Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Querdenker auf Journalistenjagd

 

Aktivisten aus dem Milieu der Corona-Leugner verbreiten Privatinformationen von Journalisten. Dabei helfen ihnen rechte Influencer, die sich selbst als Reporter ausgeben.

Von Dominik Lenze

Journalisten auf einer Münchner Querdenken-Demonstration im Mai 2020 © Felix Hörhager/dpa

Sarah Müller hat in ihrem Leben schon Tausende Rechtsradikale fotografiert. Seit rund zehn Jahren dokumentiert sie Demonstrationen, Kundgebungen und Konzerte der Szene. All die Jahre haben die Neonazis wenig, eigentlich gar nichts über sie gewusst. Bis jetzt: Medienaktivisten aus dem Umfeld der Querdenken-Bewegung haben persönliche Informationen über sie im Internet verbreitet. Erst ihr Gesicht samt vollem Namen, später Angaben über sie, ihre Jobs, ihre Auftraggeber. Manches davon falsch, manches richtig.

Wenn derlei Details öffentlich bekannt werden, ist das für Müller eine handfeste Gefahr: Der diffuse Hass auf die Presse bekommt Name und Gesicht für die von Verschwörungsgeschichten aufgepeitschten Teilnehmenden der Corona-Demonstrationen oder für Rechtsextreme, die immer schon etwas mehr über die Frau mit der Kamera wissen wollten. Deshalb wird in diesem Text nicht ihr echter Name genannt. Freunde hätten ihr Screenshots geschickt, um sie zu warnen, erzählt sie. „Ich habe ja schon lange mit Rechtsradikalen zu tun, aber dieses Ausmaß ist schon heftig“, sagt sie. „Aber bisher gab’s ja auch so etwas wie Spielregeln“ mit klarer Rollenverteilung: Es gab Extremisten und Journalisten. Seit den Corona-Protesten ist das anders.

Bei Demonstrationen teilt sich Sarah unfreiwillig den Arbeitsplatz mit Rechtsradikalen und Verschwörungstheoretikern. Die geben sich gerne als Reporter aus. Sie stehen, dank gefälschter oder manchmal sogar echter Presseausweise, oft direkt neben ihr, im Sicherheitsbereich hinter Polizeiabsperrungen oder mitten im Protestgeschehen.

Aktivisten als Pseudo-Journalisten

Selten bleiben sie dabei unauffällig: Sie rennen mitten in die Masse der Gegendemonstranten, um die vermeintlich „staatsfinanzierte Antifa“ zu filmen. Nicht wenige treten als Redner auf denselben Kundgebungen auf, von denen sie vorgeben zu berichten. Von der Bühne aus verbreiten sie Verschwörungsmythen, häufig baumelt noch der Presseausweis an einem Band um den Hals. Die meisten dieser Aktivisten stammen aus rechtsextremen Kreisen oder haben schon vor den Corona-Protesten Verschwörungsmythen verbreitet. Rechtsradikale wie der Holocaustleugner Nikolai Nerling, der sich selbst den Markennamen „Der Volkslehrer“ gegeben hat, waren stilbildend für diesen rechten Pseudo-Journalismus.

Das Medienportal, das Sarah Müllers Daten veröffentlicht hat, gehört auch in diese Riege. „Diese Leute benutzen ihre Presseausweise, um uns Nazis auszuliefern“, sagt sie. Auch Jörg Reichel von der Gewerkschaft ver.di ist dem Phänomen schon häufiger begegnet. „Das sind keine Journalisten, auch wenn sie immer wieder versuchen, den Eindruck zu erwecken“, sagt er. Auf die „Influencer“, wie er sie nennt, trifft Reichel selbst auf Demonstrationen, bei denen er Übergriffe auf Journalisten dokumentiert. „Die Beiträge dieser Leute folgen immer einem typischen Ablauf“, sagt er. Die Konfrontation mit Presse, Polizei und Gegendemonstranten gehöre dabei fest zur Dramaturgie. „Das bringt nämlich Klicks.“

„Qualität einer polizeilichen Fahndung“

Doch das skurrile Gebaren dient nicht nur der Selbstinszenierung: Die Aktivisten würden die Nähe zu den wirklichen Journalisten ausnutzen. Sie stören sie bei der Arbeit oder versuchen mitunter trickreich, an Informationen über sie zu gelangen. „Zum Beispiel werfen sie Journalisten Straftaten vor, um durch das Stellen einer Anzeige Klarnamen und Adresse zu erfahren“, berichtet Reichel. Wenn es kein Foto zu dem Journalisten im Netz gibt, treibe man bisweilen alte Flyer mit ihrem Gesicht auf. Manchmal machen Redner auf Kundgebungen von Querdenken oder nahestehenden Gruppen von der Bühne aus auf anwesende Journalisten aufmerksam – wohl wissend, in welche Richtung die Smartphone-Kameras der eigenen Verschwörungsinfluencer gerichtet sind.

Reichel erreichen in den letzten Wochen vermehrt Hinweise von Reportern, die persönliche Daten von sich selbst oder ihren Kolleginnen in den Untiefen von Telegram entdeckt haben. Besonders vor Demo-Wochenenden würden regelmäßig Informationen über Journalisten herumgehen, in aller Regel mit Foto. „Das hat die Qualität einer polizeilichen Fahndung“, sagt der Gewerkschafter.

Manchmal gibt es auch Hilfe von örtlichen Neonazis: Der Journalist David Janzen wurde am Rande einer Querdenker-Demonstration in Braunschweig von Mitgliedern der Partei Die Rechte bedroht – erst riefen Teilnehmer ihm Beleidigungen entgegen, dann seinen Namen und Adresse. Ein Foto von Janzen, der auch in einem Bündnis gegen rechts aktiv ist, hatten die Neonazis schon in dem Moment auf Telegram geteilt, als er den Kundgebungsplatz betreten hatte. Ein Neonazi aus Siegen verbreitete das Foto bei Instagram weiter und ergänzte in Anspielung an den Mord an Walter Lübcke: „Heute Walter, Morgen Janzen“.

Immer mehr Teilnehmer der Proteste würden, angestachelt von den Verschwörungsgeschichten, gezielt auf die Suche nach den Journalisten gehen, sagt Jörg Reichel. Sarah Müller kann das bestätigen: „Immer häufiger sind es Demonstrierende, die sich selbst als bürgerlich verstehen, aber mich massiv angehen“, sagt sie. Auch solche Menschen würden den Geschichten der Verschwörungsinfluencer glauben: „Und dann wähnen sie sich im Kampf gegen das Unrecht.“

Betroffene wollen sich nicht einschüchtern lassen

Michael Ballweg, Markeninhaber von Querdenken und Initiator der Proteste, lässt auf Anfrage mitteilen, ihm seien Fälle wie der von Sarah Müller nicht bekannt. Er bitte aber darum, ihm die dokumentierten Fälle zukommen zu lassen. „Damit Herr Ballweg seriös und konkret antworten kann“, wie es heißt, denn offensichtlich sei ja ein „Verdachtsbericht“ geplant.

Sarah Müllers Gesicht kursiert inzwischen seit einigen Tagen auf Telegram. Immer häufiger erkennen Demonstrierende sie wieder und bedrängen sie. Einschüchtern lassen will sie sich nicht. Gerade jetzt sei es wichtig, genau hinzuschauen.

Das tut sie. Anfang Mai steht sie am Rande der kleinen Kundgebung eines eher unbedeutenden Querdenken-Ablegers. Die wenigen Neonazis stehen noch etwas abseits und finden anfangs nicht so recht ihren Platz. Als der überschaubare Protestzug loszieht, halten auch einige Demonstrierende ihre Smartphones auf die Journalisten.

Sarah geht an diesem Tag früher. Nicht aus Angst, eher aus Ermüdung, wie sie sagt: „Ich bin mir nicht sicher, ob sich das Risiko lohnt, für eine im Kern so lächerliche Veranstaltung.“ Da noch am selben Tag die NPD in der Nähe demonstriert, geht sie lieber dorthin. Die Neonazis kennen sie schon länger, zumindest vom Sehen, und begrüßen sie höhnisch – bloß diesmal mit Nachnamen.