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Revolution Chemnitz: Schlecht geplant, doch fest entschlossen

 

In Dresden beginnt der Prozess gegen die rechtsterroristische Gruppe Revolution Chemnitz.
Die Neonazis sollen einen Anschlag in Berlin geplant haben. Chatprotokolle geben Einblicke in ihre chaotische Organisation.

Von Johannes Grunert

Revolution Chemnitz: Einer der Angeklagten wird im Oktober 2018 dem Haftrichter in Karlsruhe vorgeführt.<br /> © dpa/Christoph Schmidt
Einer der Angeklagten wird im Oktober 2018 dem Haftrichter in Karlsruhe vorgeführt.
© dpa/Christoph Schmidt

„Ich bitte alle darum dieses hier zu bestätigen oder abzulehnen und die Gruppe zu verlassen bevor wir anfangen“, schrieb der Rechtsextremist Christian K. seinen Kameraden am 10. September 2018 in einer Gruppe der Chat-App Telegram. Allen acht Mitgliedern war von da an klar, dass sie sich auf einen riskanten Plan eingelassen hatten. Der lautete: mit gezielten Angriffen einen gesellschaftlichen Umsturz herbeizuführen.

Die acht Männer hatten sich zusammengeschlossen in einer Vereinigung namens Revolution Chemnitz. Sie sollen im September 2018 in Chemnitz Menschen angegriffen haben, die sie für Migranten hielten, zudem einen Anschlag am Tag der Deutschen Einheit in Berlin geplant haben. Ab dem heutigen Montag müssen sie sich deshalb wegen der Gründung einer terroristischen Vereinigung vor dem Oberlandesgericht Dresden verantworten.

Plan zur „Systemwende“

Die Bundesanwaltschaft schreibt Christian K. die Rolle des Rädelsführers zu. Dokumente, die dem Störungsmelder vorliegen, legen tatsächlich nahe, dass der heute 32-Jährige die treibende Kraft war. Er gründete die Telegram-Gruppe namens „Planung zur Revolution“, er legte seinen Mitstreitern den Plan vor, am 3. Oktober 2018 den Anschlag in Berlin zu verüben. Dabei sollten offenbar auch Schusswaffen zum Einsatz kommen.

K. war es auch, der einen sogenannten Probelauf vorschlug – offenbar die einzige in der Chatgruppe geplante Tat, die Revolution Chemnitz tatsächlich ausführte. Am Abend des 14. September 2018 traf sich dazu ein Teil der Telegram-Gruppe mit einigen Bekannten. Auf der Chemnitzer Schlossteichinsel kreisten die 17 Neonazis Gruppen aus mutmaßlichen Migranten ein, verlangten Personalausweise und griffen mehrere Menschen an. Einer von ihnen schlug einem Iraner eine Bierflasche auf den Hinterkopf.

Diese Tat war zugleich das Ende von K.s Plan zur „Systemwende“, wie es die Chat-Teilnehmer selbst formuliert hatten. Die Neonazis wurden von der Polizei erwischt; die Beamten entsperrten ihre Smartphones. K. kam sofort in Untersuchungshaft, die anderen Mitglieder wurden zwei Wochen später festgenommen. Die Ermittler hatten auf den Mobiltelefonen den Plan für Anschlag in Berlin entdeckt. Den Unterhaltungen zufolge organisierten die Mitglieder zudem den Kauf mehrerer halbautomatischer Schusswaffen.

Unterstützer blieben aus

In der eigenen Wahrnehmung sahen sich die Angeklagten als „Führungskräfte“, wie sie in ihrer Chatgruppe schreiben. Geplant war, dass alle in ihrem Umfeld eine größere Zahl von Menschen mobilisieren, um mit einer großen Gruppe zuschlagen zu können. Die Ermittler vermuten, dass Christian K. die heutigen Mitangeklagten gezielt ausgesucht hatte: „Jeder von uns ist lange genug in einer Szene dabei (Hooligan, Skinhead, Neonazi, Band Mitglied oder Terroristischen Vereinigung usw.) und hat (…) spezielle Fähigkeiten ausbauen können“, schrieb der Chemnitzer am 10. September.

Für den „Probelauf“ am 14. September klappte es mit der erhofften Unterstützung von außerhalb allerdings nicht wie geplant. Weder eine Dresdner Hooligantruppe noch Schläger aus dem Erzgebirge, die K. angekündigt hatte, reisten an. Ein Bus aus Rostock, besetzt mit „ca. 50 Mann“, war angeblich auf der Autobahn von der Polizei aufgehalten worden. So standen die Neonazis an ihrem letzten gemeinsamen Abend in Freiheit fast allein da: Nur zwölf Menschen aus ihrem näheren Umfeld waren gekommen, von den Angeklagten ließen sich drei entschuldigen.

Zur Oma statt zur Revolution

Die Protokolle der Telegram-Gruppe lassen Zweifel daran aufkommen, ob die Gruppe wirklich das war, wofür sie sich hielt. Eigentlich wollte man „Welten bewegen“ und den NSU „wie die Kindergarten-Vorschulgruppe“ wirken lassen. Stattdessen kamen die Gefolgsleute später, weil sie noch „zur Oma“ mussten, und ein zuweilen cholerisch wirkender Christian K. schimpfte wiederholt über die Inaktivität seiner Mitstreiter.

Dass von der Gruppe dennoch eine hohe kriminelle Energie ausging, zeigt die Vorgeschichte der acht Angeklagten: Auf 478 Strafverfahren bringen es alle zusammen von 1998 bis kurz vor ihrer Verhaftung – zwischen elf und 151 pro Person. Sie reichen von schwerem Bandendiebstahl und Warenkreditbetrug über zahlreiche Körperverletzungen, politisch motivierte Straftaten wie dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verstößen gegen das Waffengesetz bis zur Bildung einer terroristischen Vereinigung.

Waffenkäufe geplant

Waffen hatte die Gruppe zum Zeitpunkt der Festnahme noch nicht gehortet. Doch Angebote mit festen Preisen lagen ihnen vor. Offenbar konnten einzelne Mitglieder auf Kontakte zu mindestens zwei Händlern zurückgreifen. Mit Christian K. und Tom W. waren an den Diskussionen über Waffenkäufe gleich zwei Neonazis beteiligt, die im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die 2007 verbotene Gruppe Sturm 34 aktenkundig geworden waren. Auf deren Konto geht eine Vielzahl von Gewalttaten.

In der Planung und Umsetzung erinnert Revolution Chemnitz an andere aktuelle Fälle von extrem rechten Terroristen aus der jüngeren Vergangenheit, zu denen es sogar Kontakte gab. Fotos in sozialen Netzwerken zeigen den Angeklagten Martin H. Arm in Arm mit Lukas L. aus Kassel, der einige Jahre in Chemnitz wohnte. L. pflegte Kontakte ins direkte Umfeld von Stephan E., dem mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Die Rechercheplattform Exif veröffentlichte am Donnerstag ein Foto, das Stephan E. beim AfD-Aufmarsch am 1. September 2018 in Chemnitz zeigt. Bei der Demonstration hatten gleich mehrere Mitglieder von Revolution Chemnitz teilgenommen.