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So bedrohen Neonazis kritische Journalisten

 

Auf Demonstrationen hetzen Rechtsextreme gegen die Medien. Journalisten, die über die Szene berichten, stehen unter enormem Druck. Hier erzählen drei von ihnen aus ihrem schwierigen Arbeitsalltag.

Pöbelnde Neonazis im September 2019 bei einer Demonstration im thüringischen Kloster Veßra © Henrik Merker

Es war ein Fanal gegen unliebsame Berichterstattung: Auf einer Demonstration in Hannover marschierten Rechtsextremisten durch die Stadt, um gegen die Arbeit dreier namentlich genannter Journalisten zu protestieren. Doch dahinter steckte mehr: Die Kundgebung war eine gezielte Einschüchterung von Medienvertreterinnen und Medienvertretern, die über das Treiben der rechten Szene berichten. Und es blieb nicht die einzige ihrer Art.

Im Alltag ist der Druck auf Journalisten noch höher. Sie erhalten Todesdrohungen, auf ihre Wohnungen werden Angriffe verübt – so berichtete es unser Autor David Janzen in einer Reportage. Und er ist nicht allein. Drei Autoren, die im Bereich Rechtsextremismus recherchieren, haben für den Störungsmelder aufgeschrieben, wie es ist, im Fadenkreuz der Szene zu stehen.

„Auf keinen Fall einschüchtern lassen“

Jonas Miller, Reporter beim Bayerischen Rundfunk und „Störungsmelder“-Autor

Jonas Miller
© Eleonore Birkenstock

Die ersten Drohungen kamen im Jahr 2006. Damals veröffentlichen Rechtsextreme auf einer „Anti-Antifa“-Seite im Internet Bilder von mir, dazu meine Adresse und meinen Namen. Sie feierten sich in einem Artikel dafür, dass sie nachts unbemerkt in das Mehrfamilienhaus eingedrungen sind, in dem meine Eltern wohnen. Dort sprühten sie rechte und gewaltverherrlichende Symbole an die Wohnungstür.

2011 verübten Neonazis einen Brandanschlag auf mein Auto. Die ermittelnden Kriminalpolizisten gingen davon aus, dass die Täter mich über längere Zeit observiert hatten und meine Gewohnheiten kannten. 2015 bekamen eine Sozialwissenschaftlerin, ein Gewerkschafter, Politiker von SPD und Linkspartei und ich eine E-Mail mit einem Link. Absender war eine Gruppe namens Nationalsozialisten Franken. Der Link führte zu fingierten Todesanzeigen mit unseren Namen. Dabei stand auch: „Feinde der Bewegung werden nicht bestattet, sie werden eingeäschert! Nationalsozialismus jetzt!“

Ein Fahndungsaufruf der Polizei nach dem Brandanschlag

Seit wir 2017 beim Bayerischen Rundfunk mit den Kollegen der Nürnberger Nachrichten ein Rechercheteam zum NSU-Komplex und den Verbindungen in die bayerische Szene gegründet haben, häufen sich Schmierereien und Graffiti in der Nähe meiner Wohnung. Mir wird dort mit einem „Hausbesuch“ gedroht. Die Rechtsextremen wollen damit offensichtlich vermitteln, dass sie wissen, wo ich wohne, mir das Gefühl geben, jederzeit könnte etwas passieren. Vor allem seit dem Brandanschlag bin ich sehr vorsichtig geworden, habe meinen gewohnten Tagesablauf geändert. Das Landeskriminalamt hat mich zu einer Beratung eingeladen, in der es um die Sicherheit für gefährdete Personen ging.

In der Region Nordbayern bin ich bei Weitem nicht das einzige Ziel von Neonazis. Die Einschüchterungsversuche treffen vor allem Nazigegner aus der Zivilgesellschaft, Journalisten, Gewerkschafter und Lehrerinnen. Im ersten Moment ist es immer ein unschönes Gefühl, wenn wieder etwas passiert. Doch das wichtigste Signal ist: Wir lassen uns nicht einschüchtern!

„Pass auf, was du schreibst“

Jens Eumann, Redakteur der Lokalzeitung „Freie Presse“ in Chemnitz

Jens Eumann

Wenn mir ein Rechtsextremist den Tod wünscht, wie kürzlich ein YouTube-Nutzer mit dem Tarnnamen „Polizeijäger 1888“ (1888 ist Szenecode für Adolf Hitler, Heil Hitler), ist das die eine Sache. Doch bei der Aufforderung, die der selbst ernannte Journalistenjäger folgen ließ, verstehe ich keinen Spaß. Er rief dazu auf, meine Familie zu foltern. Die Kommentare standen unter einem Handyvideo, das ein Nutzer selben Namens ins Netz gestellt hatte. Es zeigte mich und andere Journalisten im Wartebereich eines Gerichts. Im Internet fand es sich als Steckbrief mit dem Hinweis wieder: „Zahle 10.000 Euro für die Privatadresse!“ Unser Verlag brachte das zur Anzeige. Das Ergebnis steht noch aus.

