Mit 70 hat der ergraute Tom Jones sein neues Album „Praise & Blame“ veröffentlicht. Bisweilen klingt es wie eine schnöde Kopie von Johnny Cash, aber trotzdem schön.
Eine neue Anthologie jiddischer Musik im Nachkriegsdeutschland wühlt tief in der Geschichte, tief im deutschen Gewissen. Dabei sind viele dieser Lieder große Fetenhits.
Justins gibt’s viele. Der Timberlake kann tanzen, der Bieber stürzt Mädchen in Ohnmacht, und jetzt kommt Justin Nozuka: Der macht sehr ordentlichen Pop mit R’n’B-Schmelz.
We Are Scientists aus den USA bezeichnen sich als Experten im Fußballhymnenschreiben. Ihre Selbstironie ist bestechend, für ihr neues Album geht’s allerdings nur unentschieden aus.
Klavier mit Vibrafon – wie ungewöhnlich! Pascal Schumacher und Jef Neve entwickeln zusammen mikroskopische Schönheiten zwischen Pop, Jazz und Zeitgenössischem.
Zur urbanen Aggressionsabfuhr: Das Neil Cowley Trio macht Musik für Menschen, die tagsüber durch die City hetzen und abends in den Vororten beim Rotwein von der Terrasse auf Schafe gucken.
Manu Katché ist ein Superstar am Schlagzeug. Er will Jazz und Pop versöhnen, das bringt ihm viel Kritik ein. Nun ist sein neues Album „Third Round“ erschienen.
Toni Mahoni bloggt und singt. Mit seinen ironischen Bemerkungen zum Alltag hat er nun schon zwei Alben gefüllt, „Irgendwat is immer“ heißt sein neustes.
Die junge Hindi Zahra schöpft aus Pop, Chanson, Jazz und verbindet sie mit marokkanischen Elementen. „Handmade“ heißt ihr sonniges Debütalbum.
Amorphe gelbe Blobs schweben durch eine multikulturelle Welt. Wer sie sieht, lächelt: die Halbstarken auf dem abgetretenen Bolzplatz, die Asiaten in der Autowerkstatt, der Latino-Wachmann am Gittertor, der kleine schwarze Junge auf dem Balkon eines Wohnblocks, die kraushaarigen Schönheiten im Afro-Frisiersalon, die Inderin auf dem Markt. Am Ende vereinigen sich die gelben Wabbels zu einem großen: Yes!
Es ist ein Werbespot für Western Union, und die Musik dazu kommt von Hindi Zahra. Western Union transferiert Geld über Grenzen; die Werbung richtet sich vor allem an Arbeitsmigranten, Auslandsstudenten und andere Praktiker der Globalisierung. Der 46-Sekunden-Clip, gedreht in Kapstadt, zeigt ihre Welt, keine Werbespotglamourszenerie.
Dazu empfiehlt Zahra in dem Song Stand Up, auf den eigenen zwei Beinen zu stehen – nicht im Bob Marley’schen Revolutionsgestus, sondern ganz profan und alltäglich; es geht eigentlich um einen Lover, der andauernd mit seinen falschen Freunden in den Kneipen abhängt und daheim bemuttert werden möchte. Das schwingt irgendwie weltweit, leicht karibisch, in jedem Fall sonnig.
Das britische Magazin The Wire hat Hindi Zahra mal als Symbiose aus Django Reinhardt und Billie Holiday bezeichnet, lange, bevor es ihre Musik zu kaufen gab. Naja: Um in Zahras Gitarrenspiel Anklänge an Djangos Gypsy-Jazz hören zu wollen, muss man schon ganz schön frei assoziieren. Die Stimme von Lady Day ist allerdings wirkliche nicht weit.
Aber wenn wir schon „X gekreuzt mit Y“ spielen, dann nehmen wir doch mal Manu Chao und Portishead minus Elektronik: Schwermütige Nebel verhängen eine global inspirierte Szenerie, gedämpfte Klänge überraunen afrowurzelige Rhythmen, der Gesang schlurft eher, als dass er tänzelte. Die PR-Agenten sprechen vom „Gefühl wohltuender Gravität“.
