Es klingt wie ein Skandal: Ausgerechnet ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister hat in seinem ersten Jahreswirtschaftsbericht nichts besseres zu tun, als Lohnzurückhaltung zu fordern. So zumindest wurde es berichtet.
In Wahrheit ist das alles eine ziemliche Ente. In dem Bericht steht:
Gute Arbeit muss sich einerseits lohnen und existenzsichernd sein. Andererseits müssen Produktivität und Lohnhöhe korrespondieren, damit sozial versicherungspflichtige Beschäftigung erhalten bleibt.
Die Lohnentwicklung soll sich also an der Produktivität orientieren – ja woran denn sonst? Das Problem in Deutschland war ja, dass in den vergangenen Jahren die Zunahme der Löhne hinter der Zunahme der Produktivität (plus Zielinflation) zurückblieb.
Was Gabriel da fordert, ist nicht nur common sense, sondern eine ursozialdemokratische Position, die auch von den meisten aufgeklärten Gewerkschaftern geteilt wird. Niemand kann ernsthaft wollen, dass die Löhne dauerhaft schneller steigen sollen als die Produktivität, denn das wäre kein stabiler Zustand.
Irgendjemand hat also den Bericht nicht richtig verstanden – oder ein Interesse daran, Gabriel zu schaden. Jedenfalls ist es komplett heuchlerisch, wenn nun die FDP ihn dafür kritisiert, den Arbeitnehmern Lohnsteigerungen vorenthalten zu wollen. Denn die Liberalen haben am lautesten nach Lohnmoderation gerufen.
Manchmal sind die politischen Debatten in diesem Land irre.
Update: Wenn ich von produktivitätsorientierter Lohnpolitik spreche, dann schließt das natürlich die Zielinflationsrate ein. Sonst wäre dieses Ziel auch nicht zu erreichen. Ich dachte eigentlich dass sei selbstverständlich.