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Der braune 1. Mai – Zwischen Ausschreitungen und Flops

 

Foto: Kai Budler
Neonazis am 1. Mai in Erfurt, Foto: Kai Budler

Fast 2.000 Neonazis zogen am 1. Mai auf verschiedenen Demonstrationen bundesweit durch die Straßen. Zwischen Ausschreitungen und Mobilisierungsflops war das Spektrum der Veranstaltungen weit – unser Bericht mit Bildern.

Von Ney Sommerfeld, Fabian Schumann, Kai Budler,  Stefan Laurin, Theo Schneider, Hardy Krüger, Felix M. Steiner, Bilder von Visual.Change

Plauen: Eskalation und brutales Vorgehen gegen Gegendemonstration

Im zweiten Jahr in Folge ist die Demonstration des „Nationalen und Sozialen Aktionsbündnisses 1. Mai“ eskaliert. Im zweiten Jahr haben Teilnehmer der Demonstration Gegendemonstranten brutal angegriffen.  Die Stimmung der rund 800 nach Plauen gereisten Neonazis war von Anfang an aggressiv. Besonders mit dem Eintreffen des „antikapitalistischen“ Blockes, der zuvor bundesweit von Neonazi-Gruppierungen beworben wurde, heizte sich die Stimmung immer weiter auf. Die angereisten Teilnehmer stammten vor allen aus Sachsen, Bayern, Thüringen, Hessen, BErlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Wie schon in den vergangenen Jahren wurde damit vom „Aktionsbündnis“, welches vor allem von Kadern des verbotenen „Freien Netzes Süd“, die jetzt in der Neonazi-Kleinstpartei der „III. Weg“ aktiv sind, die größte extrem rechte Demonstration der Bundesrepublik durchgeführt. Unter den Teilnehmern der Neonazi-Demonstration befanden sich neben NPD-Funktionären wie Thomas Wulff aus Hamburg auch Funktionsträger der Partei „Die Rechte“ und natürlich zahlreiche Kader des „III. Weges“. Außerdem waren zahlreiche Kameradschafts-Gruppierungen aus ganz Deutschland angereist.

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Noch während der Anreise der Neonazis hatten es rund 50 Gegendemonstranten auf die Strecke geschafft. Die Blockade wurde allerdings vor dem Beginn der rechten Demo freiwillig geräumt. Nach dem Start der Demonstration konnten die Neonazis rund zwei Drittel der Strecke ohne größere Störungen laufen. Aufgrund von Gegenprotesten wollte die Polizei nach einem Steinwurf auf die Neonazi-Demo auf eine andere, kürzere Route verlegen. Dies jedoch verweigerten die Organisatoren und lösten kurzerhand die Demonstration auf. Anschließend eskalierte die Demonstration schnell und die Polizei setzte Pfefferspray, Tränengas und Wasserwerfer gegen die Neonazis ein. Das Agieren der Neonazis glich damit in weiten Teilen der Situation am 1. Mai 2015 in Saalfeld, wo es nach einem ähnlichen Ablauf auch zu erheblichen Ausschreitungen kam. Nachdem sich die Lage beruhigt hatte, meldeten die extrem Rechten kurzerhand eine Spontandemonstration an und konnten so ungestört ihre Veranstaltung fortsetzen.

Wie schon in den letzten Jahren waren erneut zahlreiche Neonazis mit Presseausweisen im Umfeld der Demonstration unterwegs und gelangten so permanent durch Polizeiabsperrungen, Fotografierten Journalisten und Gegendemonstranten ab. Kurz vor der Eskalation der Lage kam es zu einem schweren Übergriff eines Neonazis auf eine Gegendemonstrantin. Offensichtlich schlug der Neonazi die Frau mit einem Kamera-Stativ direkt ins Gesicht. Die Frau ging umgehend zu Boden während ein weiterer Neonazi erneut auf die Frau losgehen wollte. Nur das Eingreifen einer weiteren Gegendemonstrantin konnte hier wohl Schlimmeres verhindern. Neben den Ermittlungen des Tatverdächtigen, ein 34 jähriger Sachse, der aus Hessen stammt, wird auch die Frage zu stellen sein, ob er zur Gruppe der Neonazis gehörte, die sich mit Presseausweisen freien Zugang verschafft haben.