An anderer Stelle ist meine Adresse, obwohl sie nicht im Telefonbuch steht, längst bekannt. Während meiner Berichterstattung über den NSU-Prozess in München machte mir das vor Jahren ein Mann deutlich, der einst Kontaktperson der NSU-Gruppe war und heute für die AfD im Chemnitzer Stadtrat sitzt. 2015 begleitete er einen Zeugen aus der Chemnitzer Neonaziszene zum Verfahren und setzte sich in den Zuschauerraum. Als er ging, beugte er sich zu mir und raunte mir mit dem Zusatz „Alles klar?“ meine Adresse zu. Nicht nur ich, sondern alle umsitzenden Journalisten verstanden den Hinweis gleich: Wir wissen, wo du wohnst, pass auf, was du schreibst! Ich habe den Sachverhalt damals angezeigt, damit er schriftlich festgehalten ist, für den Fall, dass wirklich etwas passiert.

Vom Schreiben hält mich das nicht ab. Im Prozess war ich überwältigt von der Solidarität, die mir entgegenschlug: Kolleginnen und Kollegen boten sich sofort als Zeugen an, Opferanwälte fragten, wie sie helfen könnten. Es ist nicht so, dass ich solche Situationen auf die leichte Schulter nehme. Ich zeige an, was mir widerfährt. Doch versuche ich, mich nicht derart beeindrucken zu lassen, dass es meine Arbeit behindert. Ich rate jedem betroffenen Journalisten, sich im Kollegenkreis zu vernetzen. Solidarität hilft und, gemeinsam dranzubleiben.

„Angeklagt wurde keiner“

Henrik Merker, freier Journalist und „Störungsmelder“-Autor

Henrik Merker
© Michael Heck

Ein Schlag mit einer Flasche auf den Kopf im sächsischen Ostritz – Verfahren eingestellt, Täter nicht ermittelbar. Ein Flaschenwurf gegen meinen Kopf in Chemnitz – wegen unübersichtlicher Lage gar nicht erst angezeigt. Schlag gegen Kamera und Unterarm in Wurzen – Ermittlungen laufen.

Immer wieder gehen Neonazis so rabiat gegen mich vor. Doch besonders gern stellen sie Strafanzeigen. Ein Rechtsextremer zeigte mich während einer Demo in Köthen an, weil ich auf Twitter ein Bild veröffentlichte, wie ihn Polizisten kontrollieren. Die Anzeige war aus meiner Sicht unbegründet, also wollte ich Anzeige wegen falscher Verdächtigung stellen.

Erst nach zwei Stunden Diskussion und Intervention des Einsatzleiters nahmen Polizisten die Anzeige auf. Derweil nötigten mich die Beamten, meinen Tweet zu löschen. Das Verfahren gegen mich wurde eingestellt. Meine Anzeige wegen falscher Verdächtigung aber auch – weil der Neonazi bereits wegen schwererer Delikte verurteilt wurde.

In meiner Akte beim Landeskriminalamt Sachsen finden sich bei einer Auskunftsanfrage weitere Anzeigen von Rechtsextremen. Alle Verfahren wurden eingestellt. Der sächsische Datenschutzbeauftragte empfahl auf Nachfrage, einen Löschantrag zu stellen – er hält die Einträge für bedenklich.

Rechtsextreme Blogs verbreiten unterdessen Falschbehauptungen über mich. Sie verwenden die Vokabeln „roter Politkommissar“ und „Schreibtischtäter“ – ein Wort, das Hannah Arendt für den am Strang hingerichteten NS-Verbrecher Adolf Eichmann prägte.

Angeklagt wurde bisher keiner der Rechtsextremen, die mich auf Demonstrationen beleidigen, schlagen, nötigen oder im Internet diffamieren – selbst bei enormen Entgleisungen: Bei einer AfD-Demonstration in Querfurt drohten mir mehrere Teilnehmer auf dem Marktplatz, mich zu ermorden. Der damalige Mitarbeiter eines Abgeordneten versuchte, mich abzudrängen. Ein anderer Mann ging mehrfach brüllend und mit Prügel drohend, auf mich zu. Polizisten führten ihn ab. Die Polizeisprecherin neben mir meinte, so was habe sie noch nie erlebt. Immerhin: Der AfD-Mann entschuldigte sich einige Monate später.