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Ben Bernanke, der Retter

 

Ben Bernanke rettet die amerikanische Konjunktur. Oder doch nicht? Unter dem Titel „Der Retter“ hat sich Claus Tigges in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ausführlich mit den Maßnahmen des Chefs der Federal Reserve beschäftigt. Ob er damit Erfolg haben wird, sagt der Autor allerdings nicht. Am Schluss bleibt allein die Erkenntnis, dass das weite Öffnen der Geldschleusen „letztlich nur zur Aufweichung der Geldstabilität führt“ und so „die Saat für eine neue Preisblase auf einem Markt für Vermögenswerte“ ausgebracht wird.

Kann aber durch eine solche Politik immerhin eine Rezession vermieden oder abgekürzt werden? Wir erfahren es nicht. Dafür lernen wir, dass „Greenspan … ein Star [war und] Bernanke [jetzt seine] Fehler ausbügeln“ muss.*) Andererseits hinterlässt der Text den Eindruck, als mache er dieselben Fehler wie sein Vorgänger, nämlich immer dann Gas zu geben, wenn es in der Wirtschaft nicht so gut läuft, im Vertrauen darauf, dass die Inflation tendenziell zurückgehen wird. Ben Bernanke also eher ein tragischer Held?

Tigges bedauert, dass die Fed drei Ziele gleichzeitig erfüllen muss, nämlich Preisstabilität, maximale Beschäftigung und mäßig hohe langfristige Zinsen. An den Eliteuniversitäten Stanford und Princeton, wie es in seinem Artikel ehrfürchtig heißt, war Bernanke bei seinen Forschungen aber zu der Erkenntnis gekommen, dass die Geldpolitik am besten à la EZB einer Regelbindung, nämlich einem expliziten Inflationsziel, unterliegen sollte – und zu sonst gar nichts, darf vermutet werden. „Bernanke muss nun den Mut aufbringen, sich vom Kurs seines Vorgängers zu entfernen. Sonst wiederholt er nur Greenspans Fehler“, schreibt Tigges

Also was? Macht Bernanke zur Zeit etwas falsch? Hätte er Bear Stearns nicht retten sollen? Hätte er die Zinsen nicht so rasch um 300 Basispunkte senken sollen?

In einer Krise, die Züge einer Systemkrise hat, gilt der Grundsatz „first things first“, und das ist nun mal die Bereitstellung von fast unbegrenzter Liquidität zu günstigen Konditionen, was den Ankauf und die zeitweise Übernahme minderwertiger Aktiva aus dem Finanzsektor einschließt. Die Notenbank von Hongkong (HKMA) hatte einst sogar Aktien angekauft, als eine Krise aus dem Ruder zu laufen drohte. Das war genau das Richtige, und für die Steuerzahler der Kolonie am Ende ein sehr gutes Geschäft.

Soll die Fed auf einmal erklären, sie strebe ein Inflationsziel von 2 Prozent an? Soll sie die Zinsen erhöhen? Was sind das für Rezepte? Für jede Zentralbank ist das wichtigste Ziel nicht die Preisstabilität, auch wenn die nach ihrem Mandat in der Regel Priorität hat, sondern die Funktionsfähigkeit des Finanzsektors sicherzustellen, also die „Tauschwirtschaft“ nicht zusammenbrechen zu lassen. Da die explizite Formulierung eines solchen Ziels die Akteure an den Geld- und Kreditmärkten zu leichtsinnigem Verhalten animieren könnte, wird das nie so offen gesagt. Die Umstände lassen der Fed augenblicklich keine Wahl – sie tut im großen Ganzen das, was getan werden muss. Das heißt nicht, dass Bernankes Politik seit seinem Amtsantritt stets die richtige war. Immerhin hatte er aber durch das Anziehen der Zinsschraube zunächst versucht, die Luft aus der Blase am Immobilienmarkt zu lassen.

