Adair Turner, der Chef des New Yorker Institute for New Economic Thinking, hat vor einigen Tagen in einem Blogpost bei Project Syndicate die These vertreten, dass immer mehr Menschen in Nullsummenjobs landen. Das sind Jobs, auf die eine Volkswirtschaft leicht verzichten kann, selbst wenn die solcherart Beschäftigten nichts gegen diese Art der Arbeit haben oder sie sogar toll finden. Niemandem außer den unmittelbar Betroffenen würde etwas fehlen, wenn es diese Jobs eines Tages nicht mehr gäbe.
Turner nennt einige Beispiele: Wenn ich Geld für eine gute Sache einwerbe, freut und motiviert mich das, aber ein anderer, ebenfalls für die gute Sache Kämpfender, bekommt dafür in der Regel weniger. In einem Cyberkrieg befinden sich auf der einen Seite schlaue Verbrecher, auf der anderen Seite, bei den angegriffenen Unternehmen, nicht weniger schlaue Experten, die den Verbrechern auf die Schliche zu kommen versuchen. Die meisten Rechtsanwälte, Wertpapier- und Devisenhändler, Vermögensverwalter, Steuerberater und Finanzbeamte betreiben laut Turner Nullsummenaktivitäten, ebenso wie die Marketingleute, die die Marke X zulasten der Marke Y von der Konkurrenz im Bewusstsein der Kunden zu verankern versuchen. Selbst Lehrer, die sich bemühen, dass ihren Schülern immer bessere Noten bekommen, damit sie ein Stipendium erhalten, tragen nichts zur allgemeinen Wohlfahrt bei, weil genauso viele andere Schüler leer ausgehen.
Wenn sich die Trends am Arbeitsmarkt fortsetzen, werden global bald nur noch zwei Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig – das reicht, um uns mit allen Nahrungsmitteln zu versorgen, die wir brauchen. Das ist inzwischen der Standard in reichen Volkswirtschaften. Auch die Produktion der übrigen Güter kommt mit immer weniger Arbeitseinsatz aus – es geht in Richtung 10 Prozent der Beschäftigten. Macht 12 Prozent. Mit so wenig Leuten lassen sich in einigen Jahrzehnten die wichtigsten materiellen Bedürfnisse befriedigen. Und was machen die Anderen?
Klar, sie werden noch mehr Dienstleistungen erbringen, vom Lastwagenfahren, der Altenpflege, dem Unterrichten und Forschen, dem Musizieren und Malen, dem Verkaufen, dem Zähne ziehen bis zum Militär und der Medizin, der Gerichtsbarkeit, der Gastronomie, den Banken und Versicherungen und der Verwaltung. Vieles von dem erfolgt nach den Regeln der Marktwirtschaft, schafft Einkommen für die Einen und verursacht Kosten für die Anderen und existiert nur, weil es Leute gibt, die dafür bezahlen (müssen oder können). Der Rest wird vom Staat organisiert.
Aber auch in vielen Bereichen des Dienstleistungssektors ist der arbeitsparende Fortschritt unaufhaltsam. Ich denke an selbst-fahrende Lastwagen, Züge, Busse, Taxis und an Flugzeuge ohne Piloten, den Online-Handel, Online-Banking, Discount Broker, passives Portfoliomanagement, oder ferngesteuerte Operationen am Herzen, Steuererklärungen über’s Internet und ohne das Hin- und Herschicken von Belegen, Online-Hochschulen, „Unternehmensdienstleister“ aller Art, was weiß ich. Und am Ende dann wieder die Frage: Was machen die Anderen, deren Jobs wegrationalisiert wurden?
Immer mehr Ressourcen würden dafür eingesetzt, einen größeren Anteil an den verfügbaren Einkommen und Vermögen zu erobern, also nicht dafür, durch „nützliche“ Arbeit Einkommen oder Vermögen erst einmal zu schaffen, also die Produktion und das Produktionspotenzial zu steigern. Das tun ja demnächst die „aktiven“ 12 Prozent der Beschäftigten.
Der Anthropologe und Ökonom David Graeber, den Turner zitiert, behauptet, dass nicht der eigentliche Dienstleistungssektor immer größer wird, sondern vielmehr ständig neue „bullshit jobs“ entstehen, sinnlose Jobs, vor allem in der Verwaltung von Organisationen aller Art. Die Leute wüssten, dass es auch ohne sie ginge und sie sind daher frustriert und langweilen sich. Sie beneiden die Leute, die etwas „Richtiges“ schaffen. Das Argument von Graeber krankt daran, dass nicht klar gesagt wird, was denn nun sinnlose Jobs sind – er nennt als Beispiele Hundepfleger, 24/7-Pizzalieferungen, Telemarketing, die Verwaltungsjobs in Universitäten und Krankenhäusern, oder in aufgeblähten Personal- und PR-Abteilungen. Ich hätte das gern etwas systematischer.
Statt dass immer mehr sinnlose oder Nullsummenjobs entstehen, könnten die Menschen beschließen, einfach weniger zu arbeiten, beispielsweise 15 statt 40 Stunden die Woche, wie das einst Keynes vorhergesagt hatte. Warum das nicht passiert, ist ein Rätsel. Ein anderes Rätsel: Warum werden diese Jobs von den angeblich gewinnorientierten Unternehmen nicht umgehend beseitigt? Gibt es in manchen Branchen zu wenig Wettbewerb und geht es den Firmen dort zu gut? Warum schwellen die Wasserköpfe immer mehr an?
Ich würde auch fragen, warum sich die Leute, die diese Arbeiten „verrichten“, nicht etwas anderes suchen. Da scheint eine Menge Sand im Getriebe unseres Wirtschaftssystems zu sein. Offenbar scheint es aus Opportunitätskostengründen immer teurer zu werden, den Job zu wechseln. In manchen der Nullsummenjobs werden zudem außerordentlich hohe Gehälter gezahlt, da wechselt man nicht so schnell.
Am Ende lässt sich wohl feststellen, dass es schon immer „sinnlose“ und „Nullsummenjobs“ gegeben hat und dass die heutigen im Vergleich zu denen in früheren Zeiten relativ angenehm und gut bezahlt sind. Ihre Existenz könnte allerdings ein wesentlicher Grund dafür sein, dass sich das Wachstum der Produktivität tendenziell abschwächt. Für Turner bedeutet das auch, dass das Hauptziel der Wirtschaftspolitik nicht mehr die Beschleunigung des BIP-Wachstums ist, sondern die faire Verteilung von Einkommen, Vermögen und beruflichen Chancen, oder die Schaffung einer lebenswerten Umwelt.