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Zeitsprung

Genau vierzig Jahre liegen zwischen diesen beiden Aufnahmen. Auf der einen von 1971 bin ich auf der Promenade in Travemünde zu sehen. Ich hatte mich so vor dem Strandfotografen postiert, dass er einfach ein Bild machen musste! Mein Großvater war selbst ein begeisterter Hobbyfotograf und hat mich zuerst gescholten. Aber als er am Abend auf dem Rückweg vom Strandkorb die fertigen Abzüge sah, hat er das Foto doch gekauft, weil es ihm so gut gefiel! Die zweite Aufnahme zeigt meine jüngste Tochter Ida – inzwischen auch sechs Jahre alt. Und nichts hat sich verändert am Strand von Travemünde, oder? Höchstens das Wetter … Und diesmal war kein Fotograf da.

Maj Kuchenbecker, Wegberg, Nordrhein-Westfalen

 

Was mein Leben reicher macht

Samstagmorgen, acht Uhr. Ein weiteres Wochenende in der Bibliothek steht mir bevor. Es ist grau und kalt, bei dem Blick nach draußen vergeht mir jede Lust, das Fahrrad hervorzuholen. Da sehe ich den kleinen, dick aufgeplusterten Spatz auf dem Balkon. »Dir ist es auch zu ungemütlich«, denke ich. Da quäkt er fröhlich los und besingt die ganze Straße. Und ich steige wenig später hoch motiviert auf mein Rad.

Laura Jaspers, Berlin

 

Die Kritzelei der Woche

Während meiner Ausarbeitungszeit für die fünfte Prüfungskomponente entstand diese pseudokubistische Kritzelei. An manchen Tagen hat mich das kleine, aber durchaus beschwerliche Buch sowohl inhaltlich wie auch formal an meine Grenzen gebracht. Und so kam es über mich, das Buchcover mit meinen famosen Vierecken zu bekritzeln. Das Labyrinth, das ich mit Bebuquin betreten habe, spiegelt die Kritzelei sehr gut wider.

Claudia Litka, Berlin

 

Was mein Leben reicher macht

Der Klassenlehrer meines 13-jährigen Sohnes. Dem Bewegungsdrang seiner energiegeladenen, in viel zu kleine Räume gezwängten Schüler begegnet er mit humorvoller Gelassenheit: Den Mädchen gönnt er in der großen Pause ungestörtes Quatschen, und die Jungs begleitet er auf den Spielplatz gegenüber dem Schulgelände. Eine Viertelstunde Toben – und die nächste Unterrichtsstunde läuft gleich viel besser.

Christiane Wenz, Köln

 

Was mein Leben reicher macht

Nach mehr als vier Monaten Aufenthalt in Asien und Ozeanien zum ersten Mal wieder eine gedruckte ZEIT in den Händen zu halten. Auch wenn sie schon fast drei Wochen alt ist. Gespendet von einem deutschen Pärchen auf dem kleinen Flughafen von Miri auf Borneo.

Stephan Jonas, Magdeburg

 

Mein Ding

Dieser Schemel gehörte schon zum Haushalt meiner Großeltern und wurde immer dann braun angestrichen, wenn auch der Fußboden eine neue Farbe benötigte. Meine Urgroßmutter saß auf ihm (sie lebte im Haushalt meiner Großeltern), wenn sie ihren Enkeln Märchen erzählte. Später benutzte ihn der heranwachsende Enkelsohn, um seiner Mutter, die sehr klein war, die Gelegenheit zu geben, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Was ihr trotzdem nicht möglich war: Er wehrte den Arm ab. Dann kam der Schemel zu mir, der Urenkelin, wurde abgebeizt, und die Narben (Wurmstiche und Nägel) kamen zum Vorschein. Heute steige ich auf den Schemel, wenn ich Gegenstände aus den obersten Schrankfächern nehmen will.

Renate Gottwald, Kalchreuth, Mittelfranken

 

Ein alter Barolo

(Nach Rainer Maria Rilke, »Archaïscher Torso Apollos«)

Du sahst nicht ihr Gesicht, die schlanke Hand
der Winzerin im Blut der Trauben. Aber
die Flasche leuchtet wie ein Kandelaber,
in dem ihr Schauen strebt an einen Rand

der Sinnlichkeit. Sonst könnte nicht ihr Duft,
aus schwerer Erde, Sonne, Regentropfen
gezeugt und eben erst befreit vom Stopfen,
wie traumverschleiert wabern in der Luft.

Sonst wäre diese Flasche nichts als rund,
so wie der Schlaftrunk für den armen Hund,
und strahlte nicht, wie eine tiefe Rose;

und bräche nicht dein Herz in diesen kalten,
verklärten Nächten: entstünde da das große Gefühl:
Du darfst dein Leben beibehalten.

Ludwig Bröcker, Würzburg

 

Was mein Leben reicher macht

Melk, Österreich: Mit unserem Wohnwagen-Gespann suchen wir einen bestimmten Campingplatz. An einer Einmündung wissen wir nicht weiter. Überlegen, noch mal in die Karte schauen, Himmelsrichtung zu erahnen versuchen. Da hören wir hinter uns ein lautes Hupen. Im Wagen sitzt ein junger Mann von der Art, wie man sie von den eigenen Kindern fernhält. Meine Frau steigt aus, will sich entschuldigen, will erklären. Sie kommt zurück, er kurvt um uns herum, winkt uns, ihm zu folgen. Nach etlichen Kilometern kann ich ihm herzlich danken. Mit schlechtem Gewissen. »Keine vorschnellen Urteile mehr!«, denke ich im Stillen.

Peter Kania, Markdorf

 

Was mein Leben reicher macht

Im IC nach Hamburg: eine Schulklasse auf Abschlussfahrt und eine Gruppe gut gelaunter Rentner auf einem Wochenendausflug. Abwechselnd stimmen sie Lieder an und bejubeln sich dabei gegenseitig.

Daniel Huhn, Münster