Der Schnelltender der EZB war am heutigen Donnerstag rund doppelt so groß wie der nach den Angriffen auf das World Trade Center und das Pentagon im September 2001. Geht es jetzt los? Es gibt offenbar eine Liquiditätsklemme bei Banken, deren Anleger Geld aus Fonds abziehen möchten, die in amerikanischen Asset Backed Securities investiert haben. Da sich in einem sehr nervösen Markt die Käufer für diese einst positiv bewerteten und gut rentierlichen Instrumente in Luft aufgelöst zu haben scheinen, weil die Deckung doch nicht so gut ist wie gedacht, purzeln die Preise, wenn es überhaupt noch welche gibt. Dass die Banken nicht einfach zu den nunmehr sehr niedrigen Kursen zugreifen, zeigt erstens, dass auch sie von der Bonität der Fondsanteile nicht sehr überzeugt sind und zweitens, dass sie von der Welle der Verkaufsaufträge offenbar überwältigt sind und daher die Notenbank um Hilfe bitten müssen.
Die Assets, um die es geht, sind vor allem die inzwischen berühmten Subprime Mortgages, also Hypotheken schlechter Qualität, und die Collateralized Debt Obligations (CDOs), die Banken zur Finanzierung von Unternehmensübernahmen begeben hatten, den sogenannten leveraged – also weitgehend kreditfinanzierten – buy-outs der ursprünglichen Eigentümer.
Bei den Subprime Mortgages hatte die Kreditsumme in den letzten Jahren gelegentlich den Marktwert der Immobilien überstiegen und es war immer weniger üblich geworden, nach der Zahlungsfähigkeit der Schuldner, also ihrem voraussichtlichen Einkommensstrom zu fragen. Nachweise einer regelmäßigen Beschäftigung wurden häufig nicht verlangt. Vor allem ärmeren Leuten wurden diese Kredite aufgeschwatzt; sie hatten es nie für möglich gehalten, dass sie sich eines Tages ein Haus würden leisten können – auf einmal aber ging es. Da die Effektivzinsen so hoch waren, war es für die Banken und auf das Immobiliengeschäft spezialisierte Institute lange ein Leichtes, diese Hypotheken zu Paketen verschnürt in den Markt zu schleusen.
Abnehmer waren vor allem Investmentfonds, Hedge Funds, Pensionskassen und Versicherungen, die jetzt allesamt ihre Abschreibungsprobleme haben oder schlicht zahlungsunfähig sind. Am schlimmsten dürfte es jene treffen, die diese Papiere mit Hilfe von Krediten erworben haben. Wer könnte das wohl sein?
Die Banken waren auch deswegen so scharf auf diese Geschäfte, weil sie ihnen hohe Gebühren bescherten und ruckzuck wieder aus den Bilanzen verschwunden waren. Das spiegelt die neue Philosophie des Bankgeschäfts wider: möglichst keine Kreditrisiken einzugehen und sich zudem aus ihrer zentralen Aufgabe, nämlich aus kurzfristigen Einlagen langfristige Kredite zu machen, der sogenannten Fristentransformation, so weit es geht zu verabschieden. Die Investmentbanken haben vorgemacht, wie man auf diese Art eine phantastische Verzinsung des Eigenkapitals erreichen kann.
Bei den leveraged buy-outs war – und ist – das Prinzip das gleiche: Lasst uns die Kredite, die wir für diese Projekte vergeben, hübsch verpacken und sie, versehen mit einem anständigen Rating von Moody’s oder Standard&Poor’s sowie relativ hohen Zinsen, weitergeben an die willigen Kunden, siehe oben.
Irgendwann rechnen sich die buy-outs aber nicht mehr, wenn etwa die Kreditzinsen zu sehr gestiegen sind oder die Gewinne angesichts der fortgeschrittenen Konjunktur doch nicht mehr so zunehmen wie bisher. Dann werden aus lohnenden Übernahmeprojekten auf einmal Flops, die nur mit spitzen Fingern angefasst werden. Die CDOs verlieren an Wert, die Anleger geraten in Panik und erzeugen einen Verkaufsdruck.
Ein Problem, das damit im Zusammenhang steht, scheinen im Augenblick die sogenannten hung bridges zu sein, das sind Überbrückungskredite für Unternehmenskäufe, die noch nicht in Form von Wertpapieren (structured products) im Markt platziert werden konnten. Da scheinen einige Banken wohl noch etwas in den Büchern zu haben, was ihnen die Gewinne verhageln könnte. Hoffen wir, dass es nur um einen Rückgang der Gewinne und nicht um etwas Ernsteres geht. Bislang gelten ja die Bankbilanzen nach den vielen Jahren mit rekordhohen Gewinnen als äußerst solide, im Schnitt jedenfalls.
Was immer wieder verblüfft, ist wie naiv deutsche (und französische) Banker und Portfolio Manager sein müssen, wie wenig sie die Risiken zu verstehen scheinen, auf die sie sich einlassen. Vielleicht ist das zu hart geurteilt. Auch die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die sich besser als jede andere Institution mit dem Thema Bankrisiken auskennt, hat immer wieder nur betonen können, dass niemand angesichts der Komplexität der Finanzprodukte wirklich ganz sicher sein kann, wo denn nun die Risiken gelandet sind, und ob die, die sie letztlich an der Backe haben, um das mangels eines passenderen Wortes mal so auszudrücken, sie auch tatsächlich tragen können.
Es geht jetzt vor allem darum, wie groß die realwirtschaftlichen Effekte der Liquiditätskrise sein werden. Wird es zu einer Rezession kommen? Oder zu mehr? Die geneigten Leser jedenfalls tun gut daran, mit dem Schlimmsten zu rechnen – also fürs Erste auf langlaufende Bundesanleihen umzusteigen. Wenn eine Blase platzt – so wie es jetzt der Fall sein könnte – sind die Kollateralschäden deflationärer Natur. Relativ riskante Aktiva zu verkaufen ist natürlich leider eine Strategie, die die Krise verschärfen würde. Deflation entsteht, wenn jedermann seine Verschuldung abbauen möchte.