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Griechenlands Krise ist gut für den Euro

 

Manchmal gibt es nichts Besseres als eine richtige Krise. Sie legt offen, an was man alles nicht gedacht hatte, als man sich einst voller Gottvertrauen und mit den besten Absichten auf ein langfristiges Projekt einließ, ob auf Ehe, Beruf oder eben Währungsunion, und dass es mit einem „weiter so!“ nicht getan ist. Neue Sicherungen müssen her, oder das Projekt muss aufgegeben werden.

Dass jetzt Griechenland zum Auslöser der ersten ernsten Krise des Euro wurde, ist ein Glücksfall. Das Land erwirtschaftet ein Sozialprodukt von 240 Milliarden Euro und damit nur 2,7 Prozent des Outputs der Währungsunion von 9.008 Milliarden Euro. Das ist eine Größenordnung, die beherrschbar sein dürfte. Besser Griechenland als Spanien oder Italien, Länder, deren Gewicht viereinhalb und sechseinhalb mal so groß ist.

Zunächst einmal etwas Banales: In einer tiefen Rezession ist ein schwacher Wechselkurs genau das, was der Arzt verschreiben würde. Griechenland ist dafür verantwortlich, dass der Euro jetzt nur noch 1,37 Dollar kostet, statt 1,51 wie noch vor zweieinhalb Monaten. Seine Probleme mit dem Einhalten vertraglich eingegangener Verpflichtungen könnten ein Indiz dafür sein, dass die Währungsunion in ihrer jetzigen Form nicht überlebensfähig ist – jedenfalls gibt es Schwachstellen im System, die aus Anlegersicht bedenklich sind.

Grafik: Dollar-Euro-Wechselkurs

Einen offenen Abwertungswettlauf kann niemand wollen, weil der fast zwingend zu Protektionismus und einem Zusammenbruch des Welthandels, also zu allgemeinen Wohlstandsverlusten führen würde – wenn uns aber eine Abwertung gewissermaßen geschenkt wird, können wir uns darüber freuen. De facto senken wir unser Lohnniveau und bieten unsere Produkte billiger an. Ausländische Güter und Dienstleistungen werden gleichzeitig teurer. Beides stabilisiert die Beschäftigung innerhalb der Währungsunion. Die Stagnation der deutschen Aufträge aus Ländern außerhalb der Währungsunion in den vier Monaten bis zum Dezember kann ein erstes Zeichen dafür sein, dass es mit der Wettbewerbsfähigkeit nicht allzu gut steht. Im vierten Quartal lagen die Auftragseingänge immer noch um 23,6 Prozent unter den Werten vom vierten Quartal 2007 und vom ersten Quartal 2008. Eine Abwertung des Euro dürfte die Lage in dieser Hinsicht verbessern.

Grafik: Auftragseingang in der dt. Industrie aus Nicht-Euro-Ländern

Auf Dauer ist das natürlich keine gute Politik, denn es geht nichts über hohe Einkommen – soweit sie vereinbar sind mit einem hohen Beschäftigungsniveau -, aber konjunkturell ist sie situationsgerecht. Und die Konkurrenten lassen sie uns durchgehen. Anders als gegenüber China haben sich die Amerikaner bisher noch nicht über unzulässige Wettbewerbsverzerrungen durch einen unterbewerteten Euro beschwert. Dazu ist er wohl noch nicht schwach genug.

Der wirkliche Vorteil der Krise ist allerdings ein anderer: Sie macht deutlich, dass eine Währungsunion letztlich nicht ohne eine gemeinsame Finanzpolitik auskommt, genauer: ohne eine politische Union. Dass Griechenland jetzt unter die Kuratel der Kommission und des Statistischen Amts der Europäischen Union gestellt wird, bedeutet einen großen Schritt in diese Richtung. Wer einem Schuldner finanziell beisteht, der die Auflagen des Maastrichter Vertrags so krass und so bewusst verletzt hat wie Griechenland, hat ein Recht auf eine direkte Kontrolle der Haushaltspolitik. In gewisser Weise ist das vergleichbar mit einer hierzulande üblichen Praxis: Ein deutscher Regierungspräsident darf in die Finanzen von Gemeinden eingreifen, die sich nicht an die Regeln halten. Athen wird einen wesentlichen Teil seiner finanzpolitischen Autonomie an Brüssel abgetreten.

Um eins klarzustellen: Es gibt auch Alternativen dazu, nur sind die aus griechischer Sicht offenbar noch unerfreulicher. Eine besteht darin, auf Hilfen zu verzichten und den gewaltigen Betrag an Anleihen, die in Kürze fällig werden, zum aktuellen Marktzins zu refinanzieren. Das sind bei 5-jährigen Papieren zur Zeit 6,45 Prozent und bei 10-jährigen 6,48 Prozent. Die Zinsen wären um 4,3 und 3,35 Prozentpunkte höher als in Deutschland, und das bei einem Schuldenstand, der sich rasant der 100%-Marke nähert (in Relation zum Bruttoinlandsprodukt). Für ein armes Land bedeutet das eine gewaltige Last, zumal ein großer Teil des Schuldendienstes aus Transfers an ausländische Gläubiger besteht und damit aus einer unwiderruflichen Übertragung von Realeinkommen. Das dürfte den Lebensstandard so sehr schmälern, dass es Risiken für das politische System geben könnte.

