Bundesbankchef Weidmann hatte am Montag vor dem Berliner Haushaltsausschuss vor allem die unsolide Finanzpolitik für die Euro-Krise verantwortlich gemacht. Das ist zu kurz gesprungen – viel zu kurz. Erinnern wir uns: Der Ausgangspunkt der globalen Finanzkrise waren Not leidende amerikanische Schrotthypotheken („subprime mortgages„). Von systemgefährdender unsolider Finanzpolitik konnte im Jahr 2007, als der Interbankenmarkt weltweit kurz davor war zu kollabieren, nicht die Rede sein.
Die heutigen Verschuldungsprobleme einiger europäischer Staaten und damit die existenzgefährdende Krise des Euro haben vor allem damit zu tun, dass die nur lax regulierten Banken Risiken eingegangen waren, die sich am Ende nicht mehr beherrschen ließen. Ihr Anspruch, unübertroffene Spezialisten für das Management von Risiken zu sein, mussten sie stillschweigend begraben. Sie können offensichtlich nicht einmal ihre eigenen Risiken richtig bewerten und kontrollieren.
Angesichts eines Abschreibungsbedarfs von vielen Hundert Milliarden Euro und einer drohenden Konkurswelle konnten sie die Regierungen jedoch von ihrer Systemrelevanz überzeugen sowie davon, dass sie auf Kosten der Allgemeinheit gerettet werden mussten. Von wem auch sonst? Der Staat ist für sie letztlich der einzige Risikomanager, der zählt. Damit entfällt im Übrigen die Rechtfertigung für die exorbitanten Gewinne und Gehälter, die die „masters of the universe“ in guten Jahren eingestrichen haben. Sie können es nicht.
Letztlich stammten die hohen Erträge der Banken daher, dass sie auf einer schmalen Eigenkapitalbasis mit billigem Fremdkapital (nicht zuletzt von der EZB) Kreditpyramiden aufgetürmt hatten, etwas, was normale, weniger privilegierte Unternehmen in der Industrie oder in den Dienstleistungen nicht können. Die Sache ging gut, solange die Kredite und Wertpapiere Erträge abwarfen und nicht Not leidend wurden. Wenn das Eigenkapital fünf Prozent der Bilanzsumme ausmacht (vielfach war es weniger), und der Wert der Anlagen sinkt um fünf Prozent, ist das Eigenkapital weg und die Bank pleite. Weil das leicht zu einer Kettenreaktion im Finanzsektor führen kann, muss der Staat ran.
Die folgende Grafik zeigt sehr eindrucksvoll, wie die Staatsschulden seit 2007 in die Höhe schnellen. Das hatte zwar auch mit der folgenden tiefen Rezession zu tun, vor allem aber mit den gewaltigen Summen, die plötzlich für die Stabilisierung des taumelnden Finanzsektors mobilisiert werden mussten. Irland und Spanien waren bis dahin in finanzpolitischer Hinsicht die Musterschüler par excellence gewesen, mit Staatsschulden deutlich unterhalb der Maastricht-Grenze von 60 Prozent. Auch die Schuldenexplosion in Deutschland war den Banken geschuldet, nicht etwa einer auf einmal unsoliden Finanzpolitik:
Die Bankenrettung schlägt bislang laut Bundesbank mit 335 Milliarden Euro oder 13,4 Prozent des Sozialprodukts zu Buche.
Wie war es zu der Krise gekommen? Vor allem die Banken der USA und Westeuropas hatten ihre Bilanzen vollgeladen mit Wertpapieren angeblich bester Bonität. Sie waren durch Hypotheken auf US-Immobilien „abgesichert“, aber auch durch Konsumentenkredite aller Art, einschließlich Kreditkarten. Was die Papiere so attraktiv machte, war ihre Rendite. Sie lag um Einiges über der Rendite von Staatsanleihen derselben Bonität. Häuslebauer zahlen ja auf ihre Schulden bekanntlich immer höhere Zinsen als der Staat und normale Konsumenten auf ihre Kredite erst recht. Hinzu kam, dass das globale Zinsniveau im Fahrwasser der äußerst expansiven amerikanischen Geldpolitik stark gesunken war, sodass sich eine Art Anlagenotstand entwickelt hatte. Da kamen diese neuartigen, verbrieften Papiere mit ihren relativ hohen Zinsen gerade recht.
Amerikanische Geldpolitiker hatten Anfang des vergangenen Jahrzehnts befürchtet, dass es nach dem Platzen der Hightech-Blase am Aktienmarkt zu japanischen Entwicklungen kommen könnte, also zu wirtschaftlicher Stagnation und Deflation, wenn nicht sogar zu so etwas wie in den dreißiger Jahren – und hatten entsprechend energisch gegengesteuert. Dass sich daraus eine Immobilienblase entwickelte, wurde hingenommen. Fed-Chairman Alan Greenspan galt als ein Zaubermeister, der wusste, was zu tun war, wenn sie eines Tages platzen würde. Sein Wort war Kult. Auch ich hatte mir damals seine Autobiographie gekauft.