Ein Problem war auch der überbewertete Dollar, der seinen Niederschlag in einem scheinbar endlosen Konsum- und Verschuldungsboom und jährlichen Leistungsbilanzdefiziten von 800 Milliarden Dollar fand. Die Amerikaner hatten weit über ihren Verhältnissen gelebt, immer im Vertrauen darauf, dass sie einen so tiefen und soliden Kapitalmarkt besaßen, dass die Ausländer ihre Waren und Dienstleistungen bereitwillig gegen Dollarforderungen eintauschen würden – was auch jahrelang der Fall war. Nur jetzt nicht mehr! Das Ausland hat den USA gewissermaßen einen Margin Call zugestellt – die Kreditwürdigkeit hat gelitten. Dass der Dollar nicht zuletzt wegen der niedrigen Fed-Zinsen so stark abgewertet hat und offenbar noch weiter abwertet, ist genau die richtige Medizin. Wenn die Inlandsnachfrage zugunsten der Auslandsnachfrage zurückgedrängt werden muss, geht das am besten über eine deutliche Änderung der relativen Preise, in diesem Fall also des Wechselkurses. Jetzt die Zinsen zu erhöhen, wäre kontraproduktiv, um es freundlich auszudrücken.

Übrigens wäre es für den Abbau der amerikanischen Ungleichgewichte nicht unbedingt hilfreich, wenn die EZB jetzt ebenfalls begänne, aus Sorge um die Konjunktur ihrerseits die Zinsen zu senken – weil dadurch die Dollarabwertung vermutlich frühzeitig beendet wäre. Aber so wie die Fed grundsätzlich nur amerikanische Interessen im Auge hat, ist es selbstverständlich, dass sich auch die EZB zuerst einmal von der konjunkturellen Lage und den Inflationsaussichten im Euroraum leiten lässt. Die Volkswirtschaft des Euroraums ist beim jetzigen Wechselkurs und gemessen am nominalen BIP genauso groß wie die amerikanische und hat damit ebenfalls einen im Vergleich zum Binnensektor kleinen Außensektor. Binnenwirtschaftliche Aspekte stehen hier wie dort im Vordergrund. Der nächste Schritt der EZB wird daher eine Zinssenkung sein, auch wenn sie sich damit noch Zeit lassen wird. Die Inflation ist zu hoch, und sie ist sich nicht sicher, dass die Inflationserwartungen nicht weiter steigen (vgl. S. 38 im März-Bulletin).

Zugegebenermaßen ist Inflation immer ein monetäres Phänomen. Die massiv expansive Geldpolitik der Fed hat hier ihre Risiken. Bernanke, der sich mit systemischen Krisen und Rezessionen auskennt, weiß allerdings, dass auch eine extrem starke Ausweitung der Geldversorgung einhergehen kann mit Deflation. So geschehen in Japan, wo die Geldbasis, die bekanntlich von der Notenbank gesteuert werden kann – anders als M1, M2 und so weiter, jahrelang mit Raten von 20 bis 30 Prozent zugenommen hatte. Die Deflation war im japanischen Fall durch den Wertverlust der Aktiva von Banken und Haushalten verursacht. Um die Bilanzen nach diesen Verlusten wieder zu sanieren, die Passiva an die geschrumpften Aktiva anzupassen, musste lange Zeit äußerst sparsam gewirtschaftet werden. Die Kosten mussten runter, einschließlich der Löhne. Das hieß nichts anderes, als aggressiv die Schulden abzubauen. Die Folge war eine nicht enden wollende Schwäche der inländischen Nachfrage und ein Rückgang des Preisniveaus. Erinnert sich, nebenbei gesagt, noch jemand daran, dass das japanische Staatsdefizit zeitweise 8 Prozent des BIP erreicht hatte? War auch nicht negativ für den Geldwert.

Dass sich so etwas nach dem Platzen der Immobilienblase in den USA wiederholen könnte, ist vermutlich Ben Bernankes größte Sorge. Ich denke schon, dass er gar nicht anders kann, als eine expansive Politik zu betreiben. Ob er letztendlich Erfolg haben wird, ist keineswegs ausgemacht. Die neue Euphorie an den Aktienmärkten ist allerdings ein Zeichen, dass die Anleger durchaus daran glauben. Drücken wir ihnen die Daumen.

*) siehe F.A.S. vom 6. April 2008 (Print-Ausgabe)