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Endlich kreativer Kapitalismus

 

In Baltimore werkelt ein Kulturkollektiv abseits der Unterhaltungsindustrie. Lo Moda heißt die spannendste Band aus seinen Reihen. Sie mischt Motown mit Pop und Krautrock mit Agitprop

Cover

 
Lo Moda – The Plagiarist
 
Von dem Album: Replica Watches Creative Capitalism 2009

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Der antikapitalistische Gestus mancher Rockband wirkt im korrumpierten Musikgeschäft wenig glaubwürdig. Die Manic Street Preachers etwa wetterten früher gegen Banken und Börsen, ihre Platten brachte der Weltkonzern Sony Music auf den Markt. Auch die (International) Noise Conspiracy gibt sich punkig, internationalistisch, sozialistisch. Ihre Platten erscheinen bei einem kleinen Label, verkauft werden sie auf den üblichen Kanälen zu den üblichen Konditionen. Das System zu verachten und sich seiner Macht dennoch zu beugen, ist nicht zwangsläufig verwerflich. Beide der angeführten Bands sind sich der produzierten Widersprüche sicherlich sogar bewusst.

„This Is Not A Label“, steht groß auf der Internetseite des – nun ja – Labels Creative Capitalism. Die Strategie der Plattenfirma ist die der Aneignung: Kapitalismus ist ätzend? „Wir sind ein neuer Kapitalismus“, sagen die Macher. Einer, in dem unter Gleichen gewirtschaftet werde, der gestaltet werde von sozialen Netzwerken, Erfindungen und Ideen. Ein Kapitalismus, in dem sich jeder seine Funktion selbst suchen dürfe. In Baltimore produziert das Kollektiv Kunst und Musik – außerhalb des etablierten Galeriebetriebs, außerhalb der traditionellen Musikwirtschaft.

Zu schade, dass man davon außerhalb Baltimores nur zufällig erfährt. Etwa von Lo Moda, einer der interessantesten Bands, deren Platten Creative Capitalism veröffentlicht. Lo Moda sind sechs ehemalige Studenten der Kunsthochschule, die gerade ihr drittes Album Replica Watches aufgenommen haben. Sie bedienen sich beinahe willkürlich der Versatzstücke des Systems, in dem sie nicht wirtschaften mögen: Hier ergießen sich übervolle Orgeln in minimalistischen Pop, da propfen sie Motown ein bisschen Agitprop auf, dort übertönt ein Akkordeon die Grobheit von The Fall, es treffen sich Krautrock, Afrofunk und Indietronics. Replica Watches schwingt und bebt.

Die Aufmerksamkeit der Musiker gilt weniger dem Ruhm und Verkauf von Platten als den eigenen Strukturen. Lo Moda sei eine demokratische Band, sagt ihr Sänger Peter Quinn. Sie tränken und äßen oft zusammen und diskutierten über Ästhetik. Sie improvisierten viel und versuchten, jeden Klang, jede Idee zu integrieren. Auch musikalisch befänden sie sich im Zwiegespräch. Von der Musik leben? Nein, das könnten sie nicht, jeder ginge noch mindestens einer weiteren Beschäftigung nach. Der alte Kapitalismus finanziert den neuen.

So geht es wohl den meisten Musikern heute. Welchen Erfolg das Neue haben kann, solange es vom Alten umzingelt ist? Gute Frage. In Berlin tagten vor einiger Zeit Menschen, die ähnliche Ansprüche an ihr künstlerisches Tun haben dürften, und nannten ihre Veranstaltung Audio Poverty. Das klingt kaum nach blühenden Landschaften.

Ganz gleich, welche Modelle des unabhängigen künstlerischen Schaffens in Zukunft funktionieren könnten, Replica Watches ist ersteinmal ein fesselndes Album. Wenn der kreative Kapitalismus so gut und lebendig klingt, her damit!

„Replica Watches“ von Lo Moda ist auf CD erschienen bei Creative Capitalism.

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