Die Rating-Agenturen Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch hatten in enger Zusammenarbeit mit den Emittenten und im Vertrauen darauf, dass ihre „Finanzingenieure“ schon wüssten, wie sich Risiken begrenzen ließen, Tausende dieser synthetischen Wertpapiere benotet. Sie hatten Investment Banken wie Goldman Sachs, Merrill Lynch, Morgan Stanley, Lehman Brothers, Barclays, Citi aber auch die Deutsche Bank beraten, welche Art von Hypotheken in welcher Mischung sie als Deckung verwenden mussten, um eine bestimmte Bonitätsnote zu bekommen. Hokuspokus Fidibus wurden so aus Hypotheken, deren Rückzahlung von vornherein äußerst fraglich war, Anleihen mit sogenanntem Investment Grade. Das sind solche, die vorsichtige Anleger – unsere Oma oder die Allianz – in ihr Portefeuille tun würden. Da die Zinsmargen so groß waren, konnten alle prächtig verdienen, vor allem in Form von Gebühren. Wenn es jemals Interessenkonflikte im Bankgeschäft gegeben hat, dann hier. Derjenige, der die Noten vergab, wurde von dem bezahlt, der die dubiosen verbrieften Wertpapiere entwickelte, an den Mann brachte und Millionenboni damit verdiente. Das grenzte ans Kriminelle.
Die Sache flog auf, als die zugrunde liegenden Forderungen nicht mehr bedient werden konnten. Es waren zu viele Häuser gebaut worden, sodass deren Preise und die erzielbaren Mieten verfielen. Ähnliches galt für Konsumentenkredite – die Verbraucher waren vielfach überschuldet. Der Immobilien- und Konsumboom war in unverantwortlich hohem Maße kreditfinanziert. Je länger er anhielt, desto mehr waren die Akteure davon überzeugt, dass die Fed (und die anderen wichtigen Notenbanken) keine Rezession zulassen würden, die Preise der Immobilien immer nur steigen würden und die Arbeitsplätze sicher seien. Wie wir aber spätestens seit dem Immobiliencrash in Japan wissen, folgt auf eine Euphorie immer ein Absturz. Die Gesetze der Marktwirtschaft lassen sich auf Dauer nicht aushebeln, auch nicht von der Fed. Wie weit die Preise von Aktien oder Immobilien steigen können, hängt letztlich immer davon ab, welche Erträge sie abwerfen. Das gilt im Übrigen auch für Gold!
Hätten die Banken bei diesem Spiel nicht mitgemacht, hätten sie gesehen, dass die Schulden ihrer Kunden und ihre eigenen Risiken jedes vernünftige Maß sprengten, wäre es nicht zu ihrem Zusammenbruch und den Problemen gekommen, vor denen die Weltwirtschaft heute steht. Es kann mehr als zehn Jahre dauern, bis die Finanzen der Haushalte, der Banken und der Staaten wieder im Gleichgewicht sind und ein neuer Aufschwung beginnen kann. Auch in Japan war die Kreditpolitik der Banken hauptverantwortlich für den Boom der achtziger Jahre und die nachfolgenden verlorenen zwei Jahrzehnte.
Wer den Euro dauerhaft stabilisieren will, muss nicht nur für eine solide und transparente gemeinsame Finanzpolitik sorgen, etwa in Form einer signifikant gestärkten European Financial Stability Facilty (EFSF), er muss auch den Bankensektor des Euro-Raums wirksam und von einer zentralen Stelle aus regulieren. Die Bankvorstände dürfen nicht länger de facto ihre eigenen Aufseher sein, und die Risiken, die sie eingehen dürfen, müssen streng begrenzt sein. Die Vorschläge von Paul Volcker und der britischen Vickers-Kommission können dabei als Vorlagen dienen. Es muss auch geklärt werden, wer für ihre Rettung zuständig ist, wenn es doch wieder einmal zu einer Insolvenz kommen sollte, die eine nationale Regierung überfordert.
Die gemeinsame Geldpolitik erfordert im Grunde einen gemeinschaftlichen, also supra-nationalen Ansatz in der Bankenaufsicht. Die EZB ist die Institution, die am besten mit den Geschäften der Banken im Euroland vertraut ist. Wie bei jeder anderen Zentralbank besteht ihre wichtigste Aufgabe darin, das Geldwesen funktionsfähig zu halten. Das ist, obwohl darüber selten offen gesprochen wird, noch wichtiger als die Kaufkraft der Währung zu sichern. Die EZB kann in Krisen schneller reagieren als alle anderen Institutionen, und sie verfügt über unbegrenzte Mittel. Sie druckt unser Geld. Mit anderen Worten, ich plädiere dafür, das Mandat der EZB um die Bankenaufsicht zu erweitern und sie mit der Federführung bei der Formulierung der europäischen Bankengesetzgebung zu betrauen. Dabei wird darauf zu achten sein, dass sie ihre Unabhängigkeit gegenüber den Beaufsichtigten wahrt. Wer bei der EZB beschäftigt ist, darf nicht darauf hoffen, später einmal auf einen gut dotierten Job bei einer Bank zu wechseln. Aber das ist ein anderes Thema.