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Trügerische Ruhe an den Märkten

 

Während sich die Schwäche der Bondmärkte noch eine Weile fortsetzen dürfte, wird an anderen Märkten eine Trendwende immer wahrscheinlicher: Der Anstieg der Renditespreads gegenüber Bundesanleihen dürfte demnächst beendet sein, ebenso wie der Boom an den Aktienmärkten oder die Seitwärtsbewegung der Wechselkurse und des Ölpreises. Sollte es zudem zu einem Handelskrieg kommen, vielleicht sogar zu einer globalen Rezession, sind große Korrekturen vorprogrammiert.

Was die Rentenmärkte angeht, steigen die langen Renditen seit dem vergangenen Sommer mehr oder weniger stetig, wenn auch bisher nur verhalten. Es sieht nicht mehr nach Deflation aus. Die expansive Geldpolitik der Industrieländer schlägt allmählich an, und weil Haushalte und Unternehmen offenbar nicht mehr so verschuldet sind wie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise (das Deleveraging also vorangekommen ist), sind ihre Lebensgeister wieder erwacht. Durch die robustere Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen nimmt die Auslastung der Kapazitäten zu, ebenso wie die Beschäftigung, sodass sich Preise und Löhne leichter erhöhen lassen. Im Euroraum ist die Inflation bei den Verbraucherpreisen im Januar bei 1,8 Prozent angekommen, in den USA sogar bei 2,5 Prozent. Am Montag gab es die deutschen Erzeugerpreise für den Monat Januar: Im Verlauf der vorangegangenen sechs Monate sind sie mit einer annualisierten Rate von 4,0 Prozent, Ex-Energieträger immerhin mit einer von 3,1 Prozent gestiegen. Der Inflationsdruck nimmt zu.

Fast alle Analysten weisen allerdings darauf hin, dass es technische, nicht fundamentale Gründe sind, die für die relativ hohen Inflationsraten verantwortlich sind, denn weder bei der sogenannten Kerninflation noch bei den Inflationserwartungen noch bei den Löhnen gebe es Anzeichen, dass sich eine neue Inflationsmentalität durchzusetzen beginnt.

Grafik: Renditen 10-j#hriger Bundesanleihen und US-Treasuries, tgl. seit 2007

Trotzdem: In den OECD-Ländern hat sich auf den vorgelagerten Stufen der Wertschöpfung eine Menge an Inflation aufgestaut, die zunehmend bis auf die Verbraucherstufe durchwirken wird. Ich halte die aktuellen Inflationsraten daher für ein nicht nur vorübergehendes Phänomen und erwarte, dass die nominalen Bondrenditen weiter steigen werden. Das gilt insbesondere für die deutschen, die sich real (also inflationsbereinigt) noch weit im negativen Bereich befinden. Aber auch die um 212 Basispunkte höheren US-Renditen müssen nicht das letzte Wort sein. Wenn die Fed bei ihrem Plan bleibt, die Leitzinsen allmählich zu erhöhen, wird es in Amerika ebenfalls zu Kursverlusten kommen. Andererseits ist das Thema „Deflation“ noch nicht abgehakt. Eine erneute Rezession würde solide und liquide Rentenmärkte für Anleger wieder attraktiv machen und zu einem Rückgang der (niedrigen) Renditen führen.

Spätestens seit dem Wahlsieg von Donald Trump und seiner negativen Einstellung gegenüber EU und Nato weiten sich die Renditedifferenzen in Europa wieder aus. Wird das weitergehen? Es sieht ein bisschen so aus, als befänden wir uns in der Frühphase einer neuen Eurokrise. Die Betonung liegt auf „ein bisschen“. Wie die nächste Grafik zeigt, ist im Vergleich zu 2010 bis 2012 eigentlich noch nichts geschehen.

Grafik: Europäische Rendite Spreads, 2007-Feb 2017

Zwar sind die Marktteilnehmer, anders als in den Jahren vor 2008, nicht mehr der Ansicht, dass die verschiedenen staatlichen Schuldner Eurolands de facto gleich kreditwürdig sind, aber sie fürchten auch nicht, dass der Euro bald auseinanderfliegen wird. Inzwischen ist ja die Bankenunion ein gutes Stück vorangekommen, und Mario Draghi hat im Juni 2012 mit seinem whatever it takes klargestellt, dass die EZB die Mittel und den Willen hat, die Gemeinschaftswährung zu erhalten. Ich schließe mich dieser Sicht an. Das bedeutet, dass die Renditespreads nicht erneut aus dem Ruder laufen werden. Die Allokation innerhalb von Bondportfolios könnte aus Renditegründen daher relativ gefahrlos zulasten der deutschen und zugunsten französischer oder spanischer Papiere verändert werden.

