Paul de Grauwe, der streitbare belgische Ökonomieprofessor, nahm kein Blatt vor den Mund, als er in dieser Woche in der Financial Times Jens Weidmann vorwarf, dieser führe einen Guerillakrieg gegen die EZB („Stop this guerrilla campaign against ECB policy“). Dadurch beschädige der Bundesbankpräsident vor allem in Deutschland die Glaubwürdigkeit des Euro und erschwere so den Aufbau der Institutionen, mit denen die junge Währung krisenfest gemacht werden kann.
Weidmanns Botschaft ist in der Tat, dass das „Outright Monetary Transactions“-Programm, der geplante unlimitierte Ankauf von Staatspapieren, die Stabilität des Geldes gefährde. Der Präsident der Bundesbank lehnt es ab, dass die EZB als „lender of last resort“ für solche europäische Regierungen agiert, die keinen Zugang zum Kapitalmarkt haben. Da er im Rat der EZB in der Minderheit ist und das Prinzip der Einstimmigkeit mittlerweile nicht mehr in Kraft ist, kann er seiner Stimme nur durch öffentliche Auftritte und über die Medien Gehör verschaffen. De Grauwe findet, dass Weidmann Stimmung für einen Austritt Deutschlands aus der Währungsunion mache.
Ich habe auch diesen Eindruck: Es gibt von der Bundesbank keine Vorschläge, wie die Euro-Krise beendet werden kann, außer durch forcierte Sparprogramme in den Ländern der Peripherie. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass durch solche Programme an den Kapitalmärkten Vertrauen geschaffen wird, was wiederum zu niedrigen Anleihezinsen führt. Auf diese Weise ließe sich der Schuldendienst auf tragbare Dimensionen reduzieren. Eine Radikalkur mag in Estland und Irland funktioniert haben, wo es ein starkes Solidaritätsgefühl gibt und damit sogenannte interne Abwertungen möglich waren (also starke Lohnsenkungen!), es ist aber eine Illusion zu glauben, dass sie auch das Richtige für Spanien oder Italien wäre, ganz zu schweigen von Griechenland, Portugal oder Zypern.
Alle diese Länder befinden sich in einer Rezession und es herrscht hohe Arbeitslosigkeit. Strukturreformen machen sich erst nach Jahren positiv bemerkbar und es überwiegen zunächst einmal bei den von der Bundesbank geforderten Sparmaßnahmen und Reformen die restriktiven und damit pro-zyklischen Effekte auf die Konjunktur. Die Medizin schlägt an, wenn sie in kleiner Dosierung und über einen längeren Zeitraum verabreicht wird, bei massiver Anwendung ist sie aber tödlich. Es wäre das Ende des Euro. Die Bundesbank scheint das hinnehmen zu wollen.
In Wirklichkeit entwickelt sich die EZB zunehmend und, wie ich denke, auch logisch zwingend, zu einer normalen Notenbank. Deren wichtigste Aufgabe besteht nicht nur für de Grauwe darin, in den Existenzkrisen, die im kapitalistischen System immer wieder einmal (wenn auch selten) vorkommen, dafür zu sorgen, dass sowohl die Banken als auch die Regierungen zahlungsfähig bleiben, und dass die Anleger nicht ihr Geld verlieren. Die Banken und die Finanzen des Staates sind derart miteinander verbandelt, dass eine ernsthaft finanzielle Schieflage des einen fast zwangsläufig die Solvenz des anderen gefährdet. Will eine Notenbank die Stabilität des Finanzsystems sichern, muss sie in der Krise in der Lage sein, notfalls beiden unter die Arme zu greifen.
In normalen Zeiten ist Preisstabilität natürlich das vorrangige Ziel, aber wir leben gerade nicht in normalen Zeiten. Hohe staatliche Haushaltsdefizite und Schulden führen im Übrigen nicht zwingend zu einem Anstieg der Inflationsraten und zu Kaufkraftverlusten. Das jüngste Beispiel ist Japan, wo die Schulden in Kürze 250 Prozent des Sozialprodukts erreichen werden, bei gleichzeitiger jahrelanger Deflation. Einige Jahrzehnte länger zurück liegt die Weltwirtschaftskrise, in der es ähnlich aussah. Mit anderen Worten, sich Sorgen um die Stabilität des Geldwerts zu machen, ist zwar honorig und, wie immer, nicht falsch, geht aber an dem vorbei, was heute zu tun ist.
De Grauwe spekuliert, dass es der Bundesbank in Wirklichkeit darum geht, ihre alte führende Rolle unter den Notenbanken Europas wiederzugewinnen. Das kann ich nicht glauben. Eine solche Strategie wäre im Übrigen auch nicht zu vereinbaren mit dem Mandat der Bundesbank, nach dem sie die allgemeine Politik der Bundesregierung unterstützen muss, wenn es keine Probleme mit der Inflation gibt. Ich vermute eher, dass die strenge Haltung Weidmanns im Kern dazu dient, in den Verhandlungen über die institutionellen Grundlagen der Währungsunion möglichst viel an deutschen Vorstellungen durchzusetzen. Wenn die Verträge einmal unterzeichnet sind, lässt sich nicht mehr viel machen. Asmussen, der deutsche Vertreter im Vorstand der EZB spielt den „good cop“, Weidmann den „bad cop“ – kennen wir aus den klassischen Polizeifilmen. Weidmanns Strategie ist aber ein Spiel mit dem Feuer.
Noch etwas: Weidmanns Skepsis gegenüber den Euro-Reformen hat zumindest den schönen Nebeneffekt, dass der Euro vergleichsweise schwach ist (da er ja noch nicht gerettet ist) – das wirkt wie ein mildes Konjunkturprogramm.