Weitere Bilder vom Presseservice Rathenow

Weitere Bilder von Felix M. Steiner

Erfurt: „Alle wehrhaften Männer nach vorn“

Bei den verschiedenen Aktionen zum 1. Mai 2016 im Bundesgebiet versucht sich „Die Rechte“ (DR) als strömungsübergreifende Sammlungspartei zu profilieren. Bereits im Juli 2015 hatte der langjährig aktive Neonazi Michel Fischer einen Aufmarsch zum 1. Mai 2016 angemeldet – geplant war offenbar eine gemeinsame Aktion mit der NPD in Erfurt um Enrico Biczysko, der ebenfalls einen Aufmarsch angemeldet hatte. Nach einer Absage seitens der NPD sprangen DR-Kader aus Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Nürnberg, Sachsen und Sachsen-Anhalt in die Bresche und setzten einen Gegenpunkt zum Aufmarsch der Splitterpartei der „III. Weg“ in Plauen. Tatsächlich waren die Thüringer Neonazis in der Minderheit, als sich der Aufmarsch mit etwa 250 Teilnehmern und dem mit einem Banner des Holocaustleugner-Dachverbandes „Europäische Aktion“ geschmückten Lautsprecherwagen in Bewegung setzte. Immer wieder dominierten Parolen mit deutlichem Bezug zum Nationalsozialismus und antisemitischem Inhalt die Sprechchöre, auch die Gewaltbereitschaft war nicht zu übersehen. Nachdem sich die Neonazis sich zu einer Zwischenkundgebung mit DR-Rednern und einer Vertreterin des „Nationalen Kollektivs Anhalt“ zusammen gefunden hatten, heizte Fischer die Stimmung weiter an. Er forderte „Alle wehrfähigen Männer nach vorn“ – und sorgte damit für Flaschen- und Böllerwürfe in die Menge der Gegendemonstranten. Die Polizei setzte Reizgas und Schlagstöcke ein und drängte die aggressiven Neonazis in Richtung Bahnhofsvorplatz, wo ihre Endkundgebung stattfand. Neben zwei DR-Vertretern zeigte auch Matthias Fiedler von der NPD im thüringischen Eichsfeld deutliche Sympathien für diese Art von Kooperation. Sie ist offenbar als längerfristige Kampagne geplant, denn zum Ende kündigte Fischer bereits einen Aufmarsch zum 1. Mai 2017 in Halle/Saale an. Damit kopiert das Netzwerk die Grundidee der Kampagne „Tag der deutschen Zukunft“ (TddZ), die seit 2009 bundesweit in wechselnden Städten Aufmärsche organisiert. Auch die Parole „Alle wehrfähigen Männer nach vorn“ stammt von einem der TddZ-Organisatoren, Dieter Riefling. Auf Rieflings Rede im Sommer 2013 hatte der Politologe Hajo Funke erklärt, „so klingt die furchtbare Melodie des braunen Terrors“. Nach dem offiziellen Ende des Aufmarschs reisten etwa 50 Neonazis um Fischer für einen Spontanaufmarsch ins rund 20 km entfernte Weimar. Dort kam es zu teils erheblichen Auseinandersetzungen, als die Polizei wegen des Verwendens von Zeichen verfassungswidriger Organisationen die Personalien von Neonazis aufnehmen wollte.

