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Nichts dazu gelernt

Nichts dazu gelernt

Die Affäre um unseren Bundespräsidenten ist ein wenig in den Hintergrund getreten. Die Ruhe über die Feiertage und seine späte, aber immerhin als Reuebekundung zu verstehenden persönliche Erklärung zwei Tage vor Weihnachten haben dem Skandal fürs Erste die Spitze genommen. Christian Wulff mag hoffen, dass er die Aufregung um seinen umstrittenen Hauskredit und seine Urlaubsaufenthalte bei reichen Unternehmerfreunden politisch übersteht, wenn erst etwas Zeit ins Land gegangen ist und sich die Republik wieder anderen, wichtigeren Dingen zuwendet.

Immer neue Details zu der Affäre, die fast täglich bekannt werden, verstärken aber den Eindruck, dass Wulff noch immer nicht die volle Wahrheit gesagt hat über seinen mehr als fragwürdigen Umgang mit geldwerten Angeboten seiner Amigos aus der Geschäftswelt. Und dass er, seinen öffentlichen Worten zum Trotz, weiterhin keinerlei politische Sensibilität beweist, was seine Privatgeschäfte betrifft.

So berichtet die Süddeutsche Zeitung heute, dass Wulff seinen Kredit bei der landeseigenen Stuttgarter BW-Bank, mit der er sein umstrittenes Privathausdarlehen des Unternehmerehepaars Geerkens abgelöst hatte, offenbar umgewandelt hat, nachdem die Affäre schon ins Rollen gekommen war. Die Konditionen dafür seien nach Angaben seines Anwalts am 25. November fixiert worden. Da recherchierten verschiedene Journalisten schon längere Zeit zu der Finanzierung von Wulffs Privathaus. Am 12. Dezember habe die Bank ihm dann den Vertrag zugesandt.

Ebenfalls am 12. Dezember hatte die „Bild“-Zeitung erstmals über den fragwürdigen Kredit des Präsidenten berichtet. Wulff wusste, dass „Bild“ an der Sache dran war, hatte das Blatt doch schon Wochen vorher dem Präsidialamt Fragen dazu gestellt. Drei Tage später, am 15. Dezember, erklärte Wulff, er habe den Geldmarktkredit, mit dem er das angeblich von Frau Geerkens stammende Darlehen getilgt hatte, inzwischen „in ein langfristiges Bankdarlehen festgeschrieben“. Den Vertrag dazu hat er laut BW-Bank jedoch erst sechs Tage später am 21. Dezember zurückgeschickt.

Das mag als Petitesse erscheinen. Aber handelt so ein Politiker, der es jetzt angeblich wirklich ernst meint mit der Wahrheit? Und warum nimmt Wulff nicht, um jeden Verdacht einer Begünstigung auszuräumen, wie jeder andere Familienvater eine Hypothek bei einer normalen Geschäftsbank auf statt einen neuen Kredit bei einem staatlichen Institut – und das, obwohl sich die Aufsichtsgremien der BW-Bank bereits mit den auffallend günstigen Konditionen seines derzeitigen Kredits befassen?

Ein weiteres Detail ist noch brisanter: Nach Angaben der BW-Bank hat, bevor sich Wulff im Herbst 2009 an das Institut wandte zwecks Umwandlung seines Privatdarlehens, Egon Geerkens mit einen Kundenberater der Bank gesprochen. Also der Ehemann der Unternehmergattin, der doch laut Wulff mit dem ursprünglichen Kredit nichts zu tun hatte. Passt das mit der Darstellung des Präsidenten zusammen, an der er bis heute festhält, dass er als damaliger Ministerpräsident in Niedersachsen keine „geschäftlichen“ Verbindungen zu Egon Geerkens hatte? Wieso vermittelte der dann den neuen Kredit? Ein reiner Freundschaftsdienst? Hat Wulff keine anderen Berater, die das für ihn erledigen konnten…?

Fragen über Fragen, die nur einen Schluss zulassen: So schnell wird Wulff die Affäre nicht los.

 

Klar zum Entern?

Die Piraten stehen möglicherweise vor dem größten Erfolg ihrer kurzen Parteigeschichte. Der Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus liegt im Bereich des Möglichen, wie die aktuellen Umfragen zeigen. Der Sprung über die 5%-Hürde – kleine Fußnote am Rande: in Berlin zählen bei der Feststellung, ob die Hürde übersprungen worden ist, die ungültigen Stimmen mit, was das Überspringen etwas schwieriger macht! – ist im Bereich des Möglichen, was natürlich die Frage aufwirft: Wer sind diese Piraten, die offenkundig klar zum Entern des Abgeordnetenhauses sind? Marc Debus hat sich an dieser Stelle schon einmal dieser Frage angenommen, einmal mit Blick auf die Parteipositionen, einmal mit Blick auf mögliche Koalitionsmodelle. Programmatisch tummeln sich die Piraten in der Nähe von Grünen und Linken und auch eine Koalition von SPD, Linken und Piraten ist nach den Ergebnissen von Marc Debus durchaus wahrscheinlich.

Man kann – wie ich es auch anlässlich von früheren Wahlen hier schon getan habe – den Wahl-o-mat und seine 38 Thesen heranziehen, um sich ein Bild über die Distanz zwischen verschiedenen Parteien zu machen (*). Tut man dies für die Wahl am kommenden Sonntag, dann zeigt sich eindeutig, was sich auch bei Marc Debus schon gezeigt hat: Die Piraten sind eine linke Partei. Die programmatischen Übereinstimmungen zur Linkspartei und den Grünen gehören zu den höchsten Übereinstimmungsraten überhaupt, auch die SPD ist den Piraten nicht allzu fern, wie die folgende Abbildung zeigt:

Dagegen stimmen die Piraten in ihren Aussagen zu den 38 gestellten Thesen in weniger als der Hälfte der Fälle mit der FDP überein; noch geringer ist die Übereinstimmung mit der CDU.

Die linke Seite des politischen Spektrums füllt sich also weiter. Werden die Piraten für die Grünen, was die Grünen für die SPD waren, „Fleisch vom Fleische der Grünen“? Das könnte die gewisse Nervosität, die auch im Wahlkampf auf Seiten der Grünen zu verzeichnen war, erklären.

Auch wenn es schwer bleiben wird für die Piraten, sich programmatisch in diesem dichten Umfeld auf der linken Seite des politischen Lagers zu behaupten, so könnte die Wahl in Berlin doch ein wichtiges Signal aussenden: Die 5%-Hürde ist für die Piraten überwindbar – und Stimmen für die Piraten damit nicht mehr zwangsläufig verschenkt. Amerikanische Kollegen sprechen in solchen Situationen von viability, gerade auch jetzt wieder im Kontext der Vorauswahl des republikanischen Präsidentschaftswahlkampfs: Welcher Kandidat ist überlebensfähig? In wen lohnt es sich zu investieren? Vom Ergebnis am Sonntag könnte ein Signal ausgehen: Die Piraten sind viable, denn darüber entscheidet in unserem Kontext eben die 5%-Hürde. Und damit könnten sie endgültig (aus machtpolitischer Sicht) zu einer ernstzunehmenden Kraft werden – und zwar auf der linken Seite des politischen Spektrums.