Für mutige Anleger dürften darüber hinaus italienische, portugiesische und griechische Anleihen attraktiv sein. Im Zehnjahresbereich lagen ihre Renditen zuletzt um 180, 365 und 722 Basispunkte über den deutschen. Vor allem Griechenland gilt als Wackelkandidat, weil seine Schulden in Relation zum BIP bei 180 Prozent liegen. Ein Austritt aus dem Euro gilt mancherorts als nicht unwahrscheinlich.

Tabelle: Kennzahlen zur wirtschaftlichen Lage in ausgwählten Ländern des Euroraums

Klaus Regling, der Chef des ESM, des European Stability Mechanism, hat dagegen vor einigen Tagen in der Financial Times argumentiert, dass „die Schuldensituation Griechenlands kein Anlass mehr zur Sorge ist“. Kein anderes Land habe jemals so viele Schulden erlassen bekommen wie Griechenland. Zusammen mit anderen Erleichterungen habe das dazu geführt, dass „die effektiven Kosten des Schuldendiensts mit zu den niedrigsten des Euroraums gehören. Daran wird sich auf lange Zeit nichts ändern“. Wenn, ja wenn sich Hellas an die Vereinbarungen mit den Kreditgebern hält und insbesondere aufhört, den Reformprozess zu verzögern, kann es sich der Solidarität der anderen gewiss sein. Wie der kleinen Tabelle zu entnehmen ist, ist die fundamentale wirtschaftliche Situation gar nicht mehr so schlecht. Regling spricht natürlich pro domo – wer seine Sicht für zu optimistisch hält (ich gehöre nicht dazu), sollte sich den neuen, viel skeptischeren Country Report (17/40) des IMF zu Gemüte führen.

Ziemlich beunruhigend finde ich die ungebremste Rallye an drei wichtigen Aktienmärkten: Sowohl in den USA, in Deutschland als auch in Japan sind die Aktienindices in den vergangenen sieben Jahren um rund 100 Prozent gestiegen (also um durchschnittlich etwa 10,5 Prozent pro Jahr), und das bei Inflationsraten in der Nähe von null. Angesichts sehr hoher Kurs-Gewinn-Verhältnisse und Kurs-zu-Buchwert-Relationen sprechen die hohen Kurse dafür, dass größere Korrekturen überfällig sind. Das gilt vor allem für die USA. Vergleichsweise billig sind dagegen nach diesen Kriterien die Aktienmärkte von Euroland (Euro Stoxx 50), Frankreich und China, um nur einige zu nennen.

Ob sich die Schwäche des Euro gegenüber dem Dollar, die nun schon mehr als zwei Jahre lang anhält, fortsetzen wird, ist eine andere wichtige Frage. Ginge es allein nach den Fundamentalfaktoren „Leistungsbilanz“ und „staatliche Haushaltsdefizite“, müsste der Dollar stark abwerten, da aber die Fed, anders als bisher die EZB, dabei ist, die Leitzinsen anzuheben und zu normalisieren, und weil das künftige Wirtschaftswachstum der USA wegen der kommenden expansiven Finanzpolitik deutlich höher ausfallen könnte als das europäische, spricht auch einiges für einen neuen Aufwertungsschub beim Dollar. Politisch gewollt ist das allerdings nicht. Vielmehr hält die neue US-Regierung den Euro für stark unterbewertet, ebenso wie den Yen und den chinesischen Yuan, und macht Druck, das zu ändern. Es ist zudem ganz unwahrscheinlich, dass die Wachstumsrate des realen BIP wie angekündigt von zwei auf vier Prozent steigen wird, wenn die amerikanische Wirtschaft durch einen noch stärkeren Dollar vollends ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßt.

