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Wo hat sich der Wohlfahrtsstaat versteckt?

 

Für ein anderes Projekt beschäftige ich mich mit einer historischen Betrachtung der Besteuerung in der industrialisierten Welt. Die Analyse der Daten weckt doch Zweifel an der These des geschätzten Kollegen Rainer Hank, auf die Weissgarnix aufmerksam gemacht hat. Hank reitet eine Attacke gegen den Wohlfahrtsstaat:

„Die Goldenen Jahre der wohlfahrtsstaatlichen Nachkriegszeit, die Nostalgiker wie der britische Historiker Tony Judt („Ill Fares the Land: A Tretease on our Present Discontents.” London: 2010) bis heute als Fliehgröße utopischer Sehnsucht betrachten, verfallen vor dem nüchternem fiskalischen Rückblick zum „Zeitalter permissiver Staatsfinanzen“.

Und weiter:

„Der Sozialstaat zaubert sich seine Leistungserfüllung aus Schulden zusammen. Seit den 70er Jahren sind die Haushalte nahezu aller Staaten notorisch defizitär, auch und gerade trotz wachsender Steuer- und Beitragszahlungen.“

Ist das so?

Die OECD hat ein wunderbares neues Spielzeug, das Zugriff auf ihre Datenbanken verschafft. Sehen wir uns also das Steueraufkommen (total tax revenues in der Klassifikation der OECD also unter Einbeziehung bestimmter Sozialabgaben) an gemessen am Bruttoinlandsprodukt an, um den „wachsenden Steuer- und Beitragszahlungen“ auf die Spur zu kommen.

Im Jahr 1960 nahm der Staat laut OECD in Deutschland 31,3 Prozent des BIP und in den USA 26,5 Prozent des BIP an Steuern ein. Bis 1979 steigen die Werte auf 36,4 in Deutschland und fallen in den USA auf 26,0 Prozent an. 2008 liegen wir bei 36,4 und  26,9 Prozent. In einem halben Jahrhundert hat sich das Steueraufkommen in Deutschland um gerade einmal fünf Prozentpunkte erhöht, obwohl das Land fünf zusätzliche Bundesländer versorgen muss. In den USA ist es sogar weit gehend unverändert geblieben. Soviel zum Thema steigende Steuern.

Die Staatsausgaben übrigens lagen dem gleichen Datensatz zufolge in den USA im Jahr 1970 bei 32,5 Prozent des BIP, im Jahr 2006 – dem letzten Jahr vor der Krise – waren es 35,9 Prozent des BIP. In Deutschland – leider gibt es keine Daten vor der Wiedervereinigung – fielen sie von 46,25 auf 45,35 Prozent. Soviel zum Thema permissive Staatsfinanzen.

Wo ist er also, der Leviathan? In den Daten jedenfalls hat er sich nicht versteckt.

Update und Reaktion auf Daniel: Als Maß für den Sozialstaat empfehle ich Social benefits and social transfers in kind (Social benefits reflect current transfers to households in cash or in kind to provide for the needs that arise from certain events or circumstances, for example sickness, unemployment, retirement, housing, education or family circumstances  that may adversely affect the well-being of the households concerned either by imposing additional demands on their resources or by reducing their incomes – die Erläuterung der OECD).

Germany 1991: 25.63

Germany 2008: 27,57

USA 1970: 13,14

USA 2007: 18,48

Mich macht das als Steuerzahler nicht nervös