(*) Der Index berechnet sich wie folgt: Für jedes Paar von Parteien wird über alle 38 Thesen hinweg gezählt, wie oft die Parteien übereinstimmen. Jede Übereinstimmung gibt einen Punkt, jede Kombination von “stimme zu” oder “stimme nicht zu” mit “neutral” einen halben Punkt. Addiert man diese Punkte zusammen und teilt die Summe durch 38 (die Zahl der Thesen), erhält man den Index. Die Annahme ist dabei natürlich, dass alle Thesen gleich wichtig sind.

 

Die Reform des Wahlgesetzes und das Problem des negativen Stimmgewichts und der Überhangmandate

Von Joachim Behnke
Seit dem 1. Juli verfügt die Bundesrepublik über kein Wahlgesetz mehr, nach dem ordnungsgemäß das Parlament und damit auch indirekt die Regierung gewählt werden könnte. In seinem Urteil vom 3. Juli zum sogenannten negativen Stimmgewicht erklärte das Bundesverfassungsgericht nämlich dieses als verfassungswidrig und legte dem Bundestag auf, diesen „absurden“ und „widersinnigen“ Effekt durch eine Änderung des Wahlgesetzes bis zum 30. Juni 2011 zu beseitigen. Doch der letzte der Fraktionsentwürfe, der von CDU/CSU und FDP, liegt erst seit Ende Juni überhaupt vor. Eine öffentliche Anhörung hierzu findet erst am 5. September statt. Bis zu der Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes können keine Bundestagswahlen stattfinden, deren rechtliche Grundlagen unbestritten sind. Wir befinden uns demnach zwar nicht in einem Zustand der Regierungslosigkeit, aber doch immerhin in einem Zustand, in dem die verfassungskonforme Neuwahl einer Regierung nicht möglich ist.

Ein neues Wahlgesetz hat vor allem zwei Anforderungen zu erfüllen. Es muss einerseits dem Gerichtsurteil Rechnung tragen, indem es den Effekt des negativen Stimmgewichts beseitigt. Es muss aber außerdem versuchen, das größte und eigentliche Problem des derzeitigen Wahlgesetzes zu beseitigen, nämlich das der Überhangmandate. Überhangmandate und negatives Stimmgewicht sind zudem eng miteinander verflochten, sodass es naheliegend erscheint, die Beseitigung des einen Problems mit der gleichzeitigen des anderen zu verknüpfen.

Ein negatives Stimmgewicht liegt dann vor, wenn mehr Stimmen für eine Partei zu weniger Mandaten führen. Die CDU hatte z.B. bei der letzten Bundestagswahl aufgrund der Zweitstimmen einen Anspruch auf insgesamt 173 Sitze. Diese wurden im Rahmen der sogenannten Unterverteilung ebenfalls wieder proportional zu den Zweitstimmen auf die einzelnen Landeslisten der CDU aufgeteilt. Demnach entfielen z.B. auf die Landesliste der CDU in Schleswig-Holstein acht Mandate. Da die CDU dort jedoch neun Direktmandate gewonnen hatte, entstand dort ein Überhangmandat. Hätte die CDU in Schleswig-Holstein allerdings z.B. 5.133 Stimmen weniger erhalten, dann wäre im Rahmen der Unterverteilung ein Proporzmandat weniger in Schleswig-Holstein, dafür eines mehr in Niedersachsen angefallen. Das wegfallende Proporzmandat in Schleswig-Holstein wäre lediglich in ein Überhangmandat verwandelt worden, die Gesamtzahl der Sitze hätte sich dort daher nicht verändert. In Niedersachsen aber hätte die CDU ein weiteres Listenmandat erhalten, womit sich ihre bundesweite Gesamtsitzzahl erhöht hätte, wenn sie insgesamt weniger Zweitstimmen erhalten hätte.

Der Effekt des negativen Stimmgewichts lässt sich durch das Zusammenwirken zweier Einzeleffekte erklären. Der erste Effekt ist ein simpler Verteilungseffekt, wonach bei der proportionalen Sitzzuteilung weniger Stimmen zu weniger Sitzen, auf keinen Fall aber zu mehr Sitzen führen. Weniger Zweitstimmen in Schleswig-Holstein führen also zu weniger Proporzmandaten in diesem Land, was nur folgerichtig ist. Der zweite Effekt besteht in der Unterdeckung der Überhangmandate mit Zweitstimmen. Der Sinn des Verhältnisausgleichs, wie er durch §6 Abs. 2 und Abs. 4 des Bundeswahlgesetzes beschrieben ist, besteht ja in der Verrechnung der Direktmandate mit den Mandaten, die einer Partei in einem Bundesland aufgrund der Zweitstimmen zustehen würden. Überhangmandate kommen dann zustande, wenn die Zweitstimmen in einem Land nicht genügen, um die Mandatsansprüche, die durch die gewonnenen Direktmandate entstehen, abzugelten. Überhangmandate sind eine Art von ungedeckten Wechseln, bei der die Empfänger des Kredits an Direktmandaten nicht in der Lage sind, diese durch einen entsprechenden Preis in Zweitstimmen zu bezahlen. Wenn nun durch den Wegfall weiterer Zweitstimmen in Schleswig-Holstein ein weiteres Direktmandat ungedeckt und somit zu einem Überhangmandat wird, so ist dies nur die folgerichtige Konsequenz aus dem Umstand, solche ungedeckten Wechsel an sich zu akzeptieren.

Wer also den Effekt des negativen Stimmgewichts als „absurd“ empfindet, müsste diesen Eindruck von Absurdität zwangsläufig auf den Umstand übertragen, dass es Mandate geben kann, die nicht im Verhältnisausgleich aufgehen. Wer umgekehrt keinen Anstoß an den Überhangmandaten nimmt, müsste dann auch den Effekt des negativen Stimmgewichts in der oben beschriebenen Form als unproblematisch akzeptieren. Der oft beschworene, scheinbar so logische Zusammenhang, dass das negative Stimmgewicht zwar notwendig mit Überhangmandaten, aber eben nicht umgekehrt Überhangmandate notwendig mit dem negativen Stimmgewicht verbunden seien, ist daher nur bedingt richtig. Überhangmandate sind innerhalb des jetzigen Designs notwendigerweise mit der Möglichkeit des Auftretens des Effekts des negativen Stimmgewichts verbunden. Ob er dann tatsächlich auftritt oder nicht, hängt lediglich von den Zufälligkeiten der Reihenfolge der Sitzverteilung auf die Landeslisten ab.

