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Autokorso im Niemandsland

 

Corona-Leugner wollten per Auto in Leipzig demonstrieren. Die Versammlung versandete in einem Industriegebiet. Sie scheiterte an reichlich Gegenwehr – und der Zersplitterung der Szene.

Von Henrik Merker

Ein Teilnehmer der Pkw-Demonstration in Leipzig © Henrik Merker

Es wirkt, als wären Tausende Leipzigerinnen und Leipziger zu einer spontanen Fahrradtour aufgebrochen. Bunt gekleidet, mit Masken und in größeren Gruppen fahren sie am Samstag durch die Stadt. Wer nicht in den Westen der Stadt fährt, bekommt nur das bunte Treiben, an manchen Stellen Straßenblockaden und Polizeikontrollen, mit.

Grund für die Ausfahrt: Proteste gegen mehrere Autokorsos der Querdenken-Szene. Zum Protest im Pkw hatten verschiedene Veranstalter deutschlandweit aufgerufen, sie kündigten bis zu tausend Fahrzeuge an. Diese Art der Demonstration halten Querdenker bundesweit ab. Im Schutz der Karosserien leugnen sie die Pandemie und verbreiten Verschwörungstheorien. Zumindest in Leipzig scheiterten sie weitgehend damit: Bereits am frühen Morgen blockierten Radfahrerinnen und Radfahrer in Halle an der Saale einen Zubringer-Korso, die Autofahrer lösten ihre Versammlung auf.

Kaum Unterstützung

Aus anderen Regionen kam kaum Verstärkung für die Querdenker, die ursprünglich am Leipziger Impfzentrum starten wollten. Das untersagte ihnen die Polizei. Die Teilnehmer starteten schließlich an einem See im Westen. Wegen Blockaden konnte der Korso erst mit mehreren Stunden Verspätung beginnen. Laut Polizei kamen im gesamten Stadtgebiet nur 350 Autos zusammen. In den meisten saßen zwischen zwei und drei Insassen – damit kamen deutlich unter tausend Demonstranten zusammen.

Ihre Botschaften gingen über die Leugnung von Corona hinaus, waren jedoch altbekannt. Mit Aufschriften auf ihren Fahrzeugen forderten sie die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Haftstrafen für Jens Spahn und Angela Merkel. Manche hatten ihre Kennzeichen mit schwarzem Reparaturband überklebt – angeblich als Schutz vor Journalisten, die Fotos machen und sie ins Internet stellen würden. Die Polizei griff ein und ließ das Klebeband entfernen.

Ein vollvermummter Teilnehmer war zuvor bereits aggressiv auf Journalisten losgegangen. Mehrfach feindeten Demonstranten die Reporterinnen und Reporter an. Verglichen mit früheren Versammlungen aus dem Leipziger Querdenken-Spektrum war die Stimmung jedoch weniger aggressiv.

Botschaften mit Reichsbürger-Anleihen

Das mag auch daran gelegen haben, dass die Corona-Leugner in klirrender Kälte am absoluten Stadtrand Leipzigs standen, für mehrere Stunden. Im Anschluss beschwerten sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass sie durch ein Industriegebiet fahren mussten. Außenwirkung: gleich null. Die Polizei hätte sie zudem hingehalten. Im Vorfeld hatte es in diesen Querdenker-Gruppen auch Gewaltaufrufe gegeben. Es gab Ankündigungen, „Zecken zu klatschen“. Gemeint sind damit Linke.

Teilnehmer auf dem Motorrad grüßen in Richtung von Reportern. © Henrik Merker

Unter den Teilnehmern des Korsos befanden sich zu Beginn auch Motorradfahrer der Gruppe Biker für Deutschland. Einer von ihnen trug einen Patch des Motorradclubs Underdogs MC. Mitglieder sollen 2016 am Angriff auf das Szeneviertel Connewitz beteiligt gewesen sein. Die Underdogs pflegen seit Jahren Verbindungen in die Neonazi-Szene.

Corona-Leugner, die dieser Tage auf die Straße gehen oder fahren, haben häufig Bezüge zur Reichsbürger-Ideologie. Das zeigte sich auch diesmal bei Gesprächen der Teilnehmer. Ein Mann behauptete, er sei eine “eigenständige Rechtsperson” und nicht den Gesetzen der Bundesrepublik unterworfen.

Querdenker finden nicht zur Demo

Dass an den Versammlungen mittlerweile weniger Personen teilnehmen als noch im vergangenen Jahr, liegt an der klandestinen Werbung für diese Events. Wer teilnehmen wollte, musste sich per E-Mail anmelden, Autokennzeichen und -fabrikat angeben, außerdem die Zahl der Teilnehmer. Dass der genaue Versammlungsort erst per E-Mail mitgeteilt wurde, war eine weitere Hürde. In Chatgruppen beschwerten sich Querdenker, dass sie schlichtweg den Startpunkt nicht fanden.

Auch sind die verschiedenen Verschwörungsmythen, die in der Szene kursieren, mittlerweile stark zersplittert. Viele widersprechen sich bereits in ihren Grundannahmen. Die einen glauben, Donald Trump sei weiterhin US-Präsident und werde sie von einer angeblichen Corona-Diktatur befreien, ebenso wie der russische Präsident Wladimir Putin. Ein Aufruf behauptete sogar, Trump werde ebenfalls zum Korso kommen. Andere halten das mittlerweile für ausgemachten Unsinn. Solche Behauptungen, die der Verschwörungsideologie QAnon entspringen, sind mittlerweile marginalisierter als noch im vergangenen Dezember.

Ein Grund ist, dass sich zahlreiche Prophezeiungen nicht erfüllt haben. Donald Trump ist abgewählt, kam entgegen voriger Ankündigungen nicht nach Berlin und auch nicht nach Leipzig. Auch Putin wurde nicht gesichtet. Die Behauptung, es existiere eine Pandemie-Diktatur, war eines der wenigen Bindeglieder der Verschwörungsgläubigen. Unter der Annahme wurden viele ideologische Richtungen zusammengebracht. Das unerfüllte Heilsversprechen jedoch trennte sie wieder.