Schwerin: Große Inszenierung und massive Polizeigewalt

Unter dem Motto „Für Volk und Heimat“ demonstrierten etwa 400 Neonazis, vorwiegend aus dem Norddeutschen Raum, in der mecklenburg-vorpommerischen Landeshauptstadt Schwerin. Die Teilnehmer kamen vor allem aus dem NPD- und JN-Spektrum. Mit einem „Black Block“, angeführt durch die „Nationalen Sozialisten Rostock“, war das Spektrum der freien Kameradschaften und der „Autonomen Nationalisten“ ebenfalls anwesend. Die Demonstration galt als Startschuss für den Wahlkampf der NPD, die sich den Wiedereinzug in den Schweriner Landtag am 4. September erhofft. Der Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs versprach den „härtesten Wahlkampf“ der Partei und prognostizierte einen Wahlsieg von 6 Prozent und mehr für die NPD. Mit der Veranstaltung setzte sich der Landesverband mit einem Fahnenmeer, einem prominenten Redneraufgebot und Verkleidungen in Szene. Der Demonstration voran lief eine Frau in einer Burka mit US-Dollar am Gesicht. Auf einem Wagen saßen mehrere Personen als Merkel und Uncle Sam verkleidet. Die Spitze der Demonstration wurde angeführt durch den Bundesvorsitzenden Frank Franz, den Bundesvize und Landeschef Stefan Köster, Udo Pastörs sowie den Schweden Stefan Jacobsson, die als Redner auf der Demonstration gesprochen haben.

Mit einem Großaufgebot unterband die Polizei jegliche Proteste in Hör- und Sichtweite zu dem NPD-Aufzug. Am Demmlerplatz wurde eine Gruppe von 80 Antifaschisten über sechs Stunden im Kessel festgesetzt ohne Wasser und Nahrung. Eine andere Gruppe von 200 Menschen wurde am Bahnhof Schwerin-Mitte am Weiterziehen gehindert, wodurch sich der Start der antifaschistischen Demonstration „Time to say Goodbye“ verzögerte. Nachdem die Gruppe nach mehr als einer Stunde zur Demonstration gelassen wurde, startet der Aufzug mit mehr als 400 Menschen. Nach einigen Metern löste der Veranstalter jedoch die Demonstration auf. Im Zuge dessen kam es zu massiver Gewalt seitens der Polizei, die schon vorher wahllos in die Menschenmenge eingriff und einzelne Teilnehmer herauszog. Mehrere Demonstranten mussten ambulant versorgt werden. Verschiedenen Bericht zu Folge wurde eine Person von der Polizei derartig zu Boden gedrückt, dass sie das Bewusstsein verlor. Auch fünf Stunden später war sie im Krankenhaus nicht ansprechbar. Andere erlitten Prellungen durch Schläge und kleinere Verletzungen durch Pfefferspray. In der Wallstraße kam es zu derart heftigen Gewaltexzessen, dass sich nach der polizeilichen Maßnahme Blutlachen auf der Straße befanden.

Weitere Bilder von Fabian Schumann

Weitere Bilder von Ney Sommerfeld

NPD in Bochum: Blockiert und angetrunken

Der nordrhein-westfälische NPD-Vorsitzender Claus Cremer gilt auch in seiner eigenen Partei nicht viel. Als wohl einziger Vorsitzender eines nordrhein-westfälischen Landesverbands seiner Partei ist er nicht Mitglied des Bundesvorstandes seines siechen Haufens. Die Bedeutungslosigkeit Cremers innerhalb der NPD war auch auf der zentralen Demonstration der NPD in Bochum offensichtlich: Mit Andreas Storr, dem Bundesschatzmeister der NPD, hatte sich gerade einmal ein bekannter NPD-Funktionär zu Cremer und seinen nach Polizeiangaben 180 Anhängern gesellt. An der Demonstration nahmen auch einzelne Mitglieder aus den Reihen der Partei Die Rechte teil, die von Cremer in seiner Rede begrüßt wurden. Die zum Teil angetrunkenen und verwahrlost wirkenden Rechtsradikalen mussten ansonsten einschläfernde Reden von Claus Cremer, Ariane Meise (stellvrtr. Landesvorsitzende, Kreisrätin Rhein-Sieg), Rainer Händelkes (Kreisvorsitzender Krefeld), Marcel Haliti (Landesorganisationsleiter) und Melanie Händelkes (Ratsfrau NPD Duisburg) über sich ergehen lassen. Viele zogen es vor, stattdessen ihrem Harndrang nachzugeben. Vor den mitgeführten Dixi-Klos bildeten sich lange Schlangen. Über 2400 Gegendemonstranten beschimpften die NPD-Anhänger auf weiten Teilen ihrer Wegstrecke. In der Nähe des Kneipenviertels Bermudadreick und im Hauptbahnhof kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Autonomen Gruppe und der Polizei. Drei Beamte und eine unbekannte Zahl von Demonstranten wurden verletzt. Die Polizei setzte Pfefferspray ein und kesselte verschieden Gruppen. Insgesamt kam es zu 305 Ingewahrsamnahmen, was angesichts der eher überschaubaren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Autonomen eine Überreaktion der Polizei war. Am Ende konnte die NPD ihre Demonstration nicht wie geplant beenden. Eine große und friedliche Blockade der nicht festgesetzten Autonomen auf der Universitätsstraße sorgte dafür, dass die Neonazis ihre Route verkürzen mussten und die Abschlusskundgebung vor dem Hauptbahnhof und nicht auf dem Buddenbergplatz stattfand. Einige alkoholisierte und desorientiert wirkende Rechtsradikale verweigerten sich der gemeinsamen Abreise mit ihren Gesinnungsgenossen und wankten nach Ende der NPD-Demonstration durch die Stadt.

