Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Warum Aktien manchmal keinen Inflationsschutz bieten

 

Im vergangenen Jahr haben sich die Inflationsraten im Euroraum mehr als verdoppelt. Im Rest der Welt war es ähnlich. Wenn man sich ansieht, was sich bei den Rohstoffen, Einfuhren und Vorprodukten an der Preisfront abspielt, muss man eigentlich folgern, dass in der Pipeline noch eine ganze Menge an Inflationspotential steckt. Die Wahrscheinlichkeit einer globalen Rezession nimmt zwar mit jedem Tag zu, an dem der Ölpreis auf dem jetzigen Niveau verharrt oder steigt, trotzdem werden wir es auf absehbare Zeit erst mal mit weiter steigenden Inflationsraten zu tun haben. Zudem fehlt es nicht an Liquidität, Folge der sehr laxen amerikanischen Geldpolitik und der dadurch bedingten Devisenmarktinterventionen der Emerging Markets. Auch der Auslastungsgrad des Welt-BIP ist nach wie vor so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr, so dass die Überwälzung der hohen Kosten leicht fallen dürfte.

Eigentlich müssten die Sparer angesichts dieser bedrohlichen Inflationsaussichten längst auf der Flucht in die Sachwerte sein, also Aktien und Immobilien kaufen – und alle Bonds, die sie haben, so schnell es geht verkaufen. Tun sie aber nicht. Ganz im Gegenteil: Staatsanleihen gelten im Augenblick als sichere Anlagen. In den USA rentieren 10-jährige Treasuries 3,95 Prozent, bei einer Inflationsrate von 4,2 Prozent (ggVj), bei uns im Euroraum gibt es trotz einer Inflationsrate von 4,0 Prozent auf Anleihen dieser Laufzeit eine Rendite von 4,46 Prozent („Bunds“).

Das ist ziemlich mickrig. Wie es aussieht, ist die Inflationsangst nicht sehr ausgeprägt. Die Inflationserwartungen steigen zwar stetig, bleiben aber angesichts dessen, was sich am aktuellen Rand abspielt, erstaunlich niedrig.

An den Aktienmärkten herrscht gleichzeitig unverminderter Verkaufsdruck – ob in den USA, in Westeuropa oder in Japan, überall befinden sich die Kurse seit Monaten im freien Fall, wie im Übrigen auch die Immobilienpreise. Man sollte doch meinen, dass die Inflation letztlich von den Unternehmen gemacht wird, dass sie also in der Lage sind, ihre Gewinnmargen aufrecht zu erhalten, ebenso wie Immobilienbesitzer in einem inflationären Umfeld in der Lage sein müssten, die Mieten anzupassen. Deshalb gelten schließlich Aktien und Grundvermögen als Sachwerte, also als wertstabile Anlagen.

Was ist los?

Die Buttonwood-Kolumne des Economist hat sich am Freitag dieses Themas angenommen. Die Hauptthese lautet: Solange die Inflation niedrig ist und die Löhne nominal nur langsam steigen, kann es sowohl zu einer Höherbewertung der Aktien (in Form steigender KGVs) als auch zu einem deutlichen Anstieg der Gewinne selbst kommen, auch relativ gesehen, etwa gemessen als Anteil am BIP. Phasen steigender und hoher Inflationsraten gehen dagegen einher mit volatilem BIP-Wachstum, volatilen Zinsen und Gewinnen, sowie einer schlechten Performance der Aktien.

In den USA war der Gewinnanteil im Verlauf des Nachkriegsbooms bis 1965 auf 12,2 Prozent gestiegen, war dann aber in der folgenden Hochinflationsphase bis 1982 auf 6,4 Prozent gesunken. Real gerechnet betrug der Ertrag aus amerikanischen Aktien von 1966 bis 1981 nur 0,1 Prozent pro Jahr. Es folgte das goldene Zeitalter der „great moderation“ – nicht nur, dass die Gewinne boomten, auch die KGVs sanken wieder deutlich. Mitte 2006 hatten die Gewinne wieder 12,0 Prozent am BIP erreicht und damit etwa so viel wie zuletzt 1965. Die KGVs hatten sich nach dem Ende der New Economy-Bubble im Jahr 2000 nur wenig erhöht. Nach dem jüngsten Gewinneinbruch sind sie allerdings wieder recht hoch (etwa 21 für den S&P500).

US Unternehmensgewinne in Prozent des BIP seit 1960

Um zunächst bei den USA zu bleiben: Es sieht nicht gut aus für die Aktienkurse. Die Gewinne sind weiter auf dem Rückzug. Wenn es wieder so geht wie in früheren Rezessionen, haben wir, von der Spitze aus gerechnet, bisher etwa die Hälfte des zu erwartenden Gewinneinbruchs von 25 Prozent hinter uns. Betroffen sind nicht nur die Banken, sondern zunehmend der gesamte Aktienmarkt, außer vielleicht die Exporteure und die Ölgesellschaften. Zudem ist ein Anstieg der KGVs von hier aus nicht wahrscheinlich, weil sie einfach schon sehr hoch sind – ein Rückgang ist plausibler.

Die kontinentaleuropäischen Aktienmärkte sind bereits stark gefallen und auf der Basis der Gewinne der letzten vier Quartale, einschließlich des ersten Quartals dieses Jahres, nicht übertrieben teuer. Die wichtigsten Aktienmärkte weisen KGVs zwischen 9 1/2 und 12 auf. Allerdings hat sich die Einkommensverteilung seit Anfang der neunziger Jahre stark zugunsten der Gewinne verschoben, so dass ein Rückschlag nicht überraschen würde. Bislang ist es den Unternehmen finanziell sehr gut gegangen, und es herrschte bis einschließlich des ersten Quartals de facto Hochkonjunktur. Alle Indikatoren deuten auf ein Ende dieser Phase.

Funktionale Einkommensverteilung Deutschland ab 1970

Vermutlich gehen die europäischen Gewinne von nun an zurück. Die Arbeitnehmer haben aber angesichts einer Arbeitslosenquote von 7,2 Prozent immer noch keine wirklich starke Verhandlungsposition und werden die Einkommensverteilung daher nur allmählich zu ihren Gunsten verschieben können. Da die Aktien in diesem Jahr schon fast ein Viertel ihres Wertes verloren haben und die KGVs, wie gesagt, relativ niedrig sind, sind die Aussichten zwar ebenfalls nicht gut, aber relativ gesehen doch viel besser als die für die amerikanischen. Safe Haven-Qualitäten, die den Sachwerten im Allgemeinen zugeschrieben werden, haben sie jedenfalls trotz steigender Inflation nicht. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen!