türsteher zu diskutieren, sich vorzudrängeln, eine eigene Schlange zu bilden, sich generell auch ohne Einladung eingeladen zu fühlen. Ich habe das schon alles für Sie ausprobiert und kann Ihnen immer nur ans Herz legen, Abstand zu Türstehern zu halten und deren hässliche Regeln niemand versteht und für Sie selbst nur erniedrigend sind.

Zum ersten Mal in diesem Jahr feierte der Piper-Verlag ein rauschendes Fest im Velvet-Club, wo sich eine lange Schlange vor der Tür bildete, sich um die Säulen schlängelte, wo dann auch der eisige Wind durchfegte und durch die ganzen Drehungen um Säulen und Menschen noch etwas Rauer wurde. Wie Eingangs bereits angedeutet, war ich auch ohne Einladung, spazierte aber trotzdem munter und peinlich an der Schlange vorbei. Ich war die Andrea-Hünniger-Schlange. Ich lachte im vorbeigehen noch Kollegen aus, die frierend ihre Mäntel noch etwas weiter zuknöpften und rote Nasen von qualvollen Minuten im Frankfurter Winter erzählten. Leider scheiterte ich an dem Türsteher, er verwies mich „ganz nach hinten in die Schlange“. Als ich mich ungefähr mittig einreihte, kam er persönlich noch einmal und sagt: „Du“, wie ein Kampfschrei, „Du gehst hier raus und stellst dich wieder ganz nach hinten in die Schlange!“
Im übrigen sind immer Leute in der Schlange, die Sie kennen und vermutlich diese Vorkommnisse weiter erzählen oder gleich mit dem Telefon filmen.

3. Viren

Haben Sie ein Desinfektionsspray zur Hand, um sich nach Kontakt mit Menschen gleich alle Viren von Gesicht und Hand zu sprühen. Krankheiten treiben sich hier herum, angefangen von Unhöflichkeit bis zum unerträglichen Messeschnupfen.

4. Haben Sie immer Ausreden parat und tuen Sie sehr geschäftig

Polizei: „Machen Sie mal bitte Ihren Koffer auf.“
Ich: „Ich bin beruflich hier.“
Polizei: „Na und?“
Ich: „Ich bin auch zu müde, um den Koffer zu öffnen.“
Polizei: „Na gut, dann gehen Sie durch.“

5. Bücherklau

Jeder denkt daran. Beinahe jeder hat es schon getan. In der Grauzone der Messe weiß man eigentlich auch gar nicht, ob das überhaupt verboten ist. Nun denn.
Wenn Sie das schon vorhaben, dann sollten Sie das auch geschickt tun:
Gehen Sie zu einem Stand, schauen Sie interessiert und kritisch die Bücherregale an. Nehmen Sie ein Buch, blättern Sie, schauen Sie doch mal zwischendurch auf Ihr Telefon. Begrüßen Sie doch jemanden am Stand, den Sie natürlich nicht kennen. Entfernen Sie sich langsam.
Greifen Sie nicht wahllos zu, denn diese Bücher muss man auch wegtragen können und vermutlich auch lesen.

 

Günter Grass und das Geheimnis der Menschheit

Ich würde nie behaupten, der Auftritt von Günter Grass sei großspurig oder sogar breitbeinig. Nein, es ist viel schlimmer. Er ist im ersten Moment sympathisch. Er erregt Mitleid. Er wirkt zart und eingesunken, der arme geschundene, ausgeschimpfte alte Mann, der mal was bei den Nazis gemacht hat. Günter Grass ist diese kleine nette arme Schnecke, die man beschützen möchte, ihr den Weg frei räumen, eigentlich am liebsten ins Grüne, Freie und Friedliche hinaustragen tragen will.

Aus den Büchern "Im Schneckengang" oder "Beim Schälen eines Schneckenhauses"
Aus den Büchern "Im Schneckengang" oder "Beim Schälen eines Schneckenhauses"

Im ersten Moment denkt man so etwas. Aber Günter Grass ist nicht zum anschauen da, der Mann redet und das besonders viel, umfassend, großkalibrig, ernst, die Gesamtsituation überschauend. Und die Gesamtsituation ist schlecht. Ja, schrecklich. Für Grass ist die Welt aus den Fugen geraten. Angefangen bei den Nazis, die eine gesamte Nation grassisch ausgedrückt verführt hat, aber „wir haben uns aber auch – und Achtung – verführen LASSEN!“. Das klingt so ungeheuer schön pathetisch und tragisch, dass sich Grass ein wenig darin zu baden beginnt während Fragen des Journalisten mit viel Einfallsreichtum umgangen werden. Im übrigen, schließt er jetzt die verführerische Nazigeschichte, falle ihm da auch China ein, und wo wir gerade bei China sind, die ganze Welt ist ja furchtbar, denn jeder Sechste Mensch in der Welt hungert und keiner tut etwas dagegen. Dabei vergisst er natürlich nicht, noch das Thema der Deutschen Einheit und den Wir-sind-das-Volk Gedanken erneut auszubreiten. Aber die Geschichte verführt dazu ja auch und ist manchmal ein großer leuchtender Süßigkeitenladen.

 

Man kann es auch Sprache nennen

Hier zwischen den Hallen, in den schmalen Gängen, wo gedrängelt und getrunken werden kann, hier in der Enge der Buchmesse wohnt auch die Sprache:

Ein außerordentlich kluger Kollege fragt die nette Servicekraft hinter der Theke nach einer Apfelschorle. Sie zapft ordentlich und ruckelt an einer Maschine rum. Ein prickelnd gelbes Getränk stellt sie auf die Tresen. Schaum schlägt sich am Glas nach oben. „Ist das Bier? Ich wollte doch eine Apfelschorle?“, fragt der Kollege als Kunde.

Sie dann: „Sie können das schon auch als Apfelschorle trinken!“

Sprache hinterlässt so viele Fragen!!!

 

Kleine Szene zwischen Büchern

Polizeioberwachtmeisterkommissar Fischer in dunkelblauer Polizeiuniform steht am KiWi-Stand. Er hat sich nicht verlaufen, sagt er und atmet eine Sekt-Fahne in die Luft. Ich dachte, das wäre ein Scherz, die Uniform Attrappe, der Mann eigentlich ein Mitarbeiter des Fischer-Verlags. Polizeioberwachtmeisterkommissar erklärte aber, dass er zur Sicherheit, zum Schutz aller vor irgendeiner dunklen Gefahr anwesend wäre. Und die Gefahr, sagte er, könnten die Urigesen sein. Das sind diese kleinen armen Menschen, die nur Stände draußen vor dem Haupteingang im Regen haben und Schilder mit Protest-Formeln schreiben.

 

Berichte von der Messe

Heute startet die Buchmesse. Ort: Frankfurt, Gastland: China, Ich: nicht da. Leider. Stattdessen wird die von mir sehr geschätzte Reporterin Andrea Hünniger dieses Blog mit Schnipseln aus den Messehallen befüllen. Andrea Hünniger ist Autorin der ZEIT und ZEIT ONLINE und schreibt über Literatur, Film, Tanz und sogar über Dan Brown.

Ihre Beiträge werden Sie in den kommenden Tagen hier finden. Mehr zur Buchmesse finden Sie auf unserer Themenseite.