NPD-Wahlkampf floppt am 1. Mai in Berlin: Geringe Resonanz und Festnahmen

Der 1. Mai in Berlin stand für die NPD ganz im Zeichen der bevorstehenden Wahl zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksparlamenten im kommenden September. Mit drei Kundgebungen in verschiedenen Bezirken versuchte der Landesverband die traditionell große mediale Aufmerksamkeit am 1. Mai in der Hauptstadt für ihre Wahlkampfzwecke zu nutzen. Erwartungsgemäß stieß ihre Aktion auf geringe Resonanz: An den jeweiligen Standorten in Weißensee, Hohenschönhausen und Schöneweide erschienen lediglich immer wieder die gleichen 50 Anhänger, denen ein Vielfaches an Gegendemonstranten gegenüberstand. Neben Kandidaten der NPD, wie der ehemalige Pro Deutschland-Aktivist Stephan Böhlke, der in Friedrichshain-Kreuzberg kandidiert, befand sich unter den Teilnehmern auch eine kleine Gruppe von Bärgida-Demonstranten, die zum Teil dem Zusammenschluss „Wir für Berlin & Wir für Deutschland“ zuzurechnen sind und am kommenden Samstag zu einer Neuauflage ihrer „Großdemonstration Merkel muss weg“ mobilisieren. Als Redner traten der Berliner Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke, die Bernauer Stadtverordnete Aileen Rokohl sowie die Lichtenberger Bezirksverordnete Manuela Tönhardt auf. In Weißensee wurde der Auftritt der NPD überschattet durch Rangeleien mit der Polizei. Nachdem der Pankower NPD-Vorsitzende Christian Schmidt eine Journalistin bedrängt hatte und ihren Presseausweis „kontrollieren“ wollte, war ein Zivilbeamter eingeschritten. Mehrere Neonazis rannten daraufhin zu ihrem Kameraden, es kam zu Schubsereien mit den Einsatzkräften. In diesem Zusammenhang wurde der Pankower NPD-Kandidat Fabian Knop nach einer Attacke auf einen Polizisten wegen versuchter Körperverletzung kurzzeitig festgenommen. An der nächsten Kundgebungsstation in Hohenschönhausen konnte er allerdings schon wieder teilnehmen, wurde jedoch erneut abgeführt. Diesmal wegen „Fundunterschlagung“, weil Knop die Brille eines Polizeibeamten trug, die dieser bei der Rangelei in Weißensee verloren hatte. An den drei Standorten standen den Rechten jeweils zwischen 250 (Weißensee) und 400 (Schöneweide) Gegendemonstranten entgegen. Ein Teil der NPD-Anhänger zog nach der Kundgebungstour in die Köpenicker Parteizentrale, wo ein Liedermacher auftrat.

 

Weitere Bilder von Theo Schneider