In der Bewegung gegen die Corona-Politik geben Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker den Ton an. Auf einer Demonstration in Düsseldorf zeigt sich: Von Distanzierung halten die Veranstalter wenig.
Von Dennis Pesch
„Ungechipt und ungeimpft“ steht auf einem gelben Stern an der Brust eines Mannes. Er spricht vor über 2.000 Menschen auf einer Bühne an den Düsseldorfer Rheinwiesen. Hier haben sich am Sonntag die Teilnehmer einer Demonstration der Querdenken-Bewegung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen versammelt. Die Anlehnung an den Judenstern ist Ausdruck eines Opfergedankens – und ein unverhohlener Vergleich der Regierung mit den Nationalsozialisten. Zumindest Teile von Querdenken tummeln sich zugleich in der Szene von Rechtsextremen und Reichsbürgern.
Dabei hatte sich die Bewegung eigentlich einen Imagewandel verordnet. Ende August waren 38.000 Menschen auf einer Demonstration durch Berlin gezogen, Hunderte schwenkten die alte Reichsflagge. Eine Szene, die Außenminister Heiko Maas „beschämend“ nannte. Nun die neue Strategie: Auf Versammlungen der Maßnahmengegner soll die schwarz-weiß-rote Flagge nicht mehr zu sehen sein. „Jedes Thema kann diskutiert werden, zu seiner Zeit. Jetzt noch nicht“, rief Demonstrationsanmelder Michael Schele den Teilnehmern zu, als er die Versammlung eröffnete.
Kein Problem mit Anti-Israel-Botschaften
Tatsächlich war die Flagge nur einmal kurz zu sehen. Andere Teilnehmer riefen den Fahnenträger zur Ordnung. Und dennoch: Realität und Selbstdarstellung liegen bei Querdenken weiterhin über Kreuz. So hatte Schele noch zwei Tage vor der Demonstration getönt, er rechne mit 50.000 Demonstranten in Düsseldorf. Es wurden insgesamt 3.500. Die Abstandsregeln hielten sie nur selten ein. Zudem hatten Stadt und Polizei den Teilnehmern keine Maskenpflicht auferlegt. Polizei und Ordnungsamt beließen es bei Appellen an die Veranstalter, die Regeln einzuhalten.
Die Sorglosigkeit im Umgang mit der Pandemie gehört zu den Mustern, die ebenfalls bei der Berliner Großdemonstration gepflegt wurden. Ähnlich auch die führenden Köpfe: Auf der Bühne trat der Reichsbürger und Rapper Sascha Vossen auf, der in der Hauptstadt beteiligt war, als rund 400 Menschen die Treppe zum Reichstagsgebäude stürmten. Vossen gehört zu den Anführern der Protestgruppe Corona Rebellen Düsseldorf. Deren Mitglieder zeigten ein Schild mit der Aufschrift „Friedensvertrag Jetzt“. Reichsideologen glauben, dass sich Deutschland immer noch im Krieg mit den Alliierten befände.
Bei seinen Auftritten singt Vossen Lieder mit antisemitischen Anspielungen, behauptet etwa, dass die USA „in Israels Auftrag die Welt versklaven“. Für Anmelder Schele kein Problem, wie er im Gespräch mit ZEIT ONLINE sagte: „Das ist nicht so tragisch, oder? Der ruft nicht zur Gewalt auf. Das kann der ja als Nachdenkbotschaft meinen.“ Distanzieren wolle er sich nicht.
AfD-Politikerin ruft zum Umsturz auf
Zudem bleibt Querdenken eine Drehscheibe für Verschwörungsideologien. Iris Dworeck-Danielowski, familienpolitische Sprecherin der AfD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, raunte in einer Rede, man habe es „mit einem absoluten Machtkartell zu tun“. Richter seien nicht unabhängig, sondern den bürgerlichen Parteien hörig. „Seid nicht so naiv zu glauben, dass dieses System, so wie es jetzt ist, von einer parlamentarischen Opposition verändert werden kann“, rief sie – ein Aufruf zum Umsturz.
Auch Anhänger der QAnon-Bewegung waren vor Ort. In der verschwörungsideologischen Bewegung kursiert unter anderem die Behauptung, dass Politiker der amerikanischen Demokraten Kinder ermorden würden, um deren Blut zu trinken. Teilnehmer, die ZEIT ONLINE auf diese Thesen ansprach, bekräftigten ihren Glauben daran. Dabei handelt es sich um eine Anlehnung an die antisemitische Ritualmordlegende, die seit dem Mittelalter als Rechtfertigung für Pogrome gegen Juden herangezogen wurde.
Auch ehemalige und heutige Organisatoren von der rechtsextremen Pegida nahmen an der Demonstration teil, genauso wie die Bürgerwehr-ähnliche Gruppe Bruderschaft Deutschland, die in der Tradition der Gemeinschaft Hooligans gegen Salafisten steht. Bei Mitgliedern der Bruderschaft gab es im April 2020 Hausdurchsuchungen. Die Vereinigung hatte Kontakte zur unter Terrorismusverdacht stehenden Gruppe S.
Querdenken will unterdessen weitere Proteste abhalten: Sowohl in Köln als auch in Berlin sollen wieder Tausende Teilnehmer zu Demonstrationen zusammenkommen.