Der Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2008 hat daher insofern für Verwirrung gesorgt, dass einerseits die Ablehnung des negativen Stimmgewichts logisch auch eine Ablehnung der Überhangmandate nach sich hätte ziehen müssen, aus den obiter dicta, insbesondere den anskizzierten Lösungsvorschlägen, aber keine grundsätzliche Ablehnung der Überhangmandate erkennbar schien. Da die Überhangmandate aber die Ursache im Sinne einer notwendigen Voraussetzung für das Entstehen des negativen Stimmgewichts darstellen, scheint es nur folgerichtig, das Problem des negativen Stimmgewichts an der Wurzel, also den Überhangmandaten, zu packen. Genau dies entspricht den Vorschlägen der Grünen, der Linken und der SPD, die das negative Stimmgewicht beseitigen wollen, indem sie die Überhangmandate beseitigen, z.B. durch Kompensation mit Landeslistensitzen, wie im Vorschlag der Grünen, oder Neutralisieren, wie im Vorschlag der SPD durch Ausgleichsmandate. (Zu einer vergleichenden Darstellung der Verfahren siehe die Stellungnahme von Friedrich Pukelsheim.) Der Vorwurf des CDU-Geschäftsführers, die Oppositionsparteien verweigerten sich einem Konsens, indem sie sich auf das „sachfremde Thema Überhangmandate“ konzentrierten, muss daher wohl eher seinerseits als sachfremd betrachtet werden. Der Lösungsvorschlag von Union und FDP beschränkt sich auf die Abschaffung des negativen Stimmgewichts und möchte aus naheliegenden Gründen die Überhangmandate erhalten. Dazu sollen die Landeslisten getrennt werden. Zuerst erfolgt hier eine Berechnung der Sitzkontingente der Länder nach der Wahlbeteiligung, anschließend werden die Sitze innerhalb des Landes auf die verschiedenen Listen der Parteien verteilt. Dieser Vorschlag beseitigt allerdings nicht einmal den Effekt des negativen Stimmgewichts, sondern eröffnet ihm sogar ganz neue Betätigungsmöglichkeiten. So hätten z.B. 13.000 Wähler der Linken weniger in Bayern dazu geführt, dass die Linke ein zusätzliches Mandat in Nordrhein-Westfalen und damit auch insgesamt ein Mandat mehr gehabt hätte (Zu diesem und anderen absurden Effekten des Gesetzesentwurfs siehe ausführlicher hier). Während der Effekt des negativen Stimmgewichts im derzeitigen Wahlsystem die Abgabe der Stimme für die präferierte Partei entmutigt, kann im Vorschlag der Union und FDP sich der Entschluss eines Wählers, zur Wahl zu gehen, um seine präferierte Partei zu wählen, schon der eigenen Partei schaden.

Hinsichtlich der Überhangmandate besteht außerdem nicht nur parlamentarischer Handlungsbedarf aufgrund des Urteils von 2008. Im Urteil von 1997 erkannten selbst die damals das Urteil tragenden Richter, also diejenigen, die Überhangmandate nicht grundsätzlich als verfassungswidrig anerkennen wollten, dass, wenn Überhangmandate „regelmäßig in größerer Zahl“ anfielen, sich daraus ein „Handlungsauftrag“ an das Parlament ergeben könne, den „Grundcharakter der Verhältniswahl“ wieder herzustellen. Da die 16 Überhangmandate von 1994, die der Auslöser des damaligen Urteils waren, offensichtlich als eine solche „größere Zahl“ angesehen wurden und in vier der fünf letzten Wahlen diese oder eine noch größere Anzahl an Überhangmandaten tatsächlich aufgetreten ist, müssen die Bedingungen für das Vorliegen dieses „Handlungsauftrags“ wohl als gegeben angenommen werden. Und in einem frühen Entscheid vom 3. Juli 1957 erkannte das Bundesverfassungsgericht überdies, dass die „Verfassungsmäßigkeit“ der Überhangmandate „im Fall eines Missbrauchs angezweifelt werden“ müsste. Damit sprach das Gericht bewusste Manipulationen zum Zweck der gezielten Gewinnung von Überhangmandaten an. Aber spätestens seit der Nachwahl in Dresden bei der Bundestagswahl 2005 ist offensichtlich geworden, dass es gezielte Kampagnen zur Unterdeckung der Direktmandate mit den Zweitstimmen gab. Des Weiteren lässt sich durch Umfragedaten belegen, dass 2009 in Baden-Württemberg ein nicht unbedeutender Anteil der CDU-Anhänger mit ihrer Zweitstimme die FDP gewählt haben und somit zur Entstehung weiterer Überhangmandate beigetragen haben. Dies kann durchaus eine Art von Protestwahlverhalten gegenüber der zu „sozialdemokratisierten“ CDU unter Angela Merkel gewesen sein, es muss keine gezielte Kampagne gewesen sein, es hätte aber womöglich eine gezielte Kampagne sein können.

Sowohl sachliche als auch verfassungsrechtliche Gründe sprechen also dafür, auch und vor allem die Überhangmandate in den Fokus einer Wahlreform zu nehmen. Schließlich ist diesen auch die demokratietheoretische Gefahr inhärent, dass es durch sie sogar zu einer Umkehrung von Mehrheitsverhältnissen kommen könnte. Im Lichte der derzeitigen Umfrageergebnisse ist es zwar weniger wahrscheinlich, dass Überhangmandate Union und FDP als zusätzlicher virtueller Koalitionspartner zu einer Mehrheit verhelfen könnten, aber es wäre sehr gut vorstellbar, dass sie eine ansonsten mögliche Mehrheit von Rot-Grün verhindern würden. Eine solche Mehrheitsumkehr aber hätte mit Sicherheit verheerende Folgen für die Legitimation einer sich dann bildenden Regierung, die eine andere sein würde als die, die sich aufgrund der Stimmenmehrheiten ergeben hätte. Ohne Ausgleichsmandate hätte z.B. in Baden-Württemberg eine schwarz-gelbe Koalition trotz klarer Stimmenmehrheit von Grün-Rot weiterregieren können. Es ist nicht sonderlich schwer, sich auszumalen, was dies in der ohnehin angespannten Lage ausgelöst hätte.

Es mag sein, dass das Parlament durch das Urteil vom Juli 2008 nicht eindeutig angehalten ist, sich auch um die Lösung des Problems der Überhangmandate zu kümmern. Aber das heißt ja nun auch nicht umgekehrt, dass es dem Parlament verboten ist, sich mit den Überhangmandaten zu beschäftigen. Ein Parlament, das sich nur bei Auflagen des Verfassungsgerichts genötigt sieht, tätig zu werden, würde sich selbst überflüssig machen. Der allgemeine Handlungsauftrag an das Parlament besteht darin, aus schlechten Gesetzen wenn nicht gerade gute, so doch zumindest bessere Gesetze zu machen. Da die Überhangmandate ohne Zweifel das schwerwiegendste Problem im derzeitigen Wahlgesetz darstellen, ist eine Reform, die sich dieser Aufgabenstellung verweigert, von vorneherein zum Scheitern verurteilt und würde vorhersehbar ein Wahlgesetz auf Abruf produzieren.

Joachim Behnke ist Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft an der Zeppelin Universität Friedrichshafen.

 

Wahlrecht ab 16 – Chance oder Risiko?

„Wir wollen das Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre absenken.“ So steht es im vor wenigen Tagen veröffentlichten Koalitionsvertrag von Bündnis-Grünen und SPD in Baden-Württemberg. Die Grünen setzen damit eines ihrer Wahlziele um, wie zuvor schon in sechs anderen Bundesländern.