Nun wäre wohl Zeit, um – wie bei nichteuropäischen Künstlern üblich – über den Zusammenhang zwischen Zahras Herkunft und ihrer Musik zu spekulieren. Von wegen „Schwere der Felsbrocken des Atlasgebirges“, „Trägheit im Sonnenglast“ oder so. Na gut, wenn’s sein muss. Die Musikerin wurde vor 30 Jahren in der marokkanischen Provinzstadt Khouribga geboren, auf halbem Wege zwischen dem Atlas und Casablanca. Ihr Vater, lässt die Plattenfirma wissen, „war beim Militär, ihre Mutter eine im Ort beliebte Gelegenheitsschauspielerin und Sängerin“. Zur Verwandtschaft hätten etliche Musiker gezählt, die „jene psychedelische Musik der Berber spielten, die man landläufig als Desert Rock’n’Roll bezeichnet“.
Tut man das? Berber, um mal politisch korrekt klugzuschwätzen, ziehen es vor, sich Imazighen (im Singular Amazigh) zu nennen, in Frankreich auch mal Kabylen, obwohl das genau genommen wieder eine Unterethnie ist. Bei der in Zahras Geburtsgegend ansässigen Volksgruppe handelt es sich genau genommen um Chleuh. Und Desert Rock’n’Roll gibt es, außer im Promo-Text zu Zahras Album, nur im Süden der USA.
Psychedelisch immerhin stimmt. Ein großer Teil der nordafrikanischen Musik kommt aus rituellen Zusammenhängen und hat oft tranceartige Stilelemente: repetitive Patterns, hypnotische Rhythmen, beschwörende Chants, wie in Zahras Kiss And Thrills nachhallen.
Doch die afrikanischen Wurzeln machen nur einen Teil des Erbes aus, von dem Zahra zehrt. Mit ihrem Vater siedelte sie in jungen Jahren nach Paris über, bekam mit 18 Jahren einen Job im Louvre. „Das war mein großes Treffen mit der Kunst“, lässt sie sich zitieren, „als Kind war ich nachdenklich und eng mit der Natur verbunden. Die Gemälde haben bei mir ganz ähnliche Empfindungen ausgelöst“. Chansons muss sie auch viele gehört haben in dieser Zeit; diesen Geist atmen die Lieder fast alle.
Als Vorbilder zitiert Zahra drei, wie sie sagt, divas of sadness, Göttinnen der Traurigkeit: die Ägypterin Oum Kalthoum, das peruanische Fünf-Oktaven-Wunder Yma Sumac und Ella Fitzgerald. Überhaupt der Jazz, „der einzige Ort, wo ich die Noten meiner Heimat heraushöre. Jazz kommt kreativer Freiheit gleich. Das ist einfach eine großartige Schule“. Die Nachhilfe gab in London, wo Zahra außer in Marokko, Paris und Brüssel zeitweise lebt, der Gitarrist Fink alias Finian Greenall, der Blues und Folk mit Dub und Triphop vereint.
Beautiful Tango heißt der Einstieg, ist aber gar kein Tango. Es folgen: ein reggaehafter Mix von Stand Up. Oursoul (was nicht etwa Englisch für „unsere Seele“ ist, sondern „Verflossene“ bedeutet in Tamazight, der Sprache der Kabylen im Mittel-Atlas, und dem Vernehmen nach von Zwangsehen handelt). Das schwingende Fascination. Der Delta-Blues-Bastard Set Me Free. Das dezent tanzbare Imik Si Mik. Das jazzballadeske Don’t Forget. Das geisterhafte Old Friends am Ende. Ihre Texte hat Hindi Zahra in teilweise eigenwilligem Englisch und in Tamazight geschrieben, und selbst produziert hat sie das Album auch. Die elf Songs des mit 40 Minuten überschaubaren Debütalbums vermischen also ganz viele Einflüsse – behalten aber immer einen eigenen Tonfall.
„Handmade“ von Hindi Zahra ist erschienen bei EMI.