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„Helicopter Money“ wird gesellschaftsfähig

 

Geld fällt vom Himmel, von einem Helikopter abgeworfen, Mario Draghi am Steuerknüppel, immer wieder neue Flüge – bis die Leute so viel geschenkt bekommen haben, dass sie ihre Schulden fühlbar abbauen können und anfangen, endlich mal mehr Geld auszugeben. Dadurch würde die Konjunktur stimuliert und die Inflationsrate da hingebracht werden, wo sie hingehört, auf knapp zwei Prozent. Wenn es bisher an Geld gefehlt hat, na ja, dann lassen wir es doch einfach vom Himmel regnen. Wofür hat man schließlich eine Notenbank?

Das Thema hat eine lange intellektuelle Vorgeschichte – sie reicht mindestens von Keynes über den Monetaristen Milton Friedman (1948) bis zu Ben Bernanke (2002, 2003), dem vorletzten Chef der amerikanischen Fed. Jetzt hat Adair Turner in einem lesenswerten Buch seinen Hut in den Ring geworfen („Between Debt and the Devil – Money, Credit, and Fixing Global Finance„). Er plädiert dafür, die Geldpolitik durch das Instrument des Helicopter Money wieder handlungsfähiger zu machen und damit den Knoten zu durchschlagen, der durch die Überschuldung von Banken, Haushalten, Unternehmen und Staat, durch das Platzen von Blasen an den Märkten für Immobilien, Aktien, Devisen und Rohstoffen sowie das folgende sogenannte Deleveraging entstanden ist. Wenn durch den forcierten Schuldenabbau so viel gespart wird, fehlt es auf der Ausgabenseite. Turner würde das verbinden mit Maßnahmen, durch die Banken bei ihrer Geld- und Kreditschöpfung weniger Spielraum haben als bisher, weil Blasen immer dann gefährlich sind, wenn sie kreditfinanziert sind.

Adair Turner ist ein Geschäftsmann, Technokrat und Hochschullehrer, der von 2008 bis 2013, in der heißen Phase der Finanzkrise, Vorsitzender der FSA war, der britischen Finanzaufsicht. Er galt als Kandidat für die Nachfolge von Mervyn King als Chef der Bank of England und ist als geadelter Baron Turner of Ecchinswell seit 2005 (parteiloses) Mitglied des House of Lords, ist also ein Mann des Establishments schlechthin. Er weiß, wovon er spricht.

Seit dem Ausbruch der großen Finanzkrise im Herbst 2008, also seit mehr als sieben Jahren, sind die Notenbanken der reichen Länder dabei, ihre Bilanzen gewaltig aufzublähen, das heißt Geld zu drucken, die Leitzinsen in der Nähe von Null zu halten und gleichzeitig den Marktteilnehmern zu versichern, dass es für lange Zeit dabei bleiben wird (forward guidance nennen die Zentralbanker diese Strategie). Trotzdem liegen die Inflationsraten immer noch wie festgemauert weit unterhalb der Zielmarken wie übrigens auch in Japan, wo es bereits in den frühen neunziger Jahren zum großen Knall gekommen war. Der Einbruch des Ölpreises und anderer Rohstoffpreise bedeutet, dass sich an der Quasistagnation der Preisindizes fürs Erste nichts ändern wird und dass die mittelfristigen Inflationserwartungen, auf die es den Zentralbanken vor allem ankommt, weiter sinken dürften.

Zudem ist es in der Realwirtschaft offenbar zu einem nachhaltigen Rückgang des Potenzialwachstums gekommen – die expansive Geldpolitik hat die Investitionstätigkeit bisher noch nicht stimulieren können. Diese sogenannte secular stagnation ist zu einem Risiko geworden, das ernstgenommen werden muss. Was passiert erst, wenn es jetzt global zu einer neuen Rezession kommen sollte?

Vermutlich haben die Zentralbanken mit ihren Maßnahmen Schlimmeres verhindert, aber sie haben weder ihre Inflationsziele erreicht noch einen sichtbaren Beitrag für mehr Wachstum geleistet – und sind insofern gescheitert. Vielleicht wird zu viel von ihnen erwartet, vielleicht fehlen ihnen die richtigen Instrumente, vielleicht verstehen sie auch einfach nicht, wie die Wirtschaft angesichts hoher und steigender Schulden funktioniert.