In Bremen konnte die Ökopartei vor zwei Jahren eine entsprechende Wahlrechtsreform sogar für die Wahl zur Bürgerschaft durchsetzen. Am 22. Mai 2011 dürfen deshalb in Bremen zum ersten Mal auch 16- und 17-Jährige an einer Wahl auf Landesebene teilnehmen. Eine Senkung des Wahlalters auf Bundesebene, die ebenfalls von den Grünen beantragt worden war, scheiterte dageben schon zweimal an der Mehrheit des Bundestages, zuletzt am 2. Juli 2009.

Wie lässt sich dieses Scheitern erklären? Ein wichtiges Argument der Skeptiker lautet: Die Senkung des Wahlalters könne leicht zu einer Stärkung extremer Parteien führen, da Jugendliche möglicherweise anfälliger für links- und rechtsextremes Gedankengut seien. Insbesondere auf Bundesebene könne eine entsprechende Wahlrechtsänderung also fatale Konsequenzen haben.

Dem gegenüber stehen die Vorzüge eines niedrigeren Wahlalters, die auch im baden-württembergischen Koalitionsvertrag angeführt werden: „Kinder- und Jugendpolitik darf nicht nur Politik für junge Menschen sein, sie muss stets Politik mit jungen Menschen sein. […] Kinder und Jugendliche sollen grundsätzlich bei allen sie betreffenden Fragen politisch beteiligt werden.“

Betrachtet man die Datenlage auf kommunaler Ebene, wird deutlich, dass gesicherte Aussagen über das Wahlverhalten der 16- und 17-Jährigen nur schwer möglich sind . Das liegt daran, dass ihr Anteil an der Gesamtwählerschaft relativ gering ist. In vielen Wahlgebieten ist deshalb die Datenbasis für verlässliche Aussagen zu klein für , auch weil statistische Erfassungen des Wählerverhaltens aus datenschutzrechtlichen Gründen in der Vergangenheit immer stärker eingeschränkt wurden.

Die vorhandenen Daten sprechen jedoch eher gegen die Befürchtung, dass Jungwähler bei Kommunalwahlen überproportional häufig zur Wahl extremer Parteien neigen oder dass nur eine kleine Anzahl Jugendlicher mit extremen politischen Ansichten zur Wahl gehen würde. Im Gegenteil: Die Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen lag zwar meistens etwas unterhalb der Wahlbeteiligung in der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung, aber teilweise höher als die Wahlbeteiligung bei den volljährigen Erstwählern.

Ein aufschlussreiches Beispiel für ein Wahlrecht ab 16 auf Bundesebene bietet Österreich. Hier durften bei den Nationalratswahlen 2008 zum ersten Mal auch Wähler ab 16 Jahren an der Wahl teilnehmen. Betrachtet man deren Wahlverhalten, so lässt sich laut einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Sora feststellen: Je jünger die WählerInnen waren, desto eher wählten sie eine der beiden rechtspopulistischen Parteien FPÖ und BZÖ. Demnach gaben insgesamt 31 Prozent der 16-Jährigen an, BZÖ oder FPÖ gewählt zu haben, jedoch nur 18 Prozent der 18-Jährigen. Der tatsächliche Anteil von jugendlichen Rechtswählern lag zudem möglicherweise noch deutlich höher, da etwa ein Viertel der Jungwähler die Antwort verweigerte. Gleichzeitig rangierten aber die von den Rechtsparteien stark propagierten Themen wie strengere Einwanderungsbestimmungen oder die Integration von Ausländern auf der Prioritätenliste der Jugendlichen ganz unten.

Abbildung 1: Wahlverhalten von Jungwählern bei der Nationalratswahl in Österreich 2008 (Quelle: SORA – Institute for Social Research and Analysis)

Eine mögliche Erklärung für dieses Wahlverhalten findet sich in einer Studie der Universität Hohenheim zum Wahlrecht ab 16: Wie deren Befunde zeigen, bestanden zwischen den Probanden im Alter von 16 bis 17 Jahren und den Teilnehmern im Alter von 18 bis 20 Jahren systematische Unterschiede beim Wissen über und dem Verständnis von Politik. Bei der subjektiven Einschätzung des Verständnisses hingegen ergaben sich keine signifikanten Unterschiede. Die minderjährigen Jugendlichen waren sich ihrer Wissens- und Verständnisdefizite also nicht bewusst. Dass deshalb ähnliche Folgen einer Wahlrechtsreform wie in Österreich durchaus auch in Deutschland möglich wären, zeigt z.B. das Ergebnis der sog. U18-Jugendwahl in Baden-Württemberg, die kurz vor der Landtagswahl am 27. März 2011 durchgeführt wurde und an der sich über 30.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren beteiligten. Hier erhielt die NPD eine Zustimmung von 3,9 Prozent und damit einen etwa vier Mal so hohen Stimmenanteil wie bei der eigentlichen Landtagswahl (1,0 Prozent).

Abbildung 2: Wahlergebnis der U18-Jugendwahl und der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2011 (Quellen: Statistisches Landesamt, www.jugendwahl-bw.de)

Fazit: Um Risiken und Chancen eines Wahlrechts ab 16 Jahren gesichert einschätzen zu können, sind weitere und umfangreichere Datenerhebungen dringend nötig. Die bislang vorhandenen Daten weisen jedoch darauf hin, dass für Gemeinde-, Landes- und Bundesebene durchaus unterschiedliche Beurteilungen und Maßnahmen sinnvoll sein könnten. Demnach wurde in Österreich möglicherweise der zweite vor dem ersten Schritt getan, wie nach der Wahl auch der Vorsitzende der SPÖ-Fraktion im Nationalrat, Walter Steidl, feststellte: „Normalerweise wäre der erste Schritt nämlich die Vorbereitung der jungen Menschen auf diese Situation. Und das hat man etwas verschlafen.“

Weitere Quellen zum Thema:
Mößner, Alexandra (2006): Jung und ungebunden? Parteiidentifikation von jungen Erwachsenen. In: Roller, Edeltraud / Brettschneider, Frank / van Deth, Jan W. (Hrsg.): Jugend und Politik: „Voll normal!“. Wiesbaden: VS Verlag, S. 337-359.
Schoen, Harald (2006): Junge Wilde und alte Milde? Jugend und Wahlentscheidung in Deutschland. In: Roller, Edeltraud / Brettschneider, Frank / van Deth, Jan W. (Hrsg.): Jugend und Politik: „Voll normal!“. Wiesbaden: VS Verlag, S. 379-406.

 

Ein Plakat sagt mehr als 1000 Worte? Wahlplakate 2011

Wenn am kommenden Sonntag feststeht, wer zu den Verlierern der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gehört, dann wird mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder eine beliebte Erklärung hierfür zu hören sein: „Wir konnten den Wählern unsere Konzepte nicht gut genug vermitteln.“ Zwar steckt hinter dieser These zumeist der durchschaubare Versuch, die Verantwortlichkeit für die Wahlniederlage auf die (begriffsstutzigen) Wähler zu verschieben. Doch: Das bedeutet im Umkehrschluss nicht zwangsläufig, dass Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Parteien und Wählern als Erklärung für das Wahlergebnis ausscheiden.