Ein Ausweg wäre vielleicht, eine große 30-jährige Anleihe zu begeben. Wenn ich den Zahlen auf meinem Bloomberg-Schirm trauen kann, würde die Rendite bei „nur“ 6,3 Prozent liegen (Deutschland 3,82 Prozent) – viele Investoren können davon nur träumen. Für Griechenland bestünde der Vorteil darin, dass der Druck, der durch kurzfristig aufeinander folgende Tilgungstermine für den Fiskus entsteht, gemildert und Zeit für die überfälligen finanzpolitischen Reformen gewonnen würde.

Die andere Alternative besteht darin, aus der Währungsunion auszutreten. Der Lissaboner Vertrag, der seit dem 1. Dezember in Kraft ist, ermöglicht das, auch wenn dort (bewusst) die genauen Bedingungen für einen solchen Schritt nicht genannt werden. Aber ich denke, dass es Griechenland nicht schwer fallen dürfte darzulegen, warum ein Verbleib im Währungsverbund mit untragbaren Kosten und Risiken verbunden wäre. Um die Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen, müssten die Löhne nach irischem Vorbild stark gesenkt werden, und um das Maastrichter Defizitkriterium innerhalb von wenigen Jahren zu erfüllen, also von einem Defizit von 13 Prozent auf 3 Prozent des BIP zu kommen, wäre für mehrere Jahre eine äußerst restriktive Finanzpolitik erforderlich. Das wäre pro-zyklisch in extremis, jedenfalls mit gewaltigen Kosten in Form von verlorenem Output und einem Anstieg der Arbeitslosenquote auf vielleicht 20 Prozent. Von daher wäre ein Austritt aus der Währungsunion in der Tat leicht zu rechtfertigen.

Nur was geschieht, wenn es zum Austritt käme und die Drachme würde wieder eingeführt? Gegenüber dem Eintrittskurs käme es zu einer Abwertung um mindestens 25 Prozent, je nachdem, ob die Marktteilnehmer eine Insolvenz des griechischen Staates erwarten oder nicht. Die Schulden lauten auch nach einem Austritt weiterhin auf Euro. Realwirtschaftlich wären sie vermutlich viel größer, als wenn, wie oben beschrieben, zu aktuellen Marktkonditionen umgeschuldet würde. Ich vermute daher, dass ein Austritt aus der EWU mit einer Insolvenz einherginge. Dem Land wäre dann der Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten für mindestens zehn Jahre versperrt. Wie das Beispiel Argentinien zeigt, folgt auf einen Staatsbankrott fast unweigerlich eine chaotische und politisch höchst gefährliche Phase. Ein Grund ist unter anderem, dass die ausländischen Gläubiger umgehend das Vermögen des zahlungsunfähigen staatlichen Schuldners beschlagnahmen lassen, soweit sie dessen habhaft werden können. Dazu zählen Währungsreserven, Botschaftsgebäude, Schiffe und Unternehmensbeteilungen. Vor allem die Oberschicht wird bluten und daher alles tun, damit der Staat solvent bleibt.

Der Vertrag von Lissabon macht im Übrigen den Ausschluss eines Landes de facto unmöglich, auch wenn dieses in eklatanter Weise gegen die gemeinschaftlichen Verträge verstoßen hat. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages schreibt hierzu: „Im Wege der Vertragsrevision wäre ein Ausschluss eines Mitglieds gegen dessen Willen nicht möglich, da eine solche Regelung gem. Art. 48 EUV die Zustimmung aller Vertragsparteien voraussetzte.“ Die15 anderen Länder der Währungsunion sind also auf den guten Willen Griechenlands angewiesen – über ein echtes Druckmittel verfügen sie nicht. Realistischerweise ist das Interesse an einem Ausschluss – wie an einem Austritt – ohnehin gering, schon weil einflussreiche europäische Gläubiger, also Banken, Versicherungen und Pensionskassen zu große Verluste erleiden würden, weil es in beiden Szenarien voraussichtlich einen Staatsbankrott gäbe. Es käme zum Fall Lehman 2.0, mit allen Konsequenzen für die Stabilität des Finanzsystems und die Belastung der Steuerzahler

Klar ist: Sollte Griechenland tatsächlich von der Option des Austritts Gebrauch machen, käme es umgehend zu einer starken Aufwertung des Euro, vor allem dann, wenn es dadurch wahrscheinlicher wird, dass auch Portugal, Irland oder sogar Spanien diesen Weg einschlagen könnten.

Nein, Griechenland wird irgendwie gerettet werden, aber es wird strenge Auflagen geben, wenn auch nur solche, die das Leistungsvermögen des Schuldners nicht übersteigen. Ideal wären sehr lang laufende griechische Anleihen mit festen Zinsen, die von solventen Mitgliedsländern wie Deutschland oder Frankreich gegen eine Gebühr zu garantieren wären. Die EZB jedenfalls dürfte diese staatlichen Anleihen nicht aufkaufen, so wenig wie sie das bisher getan hat. Die Rettung Griechenlands ist eine Sache der Eurogroup (der Finanzminister) und/oder des Ministerrates der EU.

Wenn die Krise einmal ausgestanden ist, können auch andere Länder ähnliche Hilfen beanspruchen. Ich hoffe nur, dass es nicht schon vorher zu einem gegenseitigen Aufschaukeln von Rettungsersuchen kommt. Dann wäre der Euro womöglich sehr schnell bei der Parität zum Dollar – und das wäre selbst für mich des Guten zu viel.