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Quantitative Easing erweist sich als Selbsttor

 

Wenn es das Ziel der Federal Reserve ist, durch den Ankauf von längerlaufenden Anleihen aller Art die gesamte Zinsstrukturkurve abzusenken und so die Bereitschaft, sich zu verschulden und Geld auszugeben zu stimulieren, muss man leider feststellen, dass das ein Flop war. Die Märkte machen nicht mit. Das kann nicht zuletzt daher kommen, dass sie verwirrt sind, dass ihnen nicht klar ist, wohin die Reise letztlich gehen soll.

Seit Ende 2008, als die Rendite der zehnjährigen Treasuries auf das Rekordtief von 2,05% gefallen war, hat sie sich um 178 Basispunkte auf 3,83% erhöht. In derselben Zeit ist die Inflation bei den Verbraucherpreisen im Vorjahresvergleich von +0,1% auf -1,3% gefallen. Wenn man die aktuelle Inflation also als Basis nimmt, ergibt sich eine reale Bondrendite von nicht weniger als 5,13%.

Das ist nicht nur deutlich mehr als die mittelfristig „normale“ Realrendite von irgendwo zwischen 2% und 2 1/2%, sondern passt vor allem überhaupt nicht in die konjunkturelle Landschaft. Mit der aktuellen Inflation zu argumentieren, ist natürlich nicht fair. Schauen wir auf die Inflationserwartungen, die für eine Zentralbank wie die EZB die alles entscheidende Zielgröße für den Erfolg ihrer Politik ist. Ablesen lassen sich die Inflationserwartungen am leichtesten an der Differenz zwischen den Nominalrenditen der Standard-Treasuries und den Renditen analoger inflationsindizierter Treasuries. Bei den zehnjährigen Papieren ergibt sich eine „breakeven“-Inflationsrate von 1,91%, im Fünfjahresbereich von 1,34% – das sind die im Durchschnitt von zehn oder fünf Jahren erwarteten Inflationsraten bei den Verbraucherpreisen.

Auf der Basis dieser Zahlen liegt die reale Rendite zehnjähriger Treasuries also knapp unter 2% und damit im Normalbereich. So oder so, sie betrug um die Jahreswende deutlich weniger, nämlich etwa 1,3% – in der Zwischenzeit sind die Inflationserwartungen, so wie sie in der breakeven-rate abgebildet werden, steil angestiegen. Gemessen an der realen Bondrendite ist die Geldpolitik der USA im Verlauf dieses Jahres entgegen der Intention deutlich restriktiver geworden.

Das Problem besteht darin, dass die Fed durch Nullzinsen und eine aggressive Expansion der Geldbasis (also ihrer Bilanzsumme) zum Einen dagegen kämpft, dass sich Deflationserwartungen einnisten, zum anderen aber die Bondrenditen senken möchte, was eigentlich am besten dadurch gelingt, dass die Inflationserwartungen abgesenkt werden. Man sollte meinen, beides gleichzeitig kann nicht funktionieren, die Inflationserwartungen zu erhöhen (im Kampf gegen die Deflation) und zu senken.

Die Anleger reagieren verschnupft auf den Versuch der amerikanischen Notenbank, durch den Ankauf von vorwiegend staatlichen Bonds die Schulden wegzuinflationieren. Es ist klar, dass das gelingen kann, wenn die Fed ihre Politik bis zur letzten Konsequenz fortsetzt. Sie finanziert dann die Ausgaben des Staates ganz offen durch Gelddrucken. Als Wertaufbewahrungsmittel würde der Dollar dann nicht mehr taugen, und vor allem ausländische Anleger würden sich anderen Währungen zuwenden – sogar in den USA könnten bestimmte Verträge in anderen Währungen als dem weichen Dollar abgeschlossen werden. Im Extremfall gäbe es eine Rückkehr zur geldlosen Tauschwirtschaft.

Dazu ist es bisher nicht gekommen. Niemand kann sich vorstellen, dass Herr Bernancke wirklich „does what it takes“ um die Deflation zu verhindern. Sonst hielte sich der Wechselkurs des Dollar auch nicht so erstaunlich gut. In Japan gab es Ende der neunziger Jahre ja schon einmal ein Experiment mit „quantitative easing“, das aber nach relativ kurzer Zeit aus den genannten Gründen abgeblasen wurde.

Ich halte den bisherigen Ansatz der EZB für den besseren. Ich zitiere Axel Weber: „Seit Herbst letzten Jahres wird Liquidität in Form eines Mengentenders mit vollständiger Zuteilung bereitgestellt. In Kürze werden wir im Rahmen der beschlossenen unkonventionellen Maßnahmen den Zeitraum für derartige Geschäfte auf 12 Monate erweitern. Dabei wurde auch der Kreis von Sicherheiten erweitert, die im Gegenzug für den Zentralbankkredit hinterlegt werden müssen.“ (Rede in Köln am 16. Juni 2009, S. 15) Die EZB macht also nicht den aussichtslosen Versuch, direkten Einfluss auf die gesamte Zinsstruktur zu nehmen, sondern beschränkt sich auf Geldmarktoperationen, wenn auch auf sehr großzügige. Sie haben den Vorteil, leicht reversibel zu sein, wenn es die Situation an der Inflationsfront eines Tages erfordern sollte.

Ich muss natürlich sagen – so hätte es sein können. Inzwischen hat auch die EZB aus nicht ganz ersichtlichen Gründen in den Apfel gebissen, den ihr die Interessenvertreter hingehalten haben. Noch einmal Weber im Wortlaut: „Das nun beschlossene Programm im Umfang von 60 Mrd. Euro dürfte dieses Marktsegment [die covered bonds, also die Pfandbriefe] wieder spürbar beleben und trägt somit ebenfalls zur Verbesserung der Liquiditätsausstattung der Banken bei. Das Primärziel der Marktstabilisierung kommt auch darin zum Ausdruck, dass das Programm vor allem auf traditionell besonders liquide großvolumige Anleihen hoher Bonität ausgerichtet ist.“ (ibid S. 16) Die EZB betreibt hier Strukturpolitik, man höre und staune. Welche Anleihekategorie ist als nächstes dran? Warum soll der Markt nicht entscheiden, wie die Schuldnerstruktur der Renditen sein soll? Wo nimmt die EZB ihr überlegenes Wissen in dieser Sache her? Wenn ich mir die Renditen der Landesbankanleihen ansehe, hat sich da noch nicht viel Positives getan – im Zehnjahresbereich liegen sie um 70 bis 80 Basispunkte über denen der Bunds. Vor der Krise waren 15 bis 25 Basispunkte üblich. Das ganze könnte, wie bei der Fed, auf ein Selbsttor hinauslaufen, und auf einen ordnungspolitischen Sündenfall allemal.