Betrachtet man die Kommunikation zwischen Parteien und Wählern im Vorfeld einer Wahl, so dominiert nach wie vor ein sehr traditioneller Kommunikationskanal: das Wahlplakat. Denn Wahlplakate sind noch immer die einzige Möglichkeit für die Parteien, mit ihren Botschaften fast die gesamte Wählerschaft zu erreichen. Alle anderen Werbemittel wie Fernseh- und Radiospots, Anzeigen, Flugblätter, Wahlkampfstände, Kundgebungen oder Webseiten werden jeweils nur von einem deutlich kleineren Teil der Wahlbevölkerung wahrgenommen bzw. genutzt (vgl. z.B. Schmitt-Beck/Wolsing 2010). Nicht ohne Grund wird den Wahlplakaten von den Wahlkampfmanagern also nach wie vor eine enorme Bedeutung zugemessen; was sich auch an der Tatsache ablesen lässt, dass etwa ein Drittel des Wahlkampfbudgets der Parteien auf den Plakat-Wahlkampf entfällt (vgl. z.B. Müller 2002, Lessinger/Holtz-Bacha 2010).

Doch zurück zu den aktuellen Landtagswahlkämpfen: Eine aktuelle Studie der Universität Hohenheim zu den Plakat-Kampagnen in Baden-Württemberg lässt darauf schließen, dass es den Parteien tatsächlich vielfach nicht gelingt, ihre Botschaften erfolgreich zu vermitteln – zumindest, was die Plakat-Werbung betrifft. So zeigte sich etwa, dass bei einem Multiple-Choice-Test nur ein Drittel der über 400 für die Studie befragten Testpersonen in der Lage war, einem Plakat der FDP zur Haushaltspolitik die korrekte Aussage zuzuordnen. Ein Plakat der SPD zur Integrationspolitik schnitt nicht viel besser ab, hier konnte knapp die Hälfte der Befragten die Aussage des Plakats richtig deuten. Auch die Grünen überforderten immerhin noch etwa 30 Prozent der Befragten mit ihrem Plakat „Die neue Ellenbogen-Gesellschaft“.

Am verständlichsten bewerteten die Befragten hingegen ein Plakat der Linkspartei mit dem Slogan „Aktiv gegen Kinderarmut und Hartz IV!“. Ähnlich gut schnitt ein CDU-Plakat zur Bildungspolitik („Viele Chancen auf gute Bildung“) und ein SPD-Plakat zum Thema Arbeit („Wir brauchen Arbeit, von der man gut leben kann.“) ab. Diese beiden Plakate wurden zugleich auch als besonders glaubwürdig wahrgenommen.

Betrachtet man die Plakat-Kampagnen der Parteien in Baden-Württemberg im Vergleich, so lässt sich in der Tat feststellen, dass insbesondere die SPD mit Fug und Recht behaupten könnte, ihre Konzepte den Wählern nicht gut genug vermittelt zu haben. Denn ihr Plakat-Design arbeitet großenteils mit Fragen, die sich keineswegs selbst beantworten, versteckt die Antworten darauf aber trotzdem im kaum lesbaren „Kleingedruckten“ der Plakate. Auch die äußerst kleinteiligen Foto-Motive können dabei leider kaum zur Aufklärung beitragen. Dass die SPD das besser kann, hat sie in zahlreichen früheren Wahlkämpfen bewiesen. Und nicht nur das: Auch ein Blick in die aktuelle Plakat-Kampagne der SPD in Rheinland-Pfalz genügt, um zu zeigen, wie verständliche Wahlplakate aussehen.

Quellen:

Lessinger, Eva-Maria / Holtz-Bacha, Christina (2010): “Wir haben mehr zu bieten”: Die Plakatkampagnen zu Europa- und Bundestagswahl. In: Holtz-Bacha, Christina (Hrsg.) (2010): Die Massenmedien im Wahlkampf: Das Wahljahr 2009. Wiesbaden: VS Verlag, S. 67-116.
Müller, Marion G. (2002): Parteienwerbung im Bundestagswahlkampf 2002. In: MediaPerspektiven 12/2002, S. 629-638.
Schmitt-Beck, Rüdiger / Wolsing, Ansgar (2010): Der Wähler begegnet den Parteien. Direkte Kontakte mit der Kampagnenkommunikation der Parteien und ihr Einfluss auf das Wählerverhalten bei der Bundestagswahl 2009. In: Korte, Karl-Rudolf (Hrsg.): Die Bundestagswahl 2009: Analysen der Wahl-, Parteien-, Kommunikations- und Regierungsforschung. Wiesbaden: VS Verlag, S. 48-68.

 

Der unbekannte Wähler? Mythen und Fakten über das Wahlverhalten der Deutschen

Es ist schon erstaunlich, was so alles über die deutsche Wählerin und den deutschen Wähler im Umfeld von Wahlen gesagt wird. Anhand einer Vielzahl von Instrumenten wird ihm oder ihr „auf den Zahn gefühlt“, so dass eigentlich jedem interessierten Journalisten, Politiker und Bürger klar ist, warum wer wen aus welchen Gründen gewählt hat. Dass diese Einschätzung oft auf zweifelhaften Quellen ruht, wie z.B. O-Ton-Aufnahmen in Fußgängerzonen, bleibt dabei häufig unbeachtet. So entstehen moderne Mythen über den deutschen Wähler, die sich trotz nicht unerheblicher Veränderungen bei den Wählern und in der politischen Landschaft hartnäckig halten. Ein politisches „Aufklärungsbuch“ hat sich solchen Mythen angenommen und stellt ihnen wissenschaftlich fundierte Aussagen entgegen. Im Einzelnen wird folgenden Fragen nachgegangen, auf die die Medien oft vorschnell eine Antwort finden:

Spielt Ideologie für Parteien und Wähler keine Rolle mehr? Gefährden Wechselwähler die Demokratie? Verliert die Demokratie ihren Nachwuchs? Entscheiden Spitzenkandidaten Wahlen? Sind TV-Duelle nur Show und damit nutzlos? Sind die Volksparteien am Ende? Ist die sinkende Wahlbeteiligung eine Gefahr für die Demokratie? Ist Ostdeutschland politisch ganz anders? Beeinflussen (getwitterte) Umfrageergebnisse Wahlentscheidungen? Verändern Große Koalitionen die Parteienlandschaft? Wie gehen die Wähler mit dem Bundestags-Wahlsystem um? Entscheidet die Wirtschaftslage Wahlen? Verhalten sich Frauen in der Politik anders? In erstaunlich vielen Fällen kommen die Autoren zu anderen Antworten als die Medien. Beispielsweise ist die Jugend von heute nicht weder interessiert oder desinteressiert an Politik als vor 30 Jahren und TV-Duelle helfen entgegen ihres Images, eine reine Show-Veranstaltung zu sein, gerade weniger interessierten Wählern bei ihrer Wahlentscheidung. Erstaunlich ist hierbei, dass in den Medien häufig ein negativeres Bild vom deutschen Wähler entworfen wird, als dies tatsächlich der Fall ist. Naheliegend ist daher, den Unkenrufen über den deutschen Wähler häufiger ein „Stimmt das denn?“ entgegenzusetzen.