Mario Draghi versichert immer wieder, dass die EZB alle denkbaren geldpolitischen Alternativen unvoreingenommen untersuche, aber es kommt bisher immer nur heraus, dass die bereits existierenden Programme modifiziert, verlängert oder aufgestockt werden. Wie Adair Turner frage auch ich mich, ob Helicopter Money im Kampf für eine höhere Inflationsrate eine Alternative ist. Soweit ich mich erinnern kann, hat es noch kein Journalist gewagt, Draghi bei einer seiner Pressekonferenzen zu fragen, ob sich seine Analysten mit diesem Thema beschäftigen. In einem Interview hatte Mark Schrörs von der Börsenzeitung kürzlich immerhin von EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio wissen wollen, ob Helikoptergeld eines der denkbaren geldpolitischen Instrumente sei, das heißt der Vorschlag, dass die Zentralbank Geld druckt und dieses dann direkt an die Bevölkerung oder den Staat weitergibt. Die Antwort: „Die ursprüngliche Idee von Helikoptergeld bezog sich auf die direkte Finanzierung öffentlicher Ausgaben. Das ist für uns keine Option. Das ist nichts, was wir erwägen. Wie Präsident Draghi zu dem Thema gesagt hat, verbietet der EU-Vertrag die direkte Finanzierung von Regierungen des Euroraums.“ Mit anderen Worten, Helicopter Money ist verboten und kommt daher von vornherein nicht infrage. Das ist wohl so.

Um was geht es bei dem Konzept eigentlich genau? Es handelt sich um ein Instrument, bei dem Finanzpolitik und Geldpolitik vermischt werden, was nach den Erfahrungen mit den hohen Inflationsraten der siebziger und frühen achtziger Jahre nie wieder passieren sollte. Wer darüber offen spricht, holt ein Tabuthema aus dem Schrank und riskiert, sich zu blamieren. Die Notenbank würde dem Staat Anleihen abkaufen, diese auf der Aktivseite ihrer Bilanz buchen und ihm auf seinem Konto (auf der Passivseite) den Gegenwert zur freien Verfügung gutschreiben. Das wäre verbunden mit der Zusicherung, dass die neuen Anleihen niemals eingelöst werden müssten – sie bleiben für alle Zeiten zwar eine Verbindlichkeit des Staates, aber nur pro forma. Die Zinseinnahmen der Notenbank aus diesen Anleihen würden an den Staat zurücküberwiesen und da die Notenbank dem Staat gehört, ist das nichts als ein bisschen Hin- und Hergebuche im Staatssektor ohne realwirtschaftliche Effekte. Die Bonität des Schuldners Staat würde nicht leiden, weil die Schulden gegenüber der Notenbank letztlich Schulden gegen sich selbst wären.

Turner weist darauf hin, dass die Kompetenzen klar abgegrenzt sein müssen, damit es nicht zu Entwicklungen wie in Simbabwe oder der Weimarer Republik kommt: Die Zentralbank bestimmt, wie viel Geld sie auf diese Weise in die Welt setzt und wann Schluss ist mit dem Gelddrucken, wohingegen der Staat entscheidet, wie er das Helikoptergeld unter die Leute bringt, ob für Investitionen, mehr Personal oder höhere Sozialausgaben, je nach seinen politischen Präferenzen.

Es handelt sich um kein Instrument, das dauerhaft eingesetzt werden darf, schreibt auch Turner. Sobald klar ist, dass die Inflationsrate nachhaltig ihren Zielwert erreicht hat, hat Helicopter Money seine Schuldigkeit getan. Sollte die Inflation danach aus dem Ruder zu laufen drohen, käme das normale Instrumentarium der Notenbank zum Einsatz: höhere Zinsen und Mindestreserven, Verkauf von Wertpapieren aus anderen Programmen als Helicopter Money – was immer in einer solchen Situation nötig ist. Die Geldpolitiker wissen ja, wie man Inflation bekämpfen muss. Nur mit der Deflation tun sie sich immer noch schwer.

Ein Gedanke zum Schluss: Da die Regeln der europäischen Währungsunion die monetäre Finanzierung des Staates verbieten, könnte stattdessen hilfsweise eine Institution wie die Europäische Investitionsbank Bonds emittieren, die dann von der EZB gekauft und in ihrer Bilanz begraben würden. Beim gegenwärtigen Quantitative-Easing-Programm kauft die EZB ebenfalls solche (und andere) Bonds, allerdings nur im Sekundärmarkt, also nicht an der Quelle und legt Wert darauf, dass sie bei Fälligkeit eingelöst werden müssen. Begraben wird nichts. Alternativ könnte der EU-Vertrag geändert werden. Dazu müsste die Deflationsgefahr allerdings vermutlich krisenhafte Züge annehmen. Da sind wir noch nicht.