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Kameradschaft Aryans: Wenn Neonazis mit Polizisten chatten

 

Im Prozess um eine gewalttätige Hetzjagd von 2017 werden Kontakte von Rechtsextremen zur Polizei publik. Kann das Verfahren die Rolle der Neonazi-Kameradschaft Aryans klären?

Von Felix Knothe

Kameradschaft Aryans: Wenn Neonazis mit Polizisten chatten
Die Angeklagten Carsten M. und Martina H. mit ihren Verteidigern Benjamin Düring und Linda Huber © Felix Knothe

Eine Kameradschaft aus selbst ernannten Ariern, eine Hetzjagd und klandestine Verbindungen zur Polizei: Der Prozess gegen zwei Rechtsextreme, die 2017 im sachsen-anhaltischen Halle an der Saale wahllos Menschen angegriffen und gejagt haben sollen, wächst zu vorher ungeahnten Dimensionen heran. Schon jetzt ist klar, dass von dem seit Donnerstag laufenden Verfahren vor dem Landgericht Halle mehr in Erinnerung bleiben wird als die Vorwürfe der Körperverletzung gegen die Angeklagten Carsten M. und Martina H. aus Hessen. Das Paar soll nach einer Demonstration am 1. Mai 2017 Menschen mit Steinwürfen und Schlägen auf den Kopf angegriffen haben.

Die politischen Ausmaße sind niedergelegt in den Ermittlungsakten, aus denen der Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer zu Prozessbeginn zitierte. Er vertritt eins der Gewaltopfer. Den Dokumenten zufolge chattete die 42-Jährige mit einem Polizeibeamten in Südhessen, der ihr wiederum Polizeiinterna zugespielt haben soll. Laut einem Sprecher des hessischen Innenministeriums zeigten die Protokolle, „dass der Beamte vor der rechtsextremistischen Person warnen wollte“ – gemeint war damit Carsten M. Inzwischen soll der Polizist in ein anderes Bundesland versetzt worden sein.

Nicht die erste Polizei-Affäre in Hessen

Der Fall weckt Erinnerungen an die jüngsten Vorgänge um eine Frankfurter Polizeiwache, in der mehrere Beamte rechtsextreme Parolen über Chats verschickten. In der Wache wurden wohl auch persönliche Daten der Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz abgefragt, die kurz darauf ein bedrohliches Fax mit ebendiesen Daten zugeschickt bekam. Basay-Yildiz vertrat Opfer im NSU-Prozess.

Im Prozess von Halle allerdings ist das Thema bislang nicht weiter diskutiert worden. Ein möglicher Zusammenhang zu den Tatvorwürfen sei bisher nicht erkennbar, sagte Gerichtssprecher Wolfgang Ehm am Freitag. Ob die Richter es aufgreifen, sei nicht abzusehen.

Ebenfalls unklar ist bislang, wie weit das Verfahren die Rolle und Struktur einer rechtsextremen Gruppe namens Aryans (Arier) erhellen wird. Anhänger der Vereinigung marschierten am Tag der Tat 2017 mit einheitlichen T-Shirts in Halle auf, die mit dem Motto „Support your Race“ („Unterstütze Deine Rasse“) bedruckt waren. Unter ihnen: Carsten M. und Martina H. Der 40-jährige M. gilt als einer der führenden Köpfe der Gruppe. Ihre Mitglieder stammen offenbar aus Südhessen und Nordbayern, der bayerische Verfassungsschutz stufte sie 2017 als Kameradschaft ein.

Schläge mit dem Starkstromkabel

In der sachsen-anhaltischen Großstadt traf damals ein Zug von einigen Hundert Neonazis auf Tausende Gegendemonstranten, die seinen Abmarsch verhinderten. Nach der Demonstration kam es schließlich zu brutalen Vorfällen: M. steuerte laut Anklage eins von zwei Autos, mit der die Aryans auf der Suche nach politischen Gegnern durch die Stadt fuhren.

Martina H. soll aus dem fahrenden Wagen Steine geworfen und dabei einen Mann am Knie verletzt haben. Das Opfer, das in dem Prozess als Nebenkläger auftritt, gab an, zuvor von dem Auto durch die Straßen des Viertels Freiimfelde verfolgt worden zu sein. Beim Anblick einer unbeteiligten Wandergruppe, die er für Linke hielt, soll M. das Auto später auf der zwei Kilometer entfernten Salineinsel abrupt gestoppt und mit einem abgesägten Starkstromkabel auf mindestens einen der Teilnehmer eingeschlagen haben. Dieser trug laut Anklage eine Gehirnerschütterung davon.

Kameradschaft Aryans: Wenn Neonazis mit Polizisten chatten
Ein Anhänger der Aryans-Kameradschaft beim Aufmarsch am 1. Mai 2017 in Halle. © Jens Schlueter/dpa

Die Angeklagten bestreiten über ihre Anwälte die Vorwürfe. Zeugen, die in den Autos mitgefahren sein sollen, behaupteten, die Aryans-Demogruppe habe nach der aufgelösten Kundgebung in zwei Fahrzeugen so schnell wie möglich wieder die Stadt verlassen wollen. Carsten M., der mutmaßliche Angreifer, soll im Demogeschehen eine Flasche an den Kopf bekommen haben und danach nicht mehr er selbst gewesen sein.

„Zecken verdroschen“

Staatsanwaltschaft und Nebenklage halten diese Version für unglaubwürdig – zumal Martina H. auf der Rückfahrt in einer Chatgruppe geprahlt haben soll, sie habe in Halle erfolgreich „Zecken verdroschen“.

Nebenklageanwalt Scharmer hält die Aryans deshalb für mehr als eine reine Ausflugsgruppe, die zu Demonstrationen fährt. Er stützt sich auf die Aussage eines Beifahrers des Angeklagten. Der Mann aus Hessen sagte am Freitag, ihm gegenüber hätten sich die Aryans als eine Gruppe zum Schutz von Demonstranten ausgegeben. „Es gab in der Gruppe offenbar eine klare Verabredung zur Gewaltanwendung“, sagte Scharmer. „Anders ist der Begriff Schutzgruppe aus meiner Sicht nicht zu verstehen.“

Verteidiger Benjamin Düring sieht dagegen auch nach zwei Prozesstagen „keine Beweise dafür, dass unsere Mandanten beteiligt waren oder sich der Anklagevorwurf bewahrheitet hat“. Auch für die Jagd mit Autos gibt es eine andere Version: Beifahrer der Wagen gaben bei ihren Zeugenaussagen an, man habe sich lediglich in Halle verfahren.

Felix Knothe ist Reporter und Gründer der Städtischen Zeitung, einer unabhängigen Onlinelokalzeitung in Halle.