Die Ergebnisse zu allen untersuchten Mythen sind hier zu finden: Evelyn Bytzek und Sigrid Roßteutscher (Hg.) 2011: Der unbekannte Wähler? Mythen und Fakten über das Wahlverhalten der Deutschen, Frankfurt am Main: Campus.

 

Alle Twitterer sind gleich, aber manche sind gleicher: Neue Gatekeeper und ihre Bedeutung für die Verbreitung von Nachrichten auf Twitter

von Andreas Jungherr, Pascal Jürgens und Harald Schoen

In den Monaten vor der Bundestagswahl 2009 war die politische Nutzung des Microblogging-Dienstes Twitter ein viel diskutiertes Element des Onlinewahlkampfs. Die Twitter-Nutzung durch Politiker und Parteien gab seitdem Anlass für viele Spekulationen in Presse und Wissenschaft, nicht zuletzt darüber, was „gutes politisches Twittern“ charakterisiere. Interessanter als das teils mehr, teils weniger geglückte Twittern einiger Volksvertreter erscheint uns jedoch die Gesamtheit der Twitter-Nachrichten aller politisch interessierten deutschen Nutzer. Ein Blick darauf erlaubt es zum einen, die Fieberkurve der Kampagne nachzuvollziehen. Zum anderen, und darauf wollen wir uns in diesem Beitrag konzentrieren, kann man an den Twitter-Nachrichten, welche die politisch interessierten Nutzer öffentlich untereinander austauschten, die Struktur politischer Kommunikationsnetzwerke studieren.

Als ein großer Vorzug der politischen Twitter-Nutzung wird gerne ins Feld geführt, auf dieser Plattform sei es jedem Nutzer möglich, mit seinen Nachrichten Gehör zu finden. Jeder Nutzer könne durch die Veröffentlichung informativer oder unterhaltsamer Tweets die Aufmerksamkeit anderer Nutzer und der klassischen Medien gewinnen. In dieser Twitter-Meritokratie werde Aufmerksamkeit nicht durch die Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Eliten bestimmt, entscheidend sei vielmehr die Fähigkeit, sich in 140 Zeichen auszudrücken. Für Vertreter dieser Interpretation sind alle Twitter-Nutzer gleich und haben die gleichen Chancen, mit ihren Nachrichten ein Publikum zu finden. Unsere Analyse zeigt jedoch, dass diese Vorstellung wenig mit der Realität gemein hat.

Während des Bundestagswahlkampfs 2009 sammelten wir alle Nachrichten von Twitter-Nutzern, die zwischen Juni und Oktober 2009 mindestens einmal eine Nachricht mit einem politischen Stichwort veröffentlichten. Dieses Auswahlkriterium erfüllten etwas über 33.000 politisch interessierte Twitter-Nutzer, die in diesem Zeitraum rund 10 Millionen Nachrichten veröffentlichten. Auf Twitter markieren Nutzer Nachrichten, die sich gezielt an einen oder mehrere andere Nutzer richten, durch ein @-Zeichen, gefolgt von den Nutzernamen der betreffenden Personen. Um Nachrichten zu markieren, die sie wörtlich von anderen Twitter-Nutzern zitieren, auch Retweet genannt, verwenden Nutzer die Zeichenkombination RT @Nutzername.

Die so mit @Nutzernamen oder  RT @Nutzername markierten Nachrichten nutzen wir, um Konversationsnetzwerke zwischen Twitter-Nutzern abzubilden. In diesen Netzwerken sind die einzelnen Twitter-Nutzer als Knotenpunkte dargestellt. Die unter den Nutzern ausgetauschten Botschaften werden als Verbindungslinien zwischen den Knoten repräsentiert. Mit den Mitteln der quantitativen Netzwerkanalyse lassen sich diese Konversationsnetzwerke genauer beschreiben und analysieren.

Hätten auf Twitter tatsächlich alle Nutzer die gleichen Chancen, mit ihren Nachrichten auf ein breites Publikum zu stoßen, so wäre zu erwarten, dass jeder Nutzer mit ähnlich vielen anderen Nutzern kommuniziert. Alle Nutzer sollten also ähnlich viele Verbindungen aufweisen. Wollte man ein solches Netzwerk von Gleichen unter Gleichen graphisch darstellen, so sähe es in etwa so aus wie Abbildung 1. Sie zeigt ein Netzwerk von Nutzern, die etwa gleich viele Kommunikations-Verbindungen zu anderen Nutzern unterhalten. Jeder Nutzer hat die Möglichkeit, andere Nutzer über viele unterschiedliche Verbindungen zu erreichen. Keine Person besitzt ein Monopol auf die Weiterverbreitung von Nachrichten zwischen zwei oder mehreren Nutzern, da es immer noch andere Nutzer gibt, die Nachrichten übermitteln können. Soweit die Modellvorstellung.

Abbildung 1: Ideales Kommunikationsnetzwerk von Gleichen unter Gleichen

Wie läuft politische Kommunikation auf Twitter aber tatsächlich ab? Abbildung 2 zeigt das Netzwerk der Konversationen von politisch interessierten Twitter-Nutzern, die am 1. September 2009 stattfanden. Um den tatsächlichen Nachrichtenfluss zwischen politischen Twitter-Nutzern abzubilden, analysierten wir die mit @Botschaften und RTs gekennzeichneten Konversationen zwischen Nutzern. Die Knotenpunkte, die die Nutzer darstellen, sind unterschiedlich groß. Die Größe der Punkte gibt wieder, wie häufig ein Nutzer angeschrieben wurde: Je größer der Punkt, desto häufiger wurde der Nutzer erwähnt. Die Stärke der Linien, die die Kommunikation über @Botschaften oder RTs erfassen, steht für die Häufigkeit des Austauschs: Je dicker die Linie zwischen zwei Nutzern, desto häufiger kommunizierten diese an dem von uns untersuchten Tag. Konversationen zwischen Nutzern messen wir hier als Nachrichten, die entweder mindestens einmal geretweetet wurden oder auf die mit mindestens einer @Botschaft reagiert wurde. Es genügt also nicht eine einseitige Kontaktaufnahme. Wir setzen vielmehr auch eine Reaktion in Form einer Antwort oder Weiterleitung voraus.

Wir erhalten so ein Netzwerk aus 405 politisch interessierten Twitter-Nutzern, die durch 662 Konversationen miteinander verbunden sind. Dieses Netzwerk in der linken Hälfte von Abbildung 2 erscheint bereits auf den ersten Blick weniger dicht und „verstreuter“ als das idealtypische Netzwerk der Gleichen. Offenbar gibt es im empirischen Netzwerk einige wenige Nutzer mit äußerst vielen Verbindungen zu anderen Nutzern. Zugleich findet sich eine Vielzahl von Nutzern mit nur wenigen Verbindungen. Wollen diese Nutzer große Aufmerksamkeit auf sich und ihre Botschaften ziehen, sind sie daher darauf angewiesen, dass Nutzer mit vielen Verbindungen ihre Nachrichten aufgreifen und zum Beispiel durch Retweets wiederveröffentlichen.