Grafik: Wechselkurse des Euro zum US Dollar und Yen, 1999 - Feb 2017

Wie könnte es weitergehen? Aus Sicht der EZB wäre ein festerer Euro kontraproduktiv, weil das der Tendenz nach zu importierter Deflation und einem Rückgang der Inflationsrate bei den Verbraucherpreisen führen würde. Sie wehrt sich gegen die Forderung, die expansive Geldpolitik aufzugeben. Der Kampf für einen Wert von knapp unter zwei Prozent sei trotz der jüngsten Zahlen keineswegs gewonnen: Noch zieht die Inflation nicht auf breiter Front an. Eine Aufwertung ist zudem eine Wachstumsbremse und auch aus diesem Grund unerwünscht – die Arbeitslosigkeit will und will nicht nachhaltig zurückgehen (bei 9,8 Prozent lag die Rate im Januar).

Ich vermute, dass die EZB ohne Gesichtsverlust im Spätsommer die Trendwende einleiten wird. Bis dahin dürfte die Fed noch zweimal die Leitzinsen angehoben haben, während sich gleichzeitig die Inflationsrate Eurolands bei zwei Prozent stabilisiert haben dürfte. Eine weitere Abwertung des Euro wäre dann nicht mehr wünschenswert, sie wäre im Hinblick auf die Inflation auch nicht mehr nötig. Wenn es so kommt, würde der Euro zunächst noch etwas abwerten, um danach, den Fundamentalfaktoren folgend, kräftig aufzuwerten. Für europäische Aktien sind das schlechte, für die Rentenmärkte dagegen gute Aussichten.

Seit etwa Mitte 2016 ist der Ölpreis auffallend stabil. Er hat eine leichte Aufwärtstendenz, liegt um über 100 Prozent über seinem letzten Tief von Januar 2016, aber immer noch um die Hälfte unter dem Wert von Mitte 2014. Obwohl mir klar ist, dass in der Vergangenheit jede (jede!) Prognose des Ölpreises danebenlag, wage ich trotzdem eine neue: Er wird nicht mehr viel weiter steigen, und mittelfristig wird er aus den folgenden Gründen sinken:

(1) Strom aus Sonne und Wind wird durch technischen Fortschritt und Economies of Scale ständig billiger und verdrängt daher an vielen Stellen fossile Brennstoffe, einschließlich des Erdöls.

(2) Große Fortschritte gibt es aus denselben Gründen auch bei der Speichertechnologie, sodass der Ausbau der alternativen Energie immer weniger an fehlenden Netzkapazitäten scheitern wird.

(3) Die Umweltziele, die im Dezember 2015 in Paris verbindlich vereinbart wurden, zwingen die Industrieländer, ihre Emissionen von CO2 Jahr für Jahr zu senken; in etwa zehn Jahren wird dann auch die globale Nachfrage nach Erdöl trotz der wirtschaftlichen Aufholprozesse in Ländern wie China, Indien und Brasilien absolut zurückgehen.

(4) Die USA planen offenbar, die inländische Produktion von Kohlenwasserstoffen zu deregulieren und sich auf diese Weise von Energieimporten unabhängig zu machen – das erhöhte Angebot senkt der Tendenz nach die Ölpreise.

(5) Steigende Geldmarktzinsen werden die Lagerung von Erdöl verteuern und die Nachfrage entsprechend dämpfen.

(6) Last, but not least gibt es Anzeichen dafür, dass es in den OECD-Ländern, den wichtigsten Importeuren von Erdöl, so etwas wie eine säkulare Stagnation gibt, also eine dauerhafte Wachstumsschwäche. Das reale BIP der Welt wird vermutlich weiterhin um einen Prozentpunkt pro Jahr langsamer expandieren als vor der Finanzkrise, drei Prozent statt vier Prozent.

Grafik: Entwicklung des Ölpreises und der Rohstoffpreise (ohne Energie) seit 1992

Andererseits hat das OPEC-Kartell bisher gehalten und es gibt, wenn ich das recht sehe, angesichts der kräftig sprudelnden Einnahmen keinen Anlass, einen neuen Kampf um Marktanteile loszutreten. Russland ist diesmal mit von der Partie. Ich rechne daher damit, dass sich die Ölpreise erst einmal nicht groß bewegen, bevor dann, vielleicht nach dem Sommer, ein Einbruch folgt. Ölpreise von 25 Dollar sind nicht auszuschließen. Zwar dämpft das für sich genommen die Inflation, durch den positiven Effekt auf die Realeinkommen in den ölimportierenden Ländern nimmt aber die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu und kompensiert das zum Teil.

Insgesamt kommt demnächst global wieder mehr Bewegung in die Märkte.