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Letzte Ehre für einen Neonazi

 

Die Beerdigung des Chemnitzer Hooligans Thomas Haller wurde zu einem Schaulaufen der rechtsextremen Szene. Über 900 Neonazis erwiesen ihm das letzte Geleit.

Von Johannes Grunert

Letzte Ehre für einen Neonazi
Trauernde Neonazis stehen vor dem Begräbnis von Thomas Haller Spalier für den Leichenwagen. © dpa

Auf den ersten Blick wirkt die Szene im sächsischen Chemnitz wie seit Langem gepflegte Neonazitradition. Schwarz gekleidete Männer mit breiten Schultern tragen Trauerkränze wie jedes Jahr, wenn im März ein Marsch anlässlich der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg abgehalten wird. Doch an diesem Montag ist der Anlass ein anderer: die Beerdigung des Hooligans und Neonazis Thomas Haller. In der vorvergangenen Woche war er im Alter von 54 Jahren einem Krebsleiden erlegen.

Der dunkle Zug bewegt sich vom Parkplatz eines nahe gelegenen Einkaufszentrums zum Friedhof der Chemnitzer Michaeliskirche. Unter den rund 900 Teilnehmern herrscht Stille. In einer langen Reihe schlängeln sie über den verwinkelten Friedhof. Am Ende des Areals drängt sich die Menge um das riesige Grab, einer nach dem anderen kondolieren sie der Familie des Verstorbenen.

Räumpanzer und Wasserwerfer standen bereit

Dass es an diesem Tag ruhig bleibt in Chemnitz, war weder zu erwarten noch selbstverständlich. Schätzungen der Teilnehmerzahl hatten sich in den vergangenen Tagen überschlagen, von 1.000 bis 8.000 Gästen, je nach Institution. Die Polizei stand bereit mit mindestens vier Wasserwerfern, zwei Räumpanzern und Beamten aus vier Bundesländern – Erfahrungen nach den Tumulten und Menschenjagden, als Neonazis ab dem 26. August in der 240.000-Einwohner-Stadt den Aufstand geprobt hatten.

Zu Szenen wie im August sollte es an diesem Tag nicht kommen. Dennoch bedrohten Gäste vor Beginn der Beisetzung Journalisten, die das Geschehen am Eingang dokumentierten. Nach der Veranstaltung hielt die Polizei ein Fahrzeug an, aus dem ein verbotener Rauchtopf gezündet worden war.

Der massive Andrang von Rechtsextremen ist zu erklären mit der Rolle des Verstorbenen: Thomas Haller hatte in den Neunzigerjahren die Gruppe Hoonara gegründet – kurz für Hooligans, Nazis, Rassisten. Seine Sicherheitsfirma leitete bis 2007 den Ordnungsdienst im Stadion des Chemnitzer FC. Auch nachdem sich der Verein von ihm getrennt hatte, blieb er in der Stadt gut bekannt – und das nicht nur als Neonazi und Hooligan: Er war zuständig für die Sicherung des Pressefestes der Lokalzeitung Freie Presse und des Chemnitzer Stadtfestes.

Öffentliches Gedenken, heimlich organisiert

Das große letzte Geleit war offenbar allein durch klandestine Organisation der Szene zustande gekommen. Auf Facebook-Seiten der Szene war kein öffentlicher Aufruf zu finden. Möglicherweise auf Wunsch von Hallers Familie: Wie in den sozialen Netzwerken zu vernehmen war, wünschte sie keine Politisierung des Gedenkens. Engere Angehörige trafen sich bereits am Vormittag auf einem anderen Friedhof zu einer privaten Trauerfeier.

Für die Gäste dagegen war die Beerdigung hochpolitisch, wie die angereisten Neonaziszenegrößen vermuten ließen. Viele hatten sich wie bei einer Demonstration vermummt – was bei einer Versammlung verboten ist. Sanktionen sind dennoch nicht zu erwarten, weil die Polizei die Zeremonie trotz der Aufzugstrecke im öffentlichen Raum nicht als Versammlung werten wollte. Ähnlich war die Lage bereits beim Spontanaufmarsch Ende August vergangenen Jahres, als rund 800 Rechte in der Chemnitzer Innenstadt Jagd auf Migranten gemacht hatten. Weil die Polizei den Marsch im Nachhinein als Ansammlung gewertet hatte, konnten dementsprechende Verstöße gegen das Versammlungsgesetz nicht geahndet werden.

Letzte Ehre für einen Neonazi
Gäste der Beerdigung tragen einen Trauerkranz. © dpa

Anlass war damals der Tod des 35-jährigen Daniel H., der bei einem Messerangriff ums Leben kam. Eine gute Autostunde vom Chemnitzer Friedhof entfernt begann an diesem Tag der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter, einen Asylbewerber, vor dem Landgericht Chemnitz, das in einem Saal des Dresdner Landgerichts tagte.

Die Gäste, vielfach gewandet in Kleidung bekannter Neonazimarken, begriffen die Trauerfeier als politische Machtdemonstration. Mehrere Trauerkränze waren mit den Logos von Fußballvereinen bedruckt. Der Chemnitzer FC kündigte bereits an, aufgrund des Missbrauchs seines Logos Strafanzeige zu erstatten, der 1. FC Magdeburg distanzierte sich öffentlich von der Verwendung seines Emblems.

Schaulaufen politischer Akteure

Obwohl des verstorbenen Hooligans am vorletzten Wochenende im Stadion des Chemnitzer FC in einer offiziell anmutenden Trauerminute gedacht worden war, kamen am Montag nur Fans, die bereits als Anhänger der rechten Szene bekannt waren. Von Vertretern der Chemnitzer AfD wie Lars Franke und Nico Köhler über die NPD bis zu Mitgliedern der 2014 verbotenen Kameradschaft Nationale Sozialisten Chemnitz war die gesamte Bandbreite lokaler rechter Akteure vertreten. Auch die Fangruppe Kaotic nahm teil. Sie hatte im vergangenen Sommer zur ersten Spontandemonstration nach dem Tod von Daniel H. aufgerufen.

Zu den überregionalen Teilnehmern zählten hauptsächlich Vertreter rechter Hooligangruppen anderer Fußballvereine. Auch Michael Regener alias Lunikoff, der frühere Sänger der verbotenen Band Landser, und dessen enger Vertrauter Nils Larisch aus Leipzig mischten sich unter die Beerdigungsgäste.

Nachdem sie Thomas Haller die letzte Ehre erwiesen und der Familie kondoliert haben, setzt Hagel ein. Ein einzelner Bläser spielt ein Lied, Reden gibt es nicht. Die Veranstaltung löst sich schnell auf, einige der Teilnehmer treffen sich noch in einschlägigen Kneipen. Sie werden wieder nach Chemnitz kommen. Anlässe gibt es immer.