Abbildung 2: Kommunikationsnetzwerk politisch interessierter Twitter-Nutzer am 1.9.2009 [Für eine größere Version bitte das Schaubild anklicken]

Welche Bedeutung diese wenigen stark verknüpften Nutzer für das Konversationsnetzwerk haben, zeigt das im rechten Teil von Abbildung 2 dargestellte Netzwerk. Hier ist noch einmal das Konversationsnetzwerk vom 1. September 2009 dargestellt, diesmal allerdings ohne die zehn am stärksten vernetzten Nutzer. Es fällt sofort ins Auge: das vorher geschlossene Netzwerk zerbricht in 81 von einander isolierte Einzelteile. Auf den Informationsfluss im Netzwerk gemünzt, bedeutet diese Erkenntnis: Konnte im vollständigen Netzwerk (links) eine Nachricht oder Information ihren Weg über Konversationsverbindungen zu allen Nutzern des Netzwerkes finden, so führt die Entfernung der zehn am stärksten vernetzten Nutzer zur Isolation kleiner Nutzercliquen. Informationen überspringen Gruppengrenzen nun nicht mehr. Was bedeutet dies nun für die Verbreitung politischer Informationen?

Ähnliche Muster untereinander stark vernetzter Nutzer-Gruppen, die über wenige Nutzer mit anderen, weiter entfernten Gruppen im Netzwerk verbunden sind, werden häufig als Small-World-Netze bezeichnet. In solchen Netzen ist es möglich, jeden Teilnehmer über nur wenige Verbindungen zu erreichen, obwohl der größte Teil der Nutzer nicht direkt miteinander verbunden ist. Die überwiegende Zahl der Nutzer steht nur mit relativ wenigen Nutzern in Kontakt. Trotzdem können sich Informationen schnell verbreiten – weil, bildlich gesprochen, Brücken die kleinen Kommunikationsinseln miteinander verbinden.

Diese Brücken zwischen einzelnen Gruppen haben wir in unserem Beispiel entfernt, um ihre Bedeutung für den Informationsfluss darzustellen. In der Praxis verschwinden diese Nutzer natürlich nicht. Vielmehr entscheiden sie darüber, welche Informationen oder Nachrichten sie weiterleiten – und welche sie ignorieren. Von ihnen hängt der Kommunikationsfluss im Netzwerk ab. Stark verknüpfte Nutzer werden daher zu einer Art Gatekeeper, die den politischen Informationsfluss auf Twitter filtern. Sie erfüllen damit eine Filterfunktion, die sonst traditionelle Medien übernehmen. Auf Twitter sind also nicht alle Nutzer gleich, die neuen Gatekeeper sind gleicher.

Literatur:

Pascal Jürgens und Andreas Jungherr (2011) „Wahlkampf vom Sofa aus: Twitter im Bundestagswahlkampf 2009“, in: Eva Johanna Schweitzer und Steffen Albrecht (Hrgs.), Das Internet im Wahlkampf: Analysen zur Bundestagswahl 2009, Wiesbaden: VS Verlag (i.E.).

Duncan J. Watts (1999), Small Worlds. Princeton: Princeton University Press.

Die Autoren:

Andreas Jungherr arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Soziologie an der Universität Bamberg. Dort promoviert er zur Dynamik politischer Twitternutzung. Er twittert unter dem Namen @ajungherr.

Pascal Jürgens ist Kommunikationswissenschaftler und promoviert demnächst im Bereich der Online-Kommunikation. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in empirischen Methoden, insbesondere bei Sozialen Netzwerken und Modellierung.

Harald Schoen ist Politikwissenschaftler und Professor für Politische Soziologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Zu seinen Forschungsgebieten gehören Wahlverhalten, Wahlkämpfe und ihre Wirkungen, Einstellungen zu außen- und sicherheitspolitischen Themen sowie Fragen der politischen Psychologie und der Politischen Kommunikation.

 

Zum Amt des Vizekanzlers

Wenn Guido Westerwelle auftritt, wird er oft als „Vizekanzler“ angekündigt, und manchmal bezeichnet er sich selbst so. Wenn man allerdings in unserer Verfassung nach dem Amt eines Vizekanzlers sucht, wird man nicht fündig. Teil 6 des Grundgesetzes (GG) legt die Rahmenbedingungen fest, unter denen die Bundesregierung gebildet wird, wie lange sie im Amt ist, welche zentrale Rolle ein Bundeskanzler bei all dem spielt und wie man den Bundeskanzler wählt oder wieder loswerden kann. Doch wo ist der Vizekanzler? Er tarnt sich offenbar als „Stellvertreter des Bundeskanzlers“ in Artikel 69 GG. Dort heißt es lapidar (Abs. 1): „Der Bundeskanzler ernennt einen Bundesminister zu seinem Stellvertreter.“ Mehr ist in unserer Verfassung über den vermeintlichen Vizekanzler nicht geregelt.

Aber die Absätze 2 und 3 machen klar, dass es sich bei diesem Stellvertreter kaum um ein eigenständiges Amt handeln kann, denn das Amt eines jeden Bundesministers endet mit der „Erledigung des Amtes des Bundeskanzlers“ (Art. 69 Abs. 2 GG). Der „Vize“, wenn man ihn denn so bezeichnen möchte, wird nicht etwa automatisch Nachfolger eines zurückgetretenen oder gestorbenen Kanzlers, wie dies beispielsweise mit dem Vizepräsidenten der USA der Fall ist. Sollte der Bundeskanzler aus dem Amt geschieden sein und der Bundespräsident ihn nicht ersucht haben, das Amt bis zur Wahl eines Nachfolgers weiter auszuüben, kann entweder der bisherige Kanzler oder der Bundespräsident einen Bundesminister ersuchen, die Geschäfte des Bundeskanzlers kurzzeitig weiterzuführen (Art. 69 Abs. 3 GG). Dass ein solcher Geschäftsführer der ehemalige Stellvertreter sein muss, ist nicht zwingend, auch wenn Walter Scheel als Bundesaußenminister und Stellvertreter im Frühjahr 1974 neun Tage lang die Geschäfte des zurückgetretenen Kanzlers Willy Brandt bis zur Wahl Helmut Schmidts führte.

Im Grundgesetz spielt der Stellvertreter des Bundeskanzlers demnach eine alles in allem vernachlässigbare Rolle. Doch vielleicht verleiht ihm die Geschäftsordnung der Bundesregierung nach Art. 65 Satz 4 ja größere Bedeutung. Dort heißt es in §8 immerhin: „Ist der Bundeskanzler an der Wahrnehmung der Geschäfte allgemein verhindert, so vertritt ihn der gemäß Artikel 69 des Grundgesetzes zu seinem Stellvertreter ernannte Bundesminister in seinem gesamten Geschäftsbereich. Im übrigen kann der Bundeskanzler den Umfang seiner Vertretung näher bestimmen.“ Demnach schlüpft der Stellvertreter nur dann in die Rolle des Kanzlers, wenn dieser „allgemein verhindert“ ist. Das kann schon einmal vorkommen, auch wenn der Kanzler bestimmen kann, inwieweit der Stellvertreter tatsächlich den Regierungschef „geben“ kann.

