Dieses Zitat stammt von Jean-Claude Juncker aus dem Jahr 2011 – und schon damals bezog es sich auf Griechenland. Nimmt man ihn beim Wort, muss die Griechenlandkrise mittlerweile sehr ernst sein, denn mit der Wahrheit nehmen es immer mehr führende Politiker immer lockerer – unter ihnen Juncker selbst. Das betrifft vor allem die vermeintlich großzügigen Angebote, die man Griechenland von der Gläubigerseite aus gemacht habe. Gerade wegen dieser Großzügigkeit ist etwa Wirtschaftsminister und Vizekanzler Gabriel „entsetzt“, dass die griechische Regierung die Verhandlungen am vergangenen Samstag beendet hat.
Aber wie großzügig war denn das Angebot? Gabriel selbst behauptet schon seit Montag – und so auch gestern wieder im Bundestag –, den Griechen sei ein „35-Milliarden-Euro-Wachstumsprogramm“ versprochen worden, das „keinem spanischen oder portugiesischen Regierungschef angeboten worden“ sei. Darüber hinaus seien im Angebot auch noch ein drittes Hilfsprogramm und eine Umschuldung enthalten gewesen.
Das Problem: Wie Cerstin Gammelin in der SZ schon zwei Tage vor Gabriels Rede – am Montag – festgestellt hat, gibt es gar kein 35-Milliarden-Programm für neue griechische Investitionen. Vielmehr handelt es sich um europäische Strukturfonds, die mit dem Troika-Programm überhaupt nichts zu tun haben, sondern jedem Land zustehen – auch Spanien und Portugal. Dieses Geld wird den Griechen auch nicht einfach zum Investieren gegeben, sondern sie müssen selbst Gelder dazu schießen, um an die Fondsmittel heranzukommen. Genau das werden sie sich wegen der Wirtschaftskrise absehbar nicht leisten können.
In den vertraulichen Dokumenten der Bundesregierung (die auch mir vorliegen) finden weder Cerstin Gammelin noch ich etwas zu einem dritten Hilfsprogramm – nur von einer Verlängerung des Programms bis November ist die Rede. Die Kredite in Höhe von insgesamt 15,3 Milliarden Euro, die im Rahmen des Programms vergeben werden sollen, sind fast vollständig für die Schuldentilgung vorgesehen – nicht für irgendein ominöses Investitionsprogramm.
Ein konkreter Vorschlag zur Umschuldung im Sinne einer Schuldenreduktion findet sich ebenfalls in keinem der Dokumente. In einer „Preliminary Debt Sustainability Analysis for Greece“ wird nur ein Szenario erwähnt, in dem die Entwicklung des griechischen Schuldenstands nach einer Schuldenerleichterung simuliert wird. Ein Szenario ist aber noch lange kein handfester Vorschlag.
Hat denn niemand im Wirtschaftsministerium die Süddeutsche Zeitung vom letzten Montag und die Dokumente zu den Verhandlungen gelesen? Es geht hier schließlich nicht um irgendetwas sondern um die Existenz der europäischen Währungsunion und das ökonomische und soziale Schicksal eines ganzen Landes.
Gabriel lag also daneben. Aber das vermeintlich einmalige und großzügige 35-Milliardengeschenk an die Griechen passt so gut in die Mythenbildung, in der vollkommen irrationale Griechen den lauteren Kreditgebern Streiche spielen.
An dieser Mythenbildung hat auch EU-Kommissionpräsident Juncker kräftig gearbeitet. Am Montag behauptete er in einer Rede, dass es im Programm der Troika gar keine Rentenkürzungen gebe. Die Rentenkürzungen sind in den Verhandlungen besonders umstritten, da viele griechische Haushalte, deren Mitglieder arbeitslos sind oder zu wenig zum Leben verdienen, auf die Renten der Eltern und Großeltern angewiesen sind.
Peter Spiegel, Journalist von der Financial Times, merkte dann aber sofort per Twitter an, dass Junckers Aussage schlicht nicht stimmt. Im Maßnahmenkatalog, den Griechenland im Gegenzug für neue Kredite umsetzen sollte, steht sehr detailliert, dass gerade der Rentenzuschuss für die Ärmsten (die sog. EKAS) sofort mit Verabschiedung des Programms gekürzt werden soll.
Würde man Gabriel, Juncker und noch einigen anderen glauben, so erscheint es regelrecht, als hätte man den Griechen ein sozial ausgewogenes Wachstumspaket angeboten, und dass die Griechen irre Spinner sind, so etwas auszuschlagen.
In Wahrheit wird mit den aktuellen Vorschlägen – von ein paar (geringen) Zugeständnissen in Einzelfragen abgesehen – die beinharte Austeritätspolitik der bisherigen Programme fortgesetzt. Die hat die Wirtschaft seit 2010 um 22 Prozent einbrechen lassen und ein ganzes Land in die Verarmung gestürzt. Martin Wolf von der Financial Times schätzt etwa, dass die harten Kürzungen und Steuererhöhungen zu einer weiteren Schrumpfung der griechischen Wirtschaft um 10 Prozent führen würden.
Nun muss man dazu wissen, dass Tsipras sogar bereit war, einen Großteil der harten Sparmaßnahmen durchzusetzen, wenn sich die Gläubiger auf ihn etwa in der Frage der Schuldenerleichterung zubewegt hätten – wie ihn übrigens der IWF als einer der Gläubiger – fordert. Aber auch wenn hier und da geraunt wird, solch ein Angebot hätte es gegeben, findet es sich in keinem der Dokumente, in denen das Eurogruppentreffen dokumentiert wird. Das dokumentiert auch Cerstin Gammelin in ihrem SZ-Artikel. Auch Finanzminister Schäuble hat solche Vorschläge kategorisch dementiert.
Warum wird die Unwahrheit zum angeblich so großzügigen Angebot gesagt? Auch Lügen sagen etwas aus. Sie sorgen dafür, dass das Programm in einem besseren Licht erscheint. Das macht die Politiker nicht nur sympathischer in den Augen der Wähler, sondern die griechische Regierung wird in ein schlechtes Licht gerückt nach dem Motto: Wer ist denn so dumm, ein sozial ausgewogenes Wachstumsprogramm auszuschlagen? Das können doch nur beinharte Ideologen sein.
Dass das vermeintlich sozial ausgewogene Wachstumsprogramm die Verelendung in Griechenland weiter ansteigen lässt, wird schlicht ignoriert. Die Lage in Europa muss sehr ernst sein, wenn die Eliten die Wahrheit einfach unter den Tisch fallen lassen.