Guido Westerwelle, soviel ist klar, genießt die Rolle des Vertretungskanzlers und hat ihre Ausübung am 4. August 2010 sogar mit einer Pressekonferenz zu zweitrangigen Themen medial inszeniert. Das ist genauso neu wie die ständige Verwendung des Titels „Vizekanzler“ in und durch die Medien. Die bisherigen Stellvertreter eines Bundeskanzlers haben um ihre Vertretungsfunktion wenig Aufhebens gemacht, egal ob sie der FDP, der SPD, der CDU oder den Grünen angehörten. Eine Ausnahme mag es mit Jürgen Möllemann gegeben haben, der 1992/93 für immerhin acht Monate Stellvertreter des Bundeskanzlers Helmut Kohl war und mit dieser Tatsache ebenfalls nicht hinterm Berg hielt.

Ob nun Stellvertreter oder Vizekanzler, es handelt sich dabei um nicht mehr oder weniger als eine zusätzliche Funktion eines Bundesministers. Im politischen Alltag spielt die Stellvertreterfunktion selten eine Rolle und wird sich dann auch auf mit dem Kanzler abgestimmte Handlungen wie die Leitung von Kabinettssitzungen beschränken. Und falls der Kanzler endgültig abhanden kommt, wird der Bundestag binnen kurzer Zeit einen ganz neuen wählen. Es gibt also keinen sachlichen Grund, die Rolle des Stellvertreters des Bundeskanzlers immer wieder besonders hervorzuheben oder gar das eigentlich ausgeübte Amt, nämlich das des Bundesministers, das eine notwendige Bedingung für die Rolle des Stellvertreters ist, mit der Bezeichnung „Vizekanzler“ zu ersetzen. Will man sich fußballerischer Analogien bedienen, dann ist Philipp Lahm wahrscheinlich schon jetzt mehr Kapitän der Fußballnationalmannschaft als Guido Westerwelle je Kanzler der Bundesrepublik.

 

Das Kopf-an-Kopf-Rennen, das nie eines war

Als die Massenmedien den Volksentscheid in Bayern wenige Tage vor der Abstimmung für sich entdeckten, fehlte in kaum einem Bericht der Hinweis darauf, dass die Ja- und die Nein-Seite Kopf an Kopf lägen. Womöglich haben diese Berichte die beiden Kampagnenseiten zusätzlich angestachelt, womöglich auch die Beteiligung am 4. Juli ein wenig gesteigert. Ob solche Wirkungen aufgetreten sind, wissen wir (noch) nicht. Bemerkenswert sind die Berichte in jedem Fall, und zwar aus zwei Gründen.
Als Grundlage für die Kopf-an-Kopf-Diagnose diente eine Telefonumfrage, die TNS Infratest im Auftrag von „Bayern sagt Nein!“ durchgeführt hatte, und zwar in der Zeit vom 8. bis zum 23. Juni. Merkwürdigerweise wurden Ergebnisse dieser Mitte Juni geführten Interviews noch Anfang Juli als aktueller Stand dargestellt. Dies legt den Eindruck nahe, dass die geradezu gebetsmühlenhaften Hinweise, dass es sich bei Umfrageergebnissen um Momentaufnahmen handele, in der öffentlichen Kommunikation weitgehend ungehört verhallen.
Es kommt hinzu, dass die Kopf-an-Kopf-Diagnose die Realität offenbar nicht zutreffend beschrieb. Diese Einsicht verdanken wir einem – unkoordinierten – Methodenexperiment. Denn zwischen 8. und 23. Juni fand nicht nur eine Befragung im Auftrag der Nein-Seite statt, sondern auch im Rahmen des Forschungsprojekts zum Volksentscheid an der Universität Bamberg. Beide Erhebungen verwendeten die gleiche Befragungsmethode im gleichen Zeitraum – gelangten aber zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wie Tabelle 1 zeigt, zeichnete sich in der Umfrage im Auftrag der Nein-Seite ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. In der Bamberger Untersuchung war dagegen eine deutliche Mehrheit für ein Ja zu erkennen, wie im gesamten Erhebungszeitraum vom 25. Mai bis zum 3. Juli. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen gab es demnach nicht – wie auch nicht bei der Abstimmung am 4. Juli.

Tabelle 1: Angaben zum Stimmverhalten am 4. Juli in den beiden Befragungen

  „Bayern sagt Nein!“ Uni Bamberg
Dafür 48 62
Dagegen 49 29
Ungültig 0
Weiß nicht 2 6
Keine Angabe 1 3
N 740 1327

Quelle: „Volksentscheid Bayern – Nichtraucherschutz-Gesetz Juni 2010“ Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung und eigene Analysen der Daten aus dem Bamberger Projekt zum Volksentscheid. Aus Vergleichsgründen werden nur Personen betrachtet, die „bestimmt“, „wahrscheinlich“ oder „vielleicht“ am Volksentscheid teilnehmen wollten.

Wie ist dieser Unterschied zu erklären? Der Schlüssel dürfte in den Frageformulierungen liegen. In der Bamberger Untersuchung wurde gefragt: „Beim Volksentscheid am 4. Juli können Sie für oder gegen den Gesetzentwurf ‚Für echten Nichtraucherschutz!‘ stimmen. Wie werden Sie stimmen: für oder gegen den Gesetzentwurf?“ Das Aktionsbündnis der Nein-Seite ließ fragen: „Die Befürworter des Volksentscheids wollen ein komplettes Rauchverbot durchsetzen, die Gegner wollen, dass das geltende Nichtraucherschutzgesetz Bestand hat, dass also auch weiterhin in abgetrennten Räumen oder in Festzelten geraucht werden darf. Wie würden Sie beim Volksentscheid am 4. Juli abstimmen: für den Gesetzentwurf oder dagegen?“ Diese Formulierung bietet den Befragten wesentlich mehr Informationen als das Bamberger Instrument – und vermutlich mehr Informationen, als viele der eher wenig informierten Befragten vor dem Interview besaßen. Zudem scheinen die Hinweise auf das „komplette Rauchverbot“, auf den „Bestand des geltenden Nichtraucherschutzgesetzes“ und auf die Möglichkeit, „weiterhin in abgetrennten Räumen oder in Festzelten“ zu rauchen, manche Befragte zu einem Nein veranlasst zu haben. Im Ergebnis bildete das Interview offenbar die Meinungsbildung einiger Bürger nicht zutreffend ab, so dass die Umfrage einen falschen Eindruck von der Stimmungslage in Bayern vermittelte.
Man könnte versucht sein, dieses Beispiel zum Anlass zu nehmen, die Umfrageforschung und ihre Ergebnisse zu verwerfen. Das hieße jedoch, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Denn Umfragen können wichtige Erkenntnisse über die Gesellschaft an den Tag bringen, wenn sie sorgfältig und sachkundig konzipiert, durchgeführt und interpretiert werden – und dabei kann es gelegentlich auf vermeintlich vernachlässigbare